"Die Leute bleiben auf der Strecke"CDU: Landesregierung muss Drahtcord-Belegschaft helfen AfA: "Profitstreben geht vor der Sicherung von Arbeitsplätzen"

Merzig. Gespenstisch wirkt die dunkle, leergeräumte Halle in unmittelbarer Nähe des Betriebsratsbüros. Sie gibt eine dunkle Vorahnung, wie es bei Drahtcord ab Sommer aussehen wird. Passiert kein Wunder, wird bei dem Tochterunternehmen von Pirelli und Continental ab 31. Juli die Produktion gestoppt, stehen 94 Drahtcordler und zehn Leiharbeiter auf der Straße (wir berichteten)

Merzig. Gespenstisch wirkt die dunkle, leergeräumte Halle in unmittelbarer Nähe des Betriebsratsbüros. Sie gibt eine dunkle Vorahnung, wie es bei Drahtcord ab Sommer aussehen wird. Passiert kein Wunder, wird bei dem Tochterunternehmen von Pirelli und Continental ab 31. Juli die Produktion gestoppt, stehen 94 Drahtcordler und zehn Leiharbeiter auf der Straße (wir berichteten). Für den ehemaligen Chef des Betriebsrates, Gerd Spath, kam diese Nachricht, die am Donnerstag auf Betriebsversammlungen verkündigt wurde, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. "Dass das so schnell geht, habe ich nicht gedacht." Noch vor kurzem habe er sich mit ehemaligen Kollegen unterhalten. Da sei von einer Schließung noch keine Rede gewesen. Nur zu gerne hätte der Rentner gesehen, wenn sich die Belegschaft über ein paar weitere Jahre hätte retten können - zumal bei dem Altersdurchschnitt. 75 Mitglieder der Belegschaft sind über 50 Jahre alt, 59 davon sogar über 55."Das Gros der 94 Mitarbeiter hat, wie ich, ganz jung angefangen, unter oder gerade mal über 20 Jahre", sagt er. Gegen eine Entscheidung der Anteilseigner Pirelli und Continental, so schätzt er, sei wohl nichts zu machen. "Die Leute lässt man jetzt im Regen stehen.""Wir haben mitgeholfen, das Werk aufzubauen, wir haben miterlebt, wie es geboomt hat und wie es nach und nach den Bach hinunterging - bis zum Aus, das jetzt verkündet worden ist", zieht Spath, mehr als 40 Jahre Betriebsangehöriger, Bilanz.

Nach dem verheerenden Brand 1994 sei ein Teil der Produktion abgezogen worden: Statt in Merzig sei Stahldraht für Lkw in der Türkei gefertigt worden. "Wir haben ab dann nur an zwei statt fünf Produktionsstraßen gearbeitet." Ab Mitte der 90er Jahre sei die Zahl der Beschäftigten fast kontinuierlich reduziert worden. "Wir haben über Interessenausgleich und Sozialpläne verhandelt", erinnert sich Spath, über lange Jahre im Betriebsrat. Die Belegschaft habe auch die rumänischen Arbeiter über vier, sechs Wochen angelernt, wohl wissend, dass ihre Arbeitsplätze dadurch gefährdet werden. "Von uns kriegten sie die Sachkenntnis, mit EU-Geldern wurde der Bau des neuen Werkes in Rumänien gefördert. Das nennt man Globalisierung. Und die Leute hier bleiben auf der Strecke, weil die Lohnkosten in diesem Land weitaus billiger sind." Denn dass Leute über 50 noch einen Job finden, ist für ihn wie ein Sechser im Lotto, zumal die Angebote in der Region nicht gerade üppig gesät seien.

Völlig entsetzt über diese Nachricht ist auch Rudolf Biewer. "Die Leute tun mir leid. Wo sollen sie in ihrem Alter noch einen Job finden?", fragt der Mann im Vorruhestand. Über 40 Jahre hat der mittlerweile 63-Jährige aus Borg in der Neutralisation (Wasseraufbereitung) von Drahtcord gearbeitet, Wechselschichten gefahren, an Sonn- und Feiertagen Dienst geschoben. Gemunkelt habe man schon länger über eine Werksschließung, sagt Bernd Lehnen, Drahtcord-Mitarbeiter von 1974 bis 2010. Doch die Ankündigung der Schließung zum Sommer habe ihn schon überrascht", sagt der 61-Jährige, der heute in Reimsbach lebt. Vor gut zwei Jahre habe er sich entschlossen, zu gehen. "Ich war es leid, ständig um meinen Arbeitsplatz zu zittern." Daher habe er sich freiwillig verabschiedet, eine Abfindung genommen. "Wir hatten viele schöne Zeiten, aber die letzten Jahre waren nur noch geprägt von Angst."

Merzig-Wadern. "Mit Entsetzen hat die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA) die Entscheidung der Geschäftsleitung von Drahtcord aufgenommen das Werk in Merzig kurzfristig und endgültig zu schließen", kommentierte AfA-Kreisvorsitzender Raymond Greuter den Beschluss der beiden Anteileigner Pirelli und Continental. "Wir hatten erwartet, dass der Eigentümer Pirelli diese Fertigungsstätte vertrauensvoll gemeinsam mit Betriebsrat und Gewerkschaft über die schwierige Absatzsituation hinwegführt", schrieb Greuter in seiner Stellungnahme weiter. "Wieder einmal hat aber die Erlös-Maximierung gegenüber der Sicherung von Arbeitsplätzen die Oberhand behalten. Da sind der Standort, die Mitarbeiter und ihre Familien als Kostenfaktor den Entscheidungsträgern der Geschäftsleitung zur Erzielung der Dividende nur im Wege", kritisiert er. red

Merzig. Um den Mitarbeitern von Drahtcord eine sozialverträgliche Zukunft zu geben, sehen der Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion, Bernd Seiwert, und der Geschäftsführer der CDU Merzig, Jürgen Auweiler, die Unternehmensleitung und das Wirtschaftsministerium in der Pflicht.

Bereits die "scheibenweise" Reduzierung über mehrere Jahre sei für die Belegschaft schmerzlich und nervenaufreibend, erklärte die CDU in einer Stellungnahme. "Nun darf die Unternehmensleitung die Arbeitnehmerschaft nicht im Regen stehen lassen", fordert die CDU. Trotz der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit bedauern die Christdemokraten das Aus bei Drahtcord. Insbesondere weil Geschäftsführer Josef Lottes im Mai vergangenen Jahres in der SZ vollmundig betont habe, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Bau der neuen Anlage in Rumänien und dem Fortbestand des Werkes in Merzig gebe.

Bereits damals habe die CDU die Landesregierung schriftlich aufgefordert, sich bei der Unternehmensleitung für den dauerhaften Verbleib der Beschäftigten in Merzig einzusetzen. "Diese Bemühungen waren anscheinend nicht zielführend." Wenn das Aus von Drahtcord unumkehrbar ist, müssen nach Ansicht von CDU-Parteichef Marcus Hoffeld zeitnah Gespräche geführt werden, um den Verlust der Arbeitsplätze zu kompensieren. Die Betriebsfläche biete Möglichkeiten. "Eine rechtzeitige Umnutzung, wie im Falle der Merziger Druckerei, ist anzustreben, um dort den qualifizierten Mitarbeitern neue Arbeitsmöglichkeiten zu bieten." Die Christdemokraten kündigten an, schriftlich bei der Landesregierung Unterstützung einfordern. Zudem wollen sie Gespräche mit der Arbeitnehmervertretung führen.

Foto: N. Wagner

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