SZ-Serie: Prominente aus dem Saarland Die Soaps der Elisabeth von Lothringen

Saarbrücken · Das Historische Museum Saar eröffnet morgen seine Ausstellung über 29 prominente Saarländer. Die SZ enthüllt Überraschendes und Kurioses, das sich aus den Exponaten ablesen lässt. Die älteste Teilnehmerin der Ausstellung ist eine lothringische Adelige. SZ-Serie, Teil 3.

 Diese Original-Abschrift  des spätmittelalterlichen Prosa-Epos „Loher und Maller“ wird erstmals im Saarland gezeigt.

Diese Original-Abschrift  des spätmittelalterlichen Prosa-Epos „Loher und Maller“ wird erstmals im Saarland gezeigt.

Foto: Reiner Jung/Picasa

Was hat man nicht für romantische Vorstellungen vom mittelalterlichen Burgalltag, von Minnesängern und den alten Rittersleut’. Geprägt wurden unsere inneren Bilder von Heldenliedern und früher Liebeslyrik, von Geschichten, in denen sich wilde Jungs für die Ehre einer hingebungsvoll angeschmachteten „hohen adligen Frau“ in Abenteuer und ins Unglück stürzten. Denn nur die unerwiderte, unerfüllte Liebe war die wahre Liebe, zumindest um 1300. Ach ja.

Als die aus Lothringen stammende 14-jährige Elisabeth von Lothringen (1395-1456) auf der Saarbrücker Burg ihres 30 Jahre älteren Gatten, des Grafen Philipp I. von Nassau-Saarbrücken, lebte, dürfte sich die Sache bereits anders dargestellt haben. Das Minne-Ideal, es war wohl überholt, galt womöglich als altmodisch. Es war die Zeit des Hundertjährigen Krieges, dieser mörderischen Machtfehde zwischen französischen und englischen Dynastien, von Ritterschlachten, Bauernkriegen und Bischofsfehden, just auch die Zeit einer Jeanne d’Arc. Shakespeare hat sie in seinen Historien-Dramen verewigt, aus denen das Blut tropft.

Auch Elisabeths Vater und ihr Ehemann starben auf dem Schlachtfeld, danach wurde die Lothringerin in Vertretung ihrer unmündigen Kinder Regierungschefin in Saarbrücken, die Historiker bescheinigen ihr großes diplomatisches Geschick. Jedenfalls hatte Elisabeth keine Lust mehr auf gereimte Sprache und Singsang-Vortrag, als sie sich entschloss, etwas zu tun, was ihr die Nennung in der europäischen Literaturgeschichte einbrachte. Denn sie gilt als Mitbegründerin der deutschen Prosa-Erzählung, einer reim- und verslosen Kunst, die man als eine frühe Form der Unterhaltungsliteratur für eine breite Leserschicht definieren kann.

Wobei Elisabeth ihre Geschichten nicht selbst erfand, sondern französischen Vorlagen entnahm, den „Chansons de geste“ (Lieder über mutige Taten), die sie übersetzte. Vier Bücher kamen so zu Stande: „Herpin“, „Sibille“, „Loher und Maller“, und „Huge Scheppel“. Und was waren das für verrückt-vertrackte, verschlungene Abenteuer- und Liebes-Storys! Sie spielen zwischen Henkern und Mördern, beschreiben Irrfahrten und Verbannungen, Verrat, Intrigen und Rachefeldzüge. Die Helden entwickeln eine für heutige Verhältnisse bestialische Gewaltlust und – insbesondere Königssohn Lothar in „Loher und Maller“ – eine animalische Sexualität. Dementsprechend „geil und fröhlich“ geht’s denn auch zu, Elisabeth beschreibt einen frühen Casanova, einen großen Verführer.

Im Historischen Museum Saar sieht man nun erstmals eine Original-Handschrift von „Loher und Maller“, die Elisabeths Sohn Johann III. 1455/56 anfertigen ließ. Man sieht auch die krassen Mord- und Totschlag-Illustrationen – Vorboten von Horrorcomics. Von wegen „Literatur für empfindsame Seelen“! Befreundete oder verwandte Adelshäuser ließen sich kostbare Abschriften dieser  frühen Soaps fertigen, zumal sich darin subtile Legitimationsargumente für manche besonders hochrangige Abstammungslinie des eigenen Geschlechts finden ließen. Bis zu den Kapetingern und Karolingern führte Elisabeth die Saarbrücker Linie zurück.

 Elisabeth von Lothringen lebte in der Saarbrücker Burg und wurde in der Stiftskirche in St. Arnual bestattet.

Elisabeth von Lothringen lebte in der Saarbrücker Burg und wurde in der Stiftskirche in St. Arnual bestattet.

Foto: SZ/André Mailänder

Insofern war sie einerseits eine Märchentante, andererseits eine Polit-Strategin. Als Initialfigur der Literaturgeschichte gilt sie sowieso. Aber weil sie dort lebte, wo heute das Saarbrücker Schloss steht, lässt sie sich wunderbar auch heute noch auf ein Podest stellen, das ins Schaufenster der Frankreichstrategie passt. Die „hochgeborne frauwe Elisabeth“, die in der St. Arnualer Stiftskirche begraben liegt, lässt sich als eine der ersten deutsch-französischen „Kulturvermittlerinnen“ vereinnahmen, als eine Symbolfigur der Region.

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