Aus der Backstube auf den Teller: Wie Brot gebacken wird

Eigentlich könnte Hans Tinnes jeden Morgen ausschlafen. Es ist halb vier Uhr früh, und ganz Merzig schläft. Doch während die Merziger noch selig in ihren Betten träumen, holt Hans Tinnes gerade das erste knusprig gebackene Brot aus dem großen, heißen Steinbackofen

Eigentlich könnte Hans Tinnes jeden Morgen ausschlafen. Es ist halb vier Uhr früh, und ganz Merzig schläft. Doch während die Merziger noch selig in ihren Betten träumen, holt Hans Tinnes gerade das erste knusprig gebackene Brot aus dem großen, heißen Steinbackofen. "Seit zwei Jahren bin ich eigentlich in Rente", sagt der 66-Jährige und lacht dabei. "Doch ich helfe hier jeden Tag immer noch mit, damit ich nicht einroste."In der Backstube der Merziger Familienbäckerei Tinnes herrscht an diesem Morgen wie üblich Hochbetrieb. Während Senior-Bäcker Hans Tinnes ein Brot nach dem anderen in den 250 Grad heißen Ofen schiebt und mit einem riesigen Holzschieber, im Bäckerjargon auch " Schießer" genannt, wieder herausholt, sind auch die Gebrüder Peter und Hannes Tinnes und ihre Mitarbeiter seit halb zwei Uhr früh fleißig am kneten, formen und belegen. Es ist angenehm warm hier in der weißgekachelten, hell beleuchteten Backstube, und konzentriert arbeiten sie, meistens schweigend, vor sich hin. Jeder Griff sitzt, das Arbeitstempo ist hoch. Peter Tinnes, der vor einem Jahr das Geschäft übernommen hat, steht gerade an der Knetmaschine und mischt die Zutaten für den Roggenmischbrot-Teig: 18 Kilo Roggenmehl werden aus den Mehl-Silos im Keller gesaugt und direkt in die Knetmaschine geblasen. Peter Tinnes schüttet flüssige Hefe, Salz und Wasser in die riesige Schüssel und gibt noch den selbst angesetzte Sauerteig dazu - der das Geheimnis eines guten Brotes ist. "Die Qualität des Brotes wird mit Sauerteig besser", erklärt Peter Tinnes. "Den Unterschied zu einem Brot, das ohne Sauerteig hergestellt wurde, merkt man nicht unbedingt gleich beim Kauf, spätestens aber nach einem halben Tag: Das Brot bleibt länger frisch, es ist von der Säure her etwas milder, und der Geschmack ist abgerundeter."Während die Knethaken monoton den Teig durchpflügen, steht Peter Tinnes bereits an einer großen, mehlbestäubten Holzarbeitsfläche und sticht von einem riesigen Teig kleine Portionen ab, die gewogen und dann von einer Maschine rund geformt werden. 34 verschiedene Brotsorten stellt die Bäckerei Tinnes her, neun davon aus Biovollkornmehl, das von zwei Höfen aus der Umgebung geliefert wird. Bei den Kunden sei das Dinkelbrot der "absolute Renner", betont Peter Tinnes. "Seit über zehn Jahren liegt Dinkel im Trend." Das Dinkelbrot enthalte wenig Reizstoffe und sei deswegen besonders gut zu vertragen - vor allem von Allergikern. Neben dem Dinkelbrot hat es den Kunden das exotisch klingende "Pharaonenbrot" angetan, das aus Kamut-Getreide hergestellt wird: Diese Urform des Weizens stammt ursprünglich aus Ägypten und wurde der Legende nach in einem Pharaonengrab gefunden. Ein Amerikaner brachte dieses Getreide, das in seiner länglich dünnen Form an ein Reiskorn erinnert, nach Amerika und versuchte, es dort anzubauen. Mit Erfolg. Das über 4000 Jahre alte Getreide begann wieder auszutreiben. "Man sagt, dass dieses Getreide von Schadstoffen verschont geblieben sei ", sagt Hannes Tinnes. Dieses ursprüngliche und naturbelassene Lebensmittel ist sehr nährstoffreich und ebenfalls für Weizenallergiker besonders gut verträglich. Inzwischen ist es kurz vor fünf Uhr - gleich öffnet die Bäckerei ihre Türen. Marion Tinnes, Ehefrau des Geschäftsinhabers, und die Verkäuferinnen tragen die frisch gebackenen Backwaren aus der Backstube in den Verkaufsraum, langsam füllen sich die Regale mit Laugenbrezeln, Sesambrötchen, Quarkbällchen und Berliner. Noch immer ist es draußen stockdunkel, doch schon um fünf Uhr kommen die ersten Kunden - viele von ihnen haben noch einen weiten Weg zur Arbeit, fahren zum Teil bis nach Luxemburg oder Richtung Frankreich. Auch der Zeitungsausträger der SZ gönnt sich nach getaner Arbeit eine erste Tasse Kaffee. Kurz vor sechs Uhr sind alle Brote für diesen Tag gebacken, doch für die Tinnes ist noch lange nicht Feierabend: Es gilt, schon für den nächsten Tag vorzubereiten. Ob Peter Tinnes es jemals bereut hat, in die Fußstapfen seines Vaters getreten zu sein? Aufstehen zu müssen, wenn andere noch auf Partys feiern? "Nein", meint Peter Tinnes und schüttelt nachdrücklich den Kopf. "Schon als Schüler habe ich gerne in der Backstube geholfen", sagt der 39-Jährige. "Und es macht Spaß, Produkte herzustellen und dann zu sehen, dass es den Leuten schmeckt." "Mit Sauerteig wird die Qualität des Brotes besser. Das Brot bleibt länger frisch und ist von der Säure her milder."Bäcker Peter Tinnes"Dinkel ist seit über zehn Jahren im Trend. Das Dinkelbrot ist besonders gut verträglich für Allergiker."Peter Tinnes

Auf einen BlickDie Bäckerei Tinnes blickt auf vier Generationen zurück. 1904 gründete Urgroßvater Johann Tinnes die Bäckerei, nachdem er seine Gesellenzeit in Trier verbrachte. Zurück in Merzig mietete er die Bäckerei Rieff, bevor er 1916 die Bäckerei am heutigen Standort in der Schankstraße baute. Während des ersten Weltkrieges bekam sein Sohn Peter Tinnes, der damals 13 Jahre alt war, schulfrei, um zu backen. Der Grund: Sein Vater Johann Tinnes war zum Kriegsdienst eingezogen worden war. 1944 brannte die Bäckerei fast völlig aus, nur der Backofen wurde noch in den Ruinen gefunden. Hans Tinnes übernahm die Bäckerei wiederum von seinem Vater. Vor einem Jahr übergab er das Geschäft an seinen Sohn Peter, der gemeinsam mit seinem Bruder Hannes täglich in der Backstube steht. bali

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