Der erste Kuss - Ein unsterbliches Thema

"Was bedeutet ein Kuss? Wieviele Arten von Küssen gibt es, die in Wirklichkeit gar keine sind? Warum erinnert man sich immer noch an seinen ersten Kuss? Im Rahmen des Projekts "Zeitung macht Schule" hat sich die Schülerin Jasmin Mannschatz aus Bechhofen mit diesem Thema beschäftigt.

"Es war, als hätt` der Himmel / die Erde still geküsst"... Mit diesen beiden romantischen Versen beginnt das Gedicht "Mondnacht" von Joseph von Eichendorff aus dem Jahre 1837, das die Sehnsucht als zentrales Motiv thematisiert. Sie sollen die antike Vorstellung der Vermählung zwischen den Göttern Uranus (Himmel) und Gaia (Erde) andeuten. Diese Zeilen lassen erahnen, dass für Joseph von Eichendorff der Kuss etwas sehr Inniges und Verbindliches war. Auch heute geht es vielen Menschen so: Mit einem glücklichen Lächeln erinnern sich die Meisten an ihren ersten Kuss, der etwas Besonderes und nicht selten etwas tief Romantisches war. Die tatsächliche, wissenschaftliche Definition fällt leider etwas weniger blumig aus: Laut den Philemantologen, den sogenannten Kussforschern, ist "Küssen hauptsächlich ein chemischer Vorgang und der intime Zungenkuss nichts anderes als eine Analyse des Partners." Begründet wird diese Aussage mit der Tatsache, dass ein Mensch anhand des Speichels, durch die darin enthaltenen Botenstoffe, die Gesundheit des Partners überprüfen kann.

Der Kuss als Probe

Also handelt es sich beim Küssen um nichts anderes, als eine "Art vorzeitige Evolutionskontrolle, um Patzer bei der Nachkommenschaft zu verhindern." Tatsächlich ist "die Wurzel des Phänomens so alt, wie die Menschheit selber", äußert sich die Sexualwissenschaftlerin Ingelore Eberfeld dazu. "Die Vorfahren der Menschen haben sich bei Begegnungen gegenseitig am Hinterteil beschnüffelt und beleckt. Als aus den Vierbeinern aufrecht gehende Zweibeiner wurden, wanderte der Kuss gewissermaßen mit nach oben". Welch eine Vorstellung! Dann lieber doch das verhasste Begrüßungsritual der klebrigen Küsse ertragen, die Omis und Tanten bei ihren heiß geliebten Enkelkindern zum Einsatz bringen. Welcher Gedanke kommt Ihnen zuallererst in den Kopf, wenn man Sie nach "Küssen" fragt? Natürlich der erste Kuss! Er ist für die meisten Menschen etwas ganz Besonderes. Um eine Freundin zu zitieren, die dieses Phänomen passend mit wenigen Worten beschrieben hat: "aufregend, prickelnd, etwas Einzigartiges." Der nächste Kuss, der vielen einfällt, ist der Hochzeitskuss, ein Zeichen und Versprechen der ewigen Liebe und Treue füreinander. Allerdings ist es nicht jedem vergönnt, einen solchen Kuss erlebt zu haben. Was aber mit Sicherheit jeder schon einmal bekommen hat, ist ein Geburtstagskuss. Eine kleine Geste, um deutlich zu machen, wie viel einem dieser Mensch bedeutet, und wie sehr man sich mit diesem Menschen an seinem großen Tag freut. Doch es ist erstaunlich, wie viele andere Arten des Küssens es gibt: Eine ganz besondere, wenn auch nicht allzu erfreuliche Art, ist der Judaskuss, das Zeichen, mit dem Judas Jesus verraten und ausgeliefert hat.

Bruderkuss im Ostblock

Ferner kennt man den Bruderkuss, früher auch "Osterkuss" genannt. Er hat seinen Ursprung in der orthodoxen Kirche und war ein Symbol für Gleichheit, Brüderlichkeit und Solidarität. Später wurde er Zeichen der Ehrerbietung zwischen den Staatsmännern des Ostblocks. Der wohl berühmteste "Bruderkuss" war jener zwischen Erich Honecker (DDR) und Leonid Breschnew (Sowjetunion), den politisch propagierten "sozialistischen Brüdern". Trotz dieses relativ "jungen" und nicht unspektakulären Ereignisses gerät der "Bruderkuss" immer mehr in Vergessenheit. Ebenso der Lehnskuss des mittelalterlichen Vasallen gegenüber seinem Lehnsherrn -ein Zeichen der Treue und Unterwerfung. Auch der Fußkuss, wie er am Hofe der Perserkönige im Altertum als Zeichen tiefer Demut und völliger Unterwerfung praktiziert wurde, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Küsse gelten nach wie vor als Zeichen der Ehrerbietung. Das klassische Beispiel hierzu stellt der "Handkuss" dar, den der Edelmann früher Damen zur Begrüßung gegeben hat. Einige Formen des Küssens haben allerdings den Lauf der Zeit überlebt, so der klassische Kuss unter dem Mistelzweig während der Weihnachtszeit. Diese Tradition hat seinen Ursprung ebenfalls in der Antike.

