Armutsrisiken über Generationen vererbt

Petra Erbrath hat bei der Veranstaltung „Frauenarmut stoppen!“ eine wichtige Aufgabe. Die Diplom-Sozialwissenschaftlerin und Diözesanreferentin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands aus Trier stimmt auf das Thema ein. Mit ihr sprach SZ-Redakteur Mathias Winters.

 Petra Erbrath setzt sich bei ihrer Arbeit in Trier für von Armut betroffene Frauen ein. Foto: privat

Petra Erbrath setzt sich bei ihrer Arbeit in Trier für von Armut betroffene Frauen ein. Foto: privat

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Frau Erbrath, "Armut" - was heißt das? Geht es nicht so genannten armen Leuten in Deutschland im Verhältnis zu den allermeisten Ländern auf der Welt eigentlich ganz gut?

Petra Erbrath: Das ist immer relativ. Meines Erachtens geht es um Teilhabechancen. Menschen, die hungern müssen, kein Dach über den Kopf haben, keinen Zugang zu Bildung und keine Gesundheitsvorsorge in Anspruch nehmen können, sind eher die Ausnahmen in Deutschland - aber es gibt sie - die Gründe sind sehr vielfältig. Ich bevorzuge in der Armutsdefinition die Grundlage eines "soziokulturellen Existenzminiums". Das heißt, gemessen wird der Ausschluss von der Teilhabe am gesellschaftlich üblichen Leben und der Mangel an Handlungsressourcen. Ich treffe zum Beispiel immer mehr (ältere) Frauen, die Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hätten, aber aus Unkenntnis und häufiger noch aus Scham Grundsicherungsleistungen nicht in Anspruch nehmen. Sie "sitzen im Winter kalt", kommen nicht mehr zu Veranstaltungen, ziehen sich zurück oder nehmen nicht notwendige medizinische oder pflegerische Unterstützung in Anspruch. Es gibt vielfältige Forschungsergebnisse die deutlich belegen, wie Armutsrisiken über Generationen vererbt werden. In Deutschland ist der Zusammenhang von Herkunftsfamilie und (Aus-)Bildung, sowie Aufstiegschancen extrem im Vergleich zu anderen EU-Ländern.

Inwiefern ist Armut weiblich? Warum lautet der Titel der Diskussionsrunde "Frauenarmut stoppen!"?

Erbrath: Der Titel zielt in zwei Richtungen. Erstens: Es gibt Frauenarmut in Deutschland! Die Ursachen sind: geringere Einkommen von Frauen, weil typische Frauenberufe geringer bewertet werden, weil Frauen wegen Kindererziehung und zunehmend für Pflegetätigkeiten ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, weil Frauen häufig teilzeiterwerbstätig sind, weil Frauen überproportional geringfügig beschäftigt sind, unter Umständen im Niedriglohnbereich. Die Folgen sind geringere eigene Rentenanwartschaften, im Hinterbliebenenfall nur 55 bis 60 Prozent Witwenrente, geringe bis keine zusätzlichen (betriebliche/private) Altersbezüge, im Scheidungsfall unzureichende Altersversorgung (trifft auch für Männer zu). Aktuell sind 43 Prozent der alleinerziehenden Haushalte (überwiegend Frauen) auf SGB-II Leistungen angewiesen. Wichtig: Die Entwicklung der Einkommen in Zusammenhang mit der Wirkung der sogenannten Riester-Renten-Reform führt zu einem drastisch sinkenden Rentenniveau für Männer und Frauen. Zweitens impliziert der Titel eine Umkehr, eine andere Weichenstellung ist möglich.

Auf welchen Ebenen muss was geschehen, damit sich etwas verändert?

Erbrath: Wirtschaft/Arbeitgeber: Bezahlung von Frauenarbeit, Aufstiegschancen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Erziehung und Pflege) für Männer und Frauen, Paradigmenwechsel in den Köpfen der Entscheidungsträger - Frau ist nicht mehr die Dazuverdienerin, hat ein Recht auf eigenständige Existenzsicherung. Politik als Gestalterin: zum Beispiel Steuerrecht - Ehegattensplitting; Sozialgesetzgebung - rentenrechtliche Anerkennung für Erziehungs- und Pflegeleistungen, Rentenreformen. Bei den Individuen: Männer-/Frauen-Rollenbilder. In der Gesellschaft: Wertigkeit von Arbeit, Berufswahl der Frauen.

