Arm dran im RegionalverbandEine Lawine von Altersarmut und Jugendhilfefällen

Regionalverband. Rund ein Drittel aller Saarländer lebt im Regionalverband (RGV) - darunter auch knapp die Hälfte der saarländischen Hartz-IV-Empfänger: etwa 28 000 Erwachsene und 10 000 Minderjährige. Knapp 25 Prozent der Kinder unter 15 im RGV sind abhängig von Hartz IV. In den anderen saarländischen Landkreisen sind es im Schnitt nur 13 Prozent

 Die Jugendhilfe ist der größte Brocken im Haushalt des Regionalverbandes. SZ-Archiv-Foto: dpa

Die Jugendhilfe ist der größte Brocken im Haushalt des Regionalverbandes. SZ-Archiv-Foto: dpa

Regionalverband. Rund ein Drittel aller Saarländer lebt im Regionalverband (RGV) - darunter auch knapp die Hälfte der saarländischen Hartz-IV-Empfänger: etwa 28 000 Erwachsene und 10 000 Minderjährige. Knapp 25 Prozent der Kinder unter 15 im RGV sind abhängig von Hartz IV. In den anderen saarländischen Landkreisen sind es im Schnitt nur 13 Prozent. Rund 4100 Menschen im RGV beziehen Grundsicherungsgeld (Hartz IV für Rentner). Rund 80 Prozent seines 280-Millionen-Euro-Haushaltes gibt der RGV für Jugend und Soziales aus.Fatale soziale Entwicklungen verschärfen die Probleme beständig. Die SZ will zeigen, an wie vielen Stellen das Räderwerk der Armut ins Leben eines einzelnen Menschen im RGV eingreifen kann. Deshalb konstruierten wir folgende frei erfundene - aber dennoch durchaus mögliche - Lebensgeschichte, deren Details wir auf Fakten aus dem Regionalverband stützen:

Frank ist zehn Jahre alt. Er wohnt mit seiner alleinerziehenden Mutter in Burbach. Sie bekommen Hartz IV. Rund 70 Prozent der Hartz-IV-Empfänger des RGV leben in Saarbrücken. Franks Mutter bewirbt sich unermüdlich. Schließlich findet sie wieder einen Vollzeitjob. Allerdings gehört sie zu den Leuten, die trotz Vollzeitjob nicht genug verdienen, um sich nur damit über Wasser zu halten. Also brauchen die beiden weiter Hartz IV.

So wie ihnen geht es derzeit rund 7400 Menschen im RGV - sie haben einen Voll- oder Teilzeitjob, bei dem sie so wenig verdienen, dass sie nicht ohne Hartz IV auskommen.

Anders gesagt: Rund 27 Prozent aller arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfänger im RGV haben sehr wohl einen Job - und brauchen trotzdem Hilfe vom RGV.

Solange seine Mutter arbeitet, ist Frank meist bei der Oma. Bis sie eines Tages ins Pflegeheim muss. Sie leidet an Demenz. Auch die Oma braucht staatliche Hilfe. Ihre Witwenrente ist klein. Noch kleiner ist der Rentenanspruch, den sie sich mit Gelegenheitsjobs als Geringverdienerin in einer Reinigungsfirma erworben hat.

Wie Franks Oma geht es derzeit rund 1400 Rentnern im RGV. Ihre Zahl wuchs 2011 um 15 Prozent. Im Haushalt des RGV 2012 stehen für diese so genannten "Hilfen zur Pflege" rund 12,5 Millionen Euro bereit.

Experten schätzen, dass rund 8000 Demenzkranke im Regionalverband leben. Die meisten werden allerdings - noch - von Angehörigen gepflegt.

Frank macht Hauptschulabschluss oder mittlere Reife. Denn nur rund 13 Prozent der jungen Burbacher wechseln auf ein Gymnasium. In ländlichen Gebieten - wie im Saarbrücker Stadtteil Ensheim - sind es 68 Prozent (Quelle: Jugendamt des RGV).

Als regelmäßiger Gast im Jugendzentrum (Juz) profitiert Frank vom größten Batzen des Regionalverbandshaushaltes. Das sind die Ausgaben für die Jugendhilfe - 2012 rund 91 Millionen Euro.

Nach der Schule macht Frank eine dreijährige Lehre zum Fachverkäufer. