Naturschutz Auch Vögel brauchen einen Personalausweis

Saarlouis · Fangen, Fußring, forschen: Ein Morgen in der drittgrößten Vogelberingungsstation Deutschlands in Saarlouis-Lisdorf.

 Dieser Eisvogel erhält in Lisdorf einen Fußring mit Buchstaben und Zahlen, der ihn wiedererkennbar macht.

Dieser Eisvogel erhält in Lisdorf einen Fußring mit Buchstaben und Zahlen, der ihn wiedererkennbar macht.

Foto: Iris Maria Maurer

Das Säckchen zappelt. Mal nach links, mal nach rechts. Heraus dringt ein leises Piepen. Die Hand von Sebastian Kiepsch öffnet den Knoten an der Schnur des Stoffbeutels und greift hinein. Sekunden später liegt das Köpfchen eines Eisvogels zwischen seinem Mittel- und Zeigefinger. Der übrige Teil des zarten Tierkörpers verschwindet in Kiepschs Handteller. Der Eisvogel schaut verdutzt. Er ahnt nicht, dass er gleich eine Art Personalausweis bekommt und Sebastian Kiepsch dafür jede Menge über ihn erfahren möchte. Alles geht so schnell, dass wenig Zeit für Aufregung bleibt.

Mit geübtem Griff legt Kiepsch einen kleinen Ring um das untere Bein des Vogels und drückt ihn mit einer Spezialzange fest. Das silberne Metall mit eingeprägten Buchstaben und Nummern sitzt. „Es ist ein Weibchen“, sagt Kiepsch, „der Schnabel ist teils rot. Und es wurde in diesem Jahr geboren, das Gefieder leuchtet nicht so wie bei einem älteren Tier“. Jetzt noch schnell mit dem Lineal die Flügellänge messen – 81 Milimeter – und schauen, was der Vogel wiegt. Dafür kommt der Eisvogel kopfüber in einen ausrangierten Metallbecher, der auf einer Waage steht. 37,9 Gramm. „Das ist Durchschnitt. Eisvögel können bis zu 45 Gramm wiegen“, sagt Kiepsch. Seine Hand befreit den Vogel aus dem Spender und öffnet sich. Flügelschläge ­– und ein blau-orangener Punkt verschwindet im Grün von Lisdorf.

Sebastian Kiepsch ist Diplom-Physiker. Seit Juli dieses Jahres leitet er in einer Vollzeitstelle die Vogelberingungsstation des Naturschutzbundes (Nabu) „Mittleres Saartal“ in Saarlouis-Lisdorf. Die Daten von bis zu 15 000 Vögeln erfasst die Station jährlich und leitet sie an die Vogelwarte Radolfzell weiter. Sie gehört damit zu den drei größten Beringungsstationen in ganz Deutschland. Haupt-Geldgeber sind der Naturschutzbund, der Ornithologische Beobachterring Saar und Saartoto. Ziel der Station ist es, dank der Ringe am Vogelfuß möglichst viel über Zugrouten, Artenvielfalt und Standorttreue von zum Beispiel Teich-, Sumpf-, Schilfrohrsängern und Rallen zu erfahren. Oder eben von Eisvögeln.

Wird der kleine Vogel, den Sebastian Kiepsch vermessen hat, irgendwo erneut gefunden, lässt sich viel über sein Verhalten sagen. Wo überwintert er? Wie lange braucht er für den Flug? Gibt es im Bestand einen Rückgang oder breitet sich die Art aus? „Den seltenen Schilfrohrsänger konnten wir ausschließlich über die Beringung im Saarland nachweisen“, erklärt Rolf Klein, Bio-Geograph. Er ist einer von zehn ehrenamtlichen Helfern der Station, die jährlich 5000 Stunden für den Naturschutz arbeiten, und ist seit den Anfängen in Lisdorf dabei.

