Darf der demokratische Staat unschuldige Bürger töten?

Saarbrücken. Einen starken, konsequenten Staat im Kampf gegen den internationalen Terrorismus hat der bundesweit bekannte Staatsrechtler Josef Isensee bei einem Vortrag in der Landeshauptstadt angemahnt

Saarbrücken. Einen starken, konsequenten Staat im Kampf gegen den internationalen Terrorismus hat der bundesweit bekannte Staatsrechtler Josef Isensee bei einem Vortrag in der Landeshauptstadt angemahnt. Im Saarbrücker Rechtsforum vertrat der 1937 geborene Jura-Professor von der Universität Bonn die Ansicht, dass die bislang üblichen Kriterien der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns aus dem Polizei- oder Strafrecht im Kampf gegen die globale terroristische Bedrohung nicht unbedingt erfolgversprechend seien.

Diese Maßstäbe würden versagen bei Verbrechern, die den eigenen Tod nicht fürchten und bereit seien, für ein vermeintlich höheres Ideal zu sterben. Ihr Ideal könne dabei religiöser oder politischer Natur sein. Es werde aber auf jeden Fall eindeutig, rigoros und kompromisslos verfolgt. Isensee weiter: Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA habe der internationale Terrorismus eine neue Dimension erreicht. Er richte sich als Islamismus gegen die Kultur des Westens. Die Terroristen würden getarnt als Schläfer unter uns leben und auf den Befehl zum Zuschlagen warten. Dann würden sie rational und zielgerichtet Terror verbreiten, Gewalt und Tod in die vermeintlich geschützten Räume unserer pazifistisch denkenden Gesellschaft bringen. Dieser Terror sei der Feind aller. Er stelle sich bewusst außerhalb der menschlichen Gemeinschaft. Er führe Krieg gegen alle.

An diesem Punkt müsse der Staat handeln. Er habe die Verpflichtung, seine Bürger zu schützen. Erst diese Sicherheit gewähre die Grundrechte. Die Sicherheit ist demnach laut Isensee die Basis unseres Gemeinwesens. Sie gerate ins Wanken, wenn der Staat die Bürger nicht effektiv schütze. Deshalb müsse es in kritischen Situationen möglich sein, dass der Staat sich effektiv wehre. In manchen Situationen müsse dies bedeuten, dass der Staat gemäß der moralischen Kategorie des geringeren Übels agieren dürfe. Beispiel: Bei einer Flugzeugentführung mit der Bedrohung einer Stadt durch einen Absturz der Maschine müsse es erlaubt sein, das Flugzeug zum Schutz der Bevölkerung abzuschießen. Auch wenn unschuldige Bürger als Geiseln in der Maschine sitzen und sterben.

Mit dieser Argumentation vom starken Staat, die in der Tradition der Staatstheoretiker des Absolutismus wie Thomas Hobbes steht, gilt Isensee als einer der Vordenker konservativer Sicherheitspolitiker in Deutschland. Sie fordern konsequentes Handeln im vermeintlichen Krieg gegen den Terror in Deutschland und Afghanistan.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe denkt hier eindeutig anders. Es hat der Möglichkeit des Abschusses von entführten Zivilflugzeugen eine klare Absage erteilt. Die Begründung steht in der Tradition von Staatstheoretikern der bürgerlichen Demokratie wie John Locke und Jean-Jaques Rousseau: Jeder Mensch habe von Natur aus das Recht auf Leben. Dieses Recht gelte absolut. Es sei vom Staat, dem Zusammenschluss freier Bürger, zu schützen. Der Staat dürfe deshalb auch keine unschuldigen Mitmenschen töten (lassen). Denn dies würde die Basis unseres demokratischen Gemeinwesens komplett zerstören.

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