Wir Deutschen sind schon ein seltsames Volk. Irgendwie können wir es niemandem Recht machen: Auf der einen Seite haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Paare, die schon länger zusammen sind - egal ob verheiratet oder nicht -, sich nicht mehr so häufig küssen wie Frischverliebte. Auf der anderen Seite aber befinden wir uns auf dem besten Weg zur "Bussi-Gesellschaft". Dieses Begrüßungsritual mit Kuss ohne intime Nähe und ohne jegliches erotisches Potential können aufmerksame Bürger zuweilen häufig an Schulen beobachten: Die küssende Person steht dabei mit den Beinen oft weit weg von der zu begrüßenden Person, beugt sich aber mit dem Oberkörper so weit vor, bis sie diese küssen kann. Wie erzwungen wirkt das manchmal, gekünstelt, ohne Leidenschaft, als gehe es um ein Vermitteln von falscher Nähe. Wir Deutschen gelten ja allgemein in der Welt als eher distanziert und zurückhaltend, was offensichtliche Nähe in der Öffentlichkeit angeht. Je weiter man nach Süden reist, desto offener und herzlicher werden die Menschen auch im Umgang mit Küssen. Unsere Nachbarn sind in dieser Hinsicht nicht so zugeknöpft wie wir: In Frankreich ist es üblich, sich dreimal mit einem Wangenkuss zu begrüßen, dabei ist es ganz wichtig, links anzufangen! Auch die Spanier küssen häufiger und mit viel mehr Lebensfreude als unsereins. Selbst die türkische Bevölkerung, von der man es eigentlich gar nicht erwartet, ist uns "förmlichen" Deutschen einen Schritt voraus, auch wenn uns das schleierhaft vorkommt.

Türkische Respektküsse

Ein junger, türkischer Mann erzählte mir: "Die Türken küssen wie verrückt und eigentlich fast jeden, außer Mädchen und Frauen, die nicht zur Familie gehören. Ich selbst muss meinem Vater, meiner Mutter und auch meinen Großeltern zur Begrüßung einen Handkuss geben, mit anschließender Zuführung an die Stirn. Es ist ein Zeichen des Respekts und mein Vater erwartet dies auch von mir." Wer hätte das gedacht? Da komme ich mir mit unserem einfachen Händeschütteln und dem hastig gemurmelten "Guten Tag" merkwürdig distanziert und kühl vor.

Auf die Frage, welche besonderen Erlebnisse sie mit einem Kuss verbinden, antworteten die meisten fast immer dasselbe: "Tja, Gefühle ...und Liebe." In einem waren sich alle Befragten einig: Man küsst eigentlich kaum jemanden, den man nicht leiden kann, es muss eine Person sein, zu der man einen besonderen, persönlichen Bezug hat.

Ein Kuss ist meist mit Zuneigung, Sympathie, Ehrfurcht oder Liebe verbunden. Selbstverständlich erinnerten sich die Allermeisten lächelnd an ihren ersten Kuss. Eine Frau (47) meinte dazu: "Mein Mann war damals zu schüchtern, um mich zu fragen, ob er mich küssen darf, also hat er gefragt, ob er mich mit seiner Erkältung anstecken darf." Aber auch für die jüngere Generation spielt der Kuss noch immer eine wichtige Rolle. Ein junger Mann (17) erzählte: "Für mich war der erste Kuss mit meiner jetzigen Freundin etwas ganz Besonderes, eine Art Wendepunkt. Dadurch hat für mich unsere Beziehung angefangen und durch diese bin ich auch reifer geworden. Vieles ist dadurch in meinem Leben passiert..." Karl Rauber, Chef der Staatskanzlei, bezeichnete den ersten Kuss, den er in sehr jungen Jahren einem Nachbarsmädchen gab, als den denkwürdigsten.

Auch Alex Deutsch, der 97-jährige Auschwitz-Überlebende, bekam ein Strahlen in die Augen und erzählte spontan von dem ersten Kuss für Thea, seine spätere Frau, mit der er sehr glücklich war, bis sie nach kurzer Ehe zusammen mit seinem kleinen Sohn Dennis in Auschwitz ermordet wurde. Der 84-jährige Willi Caster aus Erbach, der wegen seines sozialen Engagements mit der Homburger Bürgermedaille ausgezeichnet wurde und dessen Lebensweg unsere Abiturientin Maria Schäfer in der Biografie "Alles hat seine Zeit" gewürdigt hat, meinte: "Der Kuss bei einem alten Ehepaar hat eine besondere Bedeutung: Er zeigt die feste Bindung über die Jahre hinweg, die nie aufgehört hat, und vermittelt das Gefühl, dass meine Partnerin etwas Besonderes in meinem Leben ist."

 Das malte für uns die Schülerin Katharina Simovez aus der 9d.

Das malte für uns die Schülerin Katharina Simovez aus der 9d.

 Im richtigen Moment war ein schwedischer Fotograf für diesen Schnappschuss zur Stelle: Annifrid von ABBA küsst den damaligen Oberprimaner Eberhard Jung (1974). Fotos: SZ/Saarpfalz-Gymnasium

Im richtigen Moment war ein schwedischer Fotograf für diesen Schnappschuss zur Stelle: Annifrid von ABBA küsst den damaligen Oberprimaner Eberhard Jung (1974). Fotos: SZ/Saarpfalz-Gymnasium

Jasmin Mannschatz, 9d, Saarpfalz-Gymnasium

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