Aus Überzeugung unterwegs

Freisen. Karfreitag, acht Uhr in Freisen. Im Dorf ist es noch ruhig. Nur an der Kirche hat sich eine größere Personengruppe gebildet. Es sind Menschen jeden Alters, Männer, Frauen und ein paar Jugendliche. Sie warten auf den Aufbruch zum Füsselberg."Früher dauerte der Weg dorthin mehr als zwei Stunden", erinnert sich ein älterer Herr

Freisen. Karfreitag, acht Uhr in Freisen. Im Dorf ist es noch ruhig. Nur an der Kirche hat sich eine größere Personengruppe gebildet. Es sind Menschen jeden Alters, Männer, Frauen und ein paar Jugendliche. Sie warten auf den Aufbruch zum Füsselberg."Früher dauerte der Weg dorthin mehr als zwei Stunden", erinnert sich ein älterer Herr. "Er führte durch den Bruchwald und am Steinernen Mann vorbei zum Kreuz. Und das bei jedem Wetter." Seit Jahren schon ist der Weg, den die Prozession nimmt, kürzer. Durch die Schul- und Schlagbaumstraße bis zum 595 Meter hohen Gipfel des Füsselberges ist es nur noch eine Stunde. Das Wetter spielt auch heute noch keine Rolle, die Bittprozession geht, selbst bei Regen und Schnee. Diesmal ist der Himmel bedeckt, die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Unterwegs schließen sich dem Zug immer mehr Leute an. Ortsvorsteher Gerd Staudt betet vor. Mehrere Rosenkranzgesätze gehen den Gläubigen bis zur Ankunft am Seuchenkreuz über die Lippen. "Herr, bewahre uns vor Pest, Hunger und Krieg" lautet die immer wiederkehrende Bitte. Die meisten Prozessionsteilnehmer wissen um die Tradition dieses Ganges am Karfreitag.

Damals, im Jahre 1864, hatten die etwa 200 Bauern im Dorf fast ihr ganzes Vieh verloren. Die Pest hatte es hingerafft und die Bauern binnen kurzer Zeit arm gemacht. Deshalb nahmen sie ihre Zuflucht zum Herrn im Himmel und gelobten eine Bittprozession, damit eine solche Katastrophe nicht noch einmal geschieht. "Heute gibt es ja kaum noch Bauern, und die Pest ist fast ausgerottet, aber die Bedrohungen in der Welt sind nicht weniger geworden", meint eine Frau, die sich seit Jahren verpflichtet fühlt, das Gelübde von damals zu erfüllen.

Kurz nach neun taucht die Spitze der Prozession auf dem kleinen Plateau des Gipfels auf. Fünf Ministranten gehen voran, einer mit dem Vortragekreuz, fast 300 Gläubige folgen. Auch Kinder sind dabei, gehen andächtig an der Hand von Vater oder Mutter. Ein Vater schiebt den Buggy mit dem Nachwuchs vor sich her. Ortsvorsteher Gerd Staudt nimmt seinen Platz vor Kreuz ein, das von blühenden Forsythien flankiert ist. Es ist nicht mehr das gleiche Kreuz, welches die Bauern 1864 aufgerichtet hatten. 1936 war es erneuert worden. Und noch einmal 1959, diesmal aus Stein - für alle Zeit und Ewigkeit. Schon in der Frühe hat ein Freisener Bürger das Kreuz mit Blumen geschmückt.

Im großen Rund stehen die Gläubigen und singen: "Der am Kreuz ist meine Liebe." An viele wird an diesem Morgen im Gebet gedacht: an die Armen und Kranken, an die Gefallenen, Vermissten und die Toten.

Warum sind Sie mitgegangen? Auf die Frage der SZ kommen zwar unterschiedliche Antworten, die jedoch alle auf das gleiche Anliegen zielen. "Die Prozession ist eine große Freisener Tradition und ein Mosaikstein unseres Glaubens" versichert einer der Gläubigen. "Ich finde es gut, dass gerade in der heutigen Zeit dieser Gang zum Kreuz beibehalten wird" eine weitere Antwort. Und ein Mann, der vor vielen Jahren nach Freisen gezogen ist: "Ich stamme zwar nicht von hier, die Gelübdeprozession gehört für mich jedoch seit Jahren zur Karwoche und zu Ostern."

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