In Gummistiefeln und mit Fernglas um den Hals steht er in dem etwa fünf Hektar großen Gelände. 1997 war hier noch Ackerland.  Dann kam Ikea, und auf der Fläche der Stadt Saarlouis musste als Ausgleich zu dem Gewerbekomplex ein künstlich angelegtes Biotop entstehen. „Bis 2008 gab es noch keine Station, wir haben damals die Vögel im Auto beringt“, erzählt Klein und lacht. Seine Arme breiten sich aus, und er zeichnet mit den Händen ein Dreieck zwischen Ikea, dem Kraftwerk Ensdorf und der Wohnbebauung in Lisdorf in die Luft: „Das Gelände hier ist wie ein Magnet für die Vögel. Die ganze Natur profitiert von dem Gebiet.“ Tatsächlich schwirrt, quakt, flattert und kriecht es unaufhörlich zwischen Flachwasser, Schilf, Rohrkolben, Hecken und Büschen. Dazwischen ragen etwa vier Meter hohe schwarze Netze in die Höhe. Spezialnetze, für die der Nabu jede Menge Genehmigungen einholen musste.  Das Prinzip: Die Vögel fliegen gegen das Netz und fallen unversehrt in eingewebte Taschen. „Wenn die Netze gespannt sind, sind wir immer draußen, damit keines der Tiere lange warten muss. Wir packen sie dann in die Stoffsäckchen und bringen sie so schnell es geht zum Erfassen. Uns ist es wichtig, den Stress für die Vögel so gering wie möglich zu halten“, sagt Klein.

1899 hat der dänische Lehrer Mortensen erstmals damit begonnen, Vögeln Fußringe anzulegen. Er versah sie mit seiner Adresse und hoffte, der Finder eines Ringes würde ihm per Post antworten. Das Experiment gelang, und die wissenschaftliche Vogelberingung war geboren.

Für Rolf Klein begann die Vogelkunde in Kindertagen mit einer Hausaufgabe. Seine Lehrerin wollte, dass er Vögel dokumentiert, die an das Futterhaus im elterlichen Garten kamen. „Irgendwann hat das Büchlein meiner Lehrerin nicht mehr ausgereicht“, sagt Klein und grinst. Bis heute ist es seine Leidenschaft geblieben. Sein Wissen gibt er jetzt bei Führungen in der Station an Studenten oder Kinder weiter. In seinem Garten in Biringen (Rehlingen-Siersburg) steht die zweite Beringungsstation des Saarlandes. Diese und die Lisdorfer Station sind die beiden größten in Südwestdeutschland im Bereich der Vogelwarte Radolfzell, zu der das Saarland, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zählen. Doch was ist so faszinierend am Beringen? „Man muss einen Vogel haben“, sagt der Inhaber eines Planungsbüros für Natur und Umwelt im Spaß. Und einen Jagdtrieb. Der größte fliegende Schatz, den Klein und Kiepsch bislang gefunden haben, ist der seltenste Singvogel Europas: der Seggenrohrsänger. „Wir haben diese Art vier Mal auf dem Weg nach Afrika beringt. Das sind die einzigen Nachweise im Saarland.“

 Auf der Terrasse der Station: Thorin Hoffmeister (von links) notiert die Daten, Rolf Klein hat die Vögel zuvor aus dem Netz gezogen und Sebastian Kiepsch wiegt und vermisst die Tiere, nachdem sie ihren Ring erhalten haben.

Auf der Terrasse der Station: Thorin Hoffmeister (von links) notiert die Daten, Rolf Klein hat die Vögel zuvor aus dem Netz gezogen und Sebastian Kiepsch wiegt und vermisst die Tiere, nachdem sie ihren Ring erhalten haben.

Foto: Iris Maria Maurer
 Kopfüber steckt der Eisvogel zum Wiegen in einem ausrangierten Metall-Becher.

Kopfüber steckt der Eisvogel zum Wiegen in einem ausrangierten Metall-Becher.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Station sucht ehrenamtliche Helfer. Kontakt: info@beringung-saar.de

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