In Saarlouis werden Ihnen Politikerinnen und Politiker aller Bundestagsparteien zuhören. Richten Sie konkrete Forderungen an sie, vielleicht auch unterschiedliche?

Erbrath: In Kursfassung: Mindestlohn, Reform der "Minijobs", Steuerreform, gleichberechtigte Anrechnung der Kindererziehungszeiten auch für vor 1992 geborene Kinder, statt bedarfsorientierter Grundsicherung eine Sockelrente. Die Forderung nach einer Quote halte ich in der Armutsdiskussion nicht für besonders hilfreich, notwendig ist eine effizientere Gestaltung der familienpolitischen Maßnahmen, die dazu beitragen, verfestigte Rollenstereotypen aufzubrechen.

Wie soll der Abend in Saarlouis laufen, damit er für Sie und das Frauennetzwerk ein Erfolg wird?

Erbrath: Da müssen Sie die Initiatorinnen fragen . Für mich ist die Tatsache, dass ein Frauenbündnis diese Veranstaltung mit dem Thema Frauenarmut durchführt, schon ein Erfolg. Frauenarmut ist in Deutschland kein Thema, mit dem Sie Massen ansprechen - Deshalb freue ich mich auf die Veranstaltung und hoffe auf das Interesse vieler Besucher und Besucherinnen. Und "vor der Wahl ist nach der Wahl", will sagen, wenn es gelingt, verbindliche Aussagen der Parteivertreterinnen zu bekommen, können die Bündnispartnerinnen diese Zusagen nach der Wahl einfordern.

Zum Thema:

Auf einen Blick"Frauenarmut stoppen! Gibt es Wege aus der Armut?" ist der Titel des Themenabends am Dienstag, 2. Juli, ab 19 Uhr im Vereinshaus Fraulautern. Dazu lädt das Frauennetzwerk des Landkreises und der Kreisstadt Saarlouis (siehe "Stichwort") ein.Musikalisch einstimmen werden Hendrik Geidt und Jörg Jenner; sie begleiten damit auch die Zeit zum Netzwerken zum Auftakt des Abends. OB Roland Henz begrüßt, ehe Petra Erbrath, kfd-Diözesanreferentin, ein Impulsreferat hält.Eine Podiumsdiskussion schließt sich an. Mit dabei sind: Nadine Schön, MdB, CDU, Petra Berg, MdL, SPD, Yvonne Ploetz, MdB, Linke, Oliver Luksic, MdB, FDP, Markus Tressel, MdB Grüne, und Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der saarländischen Armutskonferenz. Publikumsbeteiligung ist ausdrücklich erwünscht. Es moderiert Mathias Winters von der Saarbrücker Zeitung. red

Zum Thema:

StichwortIm Frauennetzwerk des Landkreises und der Kreisstadt Saarlouis arbeiten mit:Awo Saarlouis, Schwangerschaftsberatung und Sexualpädagogik; Caritasverband für die Region Saar-Hochwald; Dekanat Saarlouis; Diakonisches Werk an der Saar; DIFA e.V. (Die Initiative Frauen und Arbeit); Förderverein Frauenhaus Saarlouis, Hilfe für Frauen in Not; Frauen aus dem Kreistag und aus dem Stadtrat Saarlouis; Frauenbeirat der Kreisstadt Saarlouis; Frauen Saarlouis der Awo; Frauenbeauftragte der Stadt und des Landkreises Saarlouis; Frauenbeauftragte der Stadt Dillingen; help desc e.V.; Jobcenter des Landkreises; Juz United, Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung; Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd); SaarLandFrauen Kreisverband Saarlouis; Seniorenmoderatorinnen Schwalbach und Saralouis; Zonta Club Saarlouis. red

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