Bücher retten Leben

St. Johann. "Etwas, wo einem nicht der Sozialmief entgegenkommt", sollte es sein, sagt Elmar Schütz. Ein Ort, an den Menschen gerne kommen, der hell ist und bunt. Ein Ort wie das "Leseviertel". So nennt die Arbeiterwohlfahrt (Awo) ihren Buchladen, in dem ehemalige Drogenabhängige wieder lernen, wie es ist, regelmäßig zu arbeiten

 Elmar Schütz leitet das "Leseviertel" der Arbeiterwohlfahrt. Foto: Becker&Bredel

Elmar Schütz leitet das "Leseviertel" der Arbeiterwohlfahrt. Foto: Becker&Bredel

St. Johann. "Etwas, wo einem nicht der Sozialmief entgegenkommt", sollte es sein, sagt Elmar Schütz. Ein Ort, an den Menschen gerne kommen, der hell ist und bunt. Ein Ort wie das "Leseviertel". So nennt die Arbeiterwohlfahrt (Awo) ihren Buchladen, in dem ehemalige Drogenabhängige wieder lernen, wie es ist, regelmäßig zu arbeiten.

Einen Buchladen, den viele nicht haben wollten im Nauwieser Viertel. Im vergangenen Frühjahr organisierte sich der Widerstand gegen das Projekt. Wenn dort ehemalige Drogenabhängige arbeiten, dann kommen auch die Drogenabhängigen, dann ist die Szene zurück im Viertel und mit ihr all die unschönen Dinge: Beschaffungskriminalität, Spritzen, Typen, vor denen man Angst hat. Der Buchladen werde die Drogenszene nicht anlocken, versprachen die Oberen der Awo. Es werde keine Probleme geben, versicherte die Polizei.

"Wir haben Wort gehalten", sagt Elmar Schütz, der den Buchladen leitet. Der Laden in der Förstrstraße 30, wo vorher ein Kopierladen war, komme gut an, sagt Schütz. Nicht nur, weil es dort Bücher zum Preis von zwei bis drei Euro, Bildbände für fünf Euro gibt. Der Laden ist - und das sieht Schütz als Beweis großen Vertrauens - zur Postannahmestelle geworden. Paketboten, die Bewohner in der Nachbarschaft nicht antreffen, geben die Päckchen im Laden ab.

Dass es sich um ein "Arbeitsprojekt handelt", merken die meisten Kunden gar nicht. Eben weil der Laden nicht mit Möbeln vom Sperrmüll zugestellt, sondern professionell eingerichtet ist. In einem echten Laden zu arbeiten, sei wichtig für das Selbstbewusstsein, die drei Ein-Euro-Jobber, die Halbtags- und die Vollzeitkraft, erklärt Schütz. "Menschen, die durch ihre Krankheit isoliert waren, haben jetzt Kontakt zu Kunden und eine anspruchsvolle Aufgabe. Die blühen regelrecht auf", sagt Elmar Schütz . Was er im "Leseviertel" erlebe, sei eines der wenigen Erfolgserlebnisse, die er in zehn Jahren Sozialarbeit bisher gehabt habe. Wer mit Drogenkranken arbeitet, erlebe oft nur den Verfall und wie Menschen trotz aller Hilfe sterben.

Einen so "familiären Charakter" wie im Team des "Leseviertels" wünsche er jedem Arbeitnehmer. Aber für die ehemaligen Drogenkranken sei diese Atmosphäre "besonders wichtig, weil sich viele der Leute durch ihre Krankheit von ihren Familien entfernt haben". Einige seien sogar im Laden, wenn sie gar keinen Dienst haben. Die Zahl der Krankmeldungen gehe gegen Null.

Das Ganze funktioniere aber nur, weil so viele Menschen Bücher, CDs, DVDs und Platten spenden. Über 2000 Bücher sind aktuell im Angebot. "Wir profitieren davon, dass es Menschen schwer fällt, Bücher wegzuwerfen", sagt Schütz.

Wobei es Menschen gibt, die nicht nur wegen der Bücher kommen, sondern um der alten Zeiten Willen. Im Laden steht die Musikbox aus dem Gasthaus Bingert. Die funktioniert zwar nur, wenn man D-Mark-Münzen einwirft - aber die gibt es an der Kasse. Und dann singt Freddy: "Weit ist der Weg". Für die Awo und die Menschen, denen sie unter die Arme greift, hat er sich offenbar gelohnt.

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 9 bis 18 Uhr, Samstag 9 bis 16 Uhr, Informationen: Telefon (06 81) 9 06 69 80

Hintergrund

Das saarländische Gesundheitsministerium unterstützt das "Leseviertel" mit rund 256 000 Euro. Staatssekretär Sebastian Pini sicherte zu, dass das FDP-geführte Ministerium "die bisherigen Anstrengungen des Saarlandes bei der Betreuung von Substituierten weiterführen wird". Am so genannten Methadonprojekt für Substituierte, also Menschen, die Ersatzmedikamente bekommen und weg von Drogen sind, nehmen nach Angaben des Ministeriums regelmäßig 300 bis 350 Personen teil. ols

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