Zweiter Sieg für Justizopfer Kuss Ein Jubeltag für das Justizopfer Kuss

Karlsruhe/Marpingen/Saarbrücken  · Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Gutachterin dem Marpinger Schadenersatz zahlen muss.

 Rita Kuss, Anwältin Daniela Lordt und Norbert Kuss 2016 im Oberlandesgericht Saarbrücken.

Rita Kuss, Anwältin Daniela Lordt und Norbert Kuss 2016 im Oberlandesgericht Saarbrücken.

Foto: BeckerBredel/bub/fb

Vor drei Tagen hat Norbert Kuss (75) einen neuen Briefkasten an seinem Haus in Marpingen aufgehängt. Im Scherz sagte er zu seiner Frau, er würde dort als Erstes gerne einen Brief aus Karlsruhe finden, vom Bundesgerichtshof (BGH). Denn dann wäre klar, ob er endlich die Kredite für sein Haus würde ablösen können. Kuss wusste, dass die Richter eine Entscheidung in seinem Fall erst für Ende des Jahres angekündigt hatten. Doch der symbolische Lockruf für gute Botschaften brachte einen überraschend schnellen Erfolg. Gestern erhielt die Kuss-Anwältin Daniela Lordt den Beschluss der Karlsruher Richter vom 30. August, der das Schmerzensgeld-Verfahren im Fall Kuss beendet. Ein zivilrechtlicher Sieg.  

Kuss, 2003 wegen Missbrauchs seiner Pflegetochter fälschlicherweise verurteilt, ist Opfer der saarländischen Justiz. Sein Fall, den die Saarbrücker Zeitung 2013 als erstes Medium aufgriff, gilt bundesweit als ein spektakulärer Justizirrtum. Trotzdem sagte Kuss gestern zur SZ: „Ich glaube noch an die Justiz.“ Fehlurteile würden von Einzelpersonen gefällt. Den BGH-Spruch wertet Kuss als zusätzliche Bestätigung seines Marathon-Weges: Nicht aufgeben! Diesmal musste er jahrelang gegen die Homburger  Gutachterin kämpfen, die einst die Falsch-Aussagen seiner Pflegetochter als glaubwürdig eingestuft hatte. Das Oberlandesgericht hatte die Gutachterin zu Zahlungen verurteilt und eine Revision nicht zugelassen. Dagegen hatte sich die Gutachterin mit einer „Nichtzulassungsbeschwerde“ an den BGH gewandt. Diese wurde mit dem Beschluss vom 30. August abgewiesen. Die Versicherung der Gerichtspsychologin muss nun zahlen. Bis zuletzt bestritt man „grobe Fahrlässigkeit“. Fakt ist: Der Ex-Bundeswehrbeamte Kuss saß fast zwei Jahre lang wegen Missbrauchs unschuldig hinter Gittern. Die Fehlverurteilung erfolgte 2003. Zehn Jahre lang stemmte sich Kuss gegen die Barrieren der saarländischen Strafjustiz, um seine Unschuld zu beweisen. 2013 erfolgte die Aufhebung des Urteils. Doch die finanzielle Existenz der Familie war zerrüttet. Auch unter dieses Kapitel der Justizopfer-Geschichte hat der BGH nun einen Schlussstrich gezogen.

Kuss klingt nach all dem überhaupt nicht verbittert. Die Bestätigung durch die BGH-Richter in Sachen fehlerhaftes Gutachten, machte für ihn den gestrigen zum „Jubeltag“, wie er der SZ am Telefon verrät. Er kommt gerade aus dem Hertelwald, wo er zusammen mit seiner Frau Kerzen aufgestellt hat. Das Geld, das Kuss  nun zufließen wird, hat er schon verplant. Luxus? Mitnichten. Er will Sondertilgungen auf den Hauskredit leisten - beinahe wäre es zwangsversteigert worden: „Man möchte den Jungen das Haus doch schuldenfrei übergeben.“ Außerdem will er den 22 Jahre alten Audi  ersetzen. 360 000 Kilometer hat er auf dem Tacho.

Für Kuss-Verteidigerin Lordt kam das Urteil lediglich zeitlich überraschend. Sie habe es „inhaltlich“ so erwartet, sagt sie der SZ. Der BGH-Spruch  erfülle eine „Genugtuungsfunktion“ für ihren Mandanten. Doch vorrangig freut sie, „dass die Familie Kuss noch etwas davon hat.“ Das sei auch für eine Anwältin schöner, als „nur auf dem Papier zu siegen“. Seit 2005 kennt die Saarbrücker Juristin Kuss: „Das schweißt zusammen. Uns verbindet mehr als das übliche Mandantenverhältnis.“ Zusätzlich hält sie den Beschluss für richtungsweisend, eine Art Grundsatzurteil für Gutachterhaftung. Deshalb habe sich die Versicherung auch so scharf gegen die Zahlung gewehrt. Bisher habe sich der BGH dazu kaum oder gar nicht geäußert, doch nun gebe es  in der Begründung des Urteils  Leitlinien. Noch ein Sieg.  Doch was bleibt, sind Schlafstörungen und der Tinnitus, sagt Kuss.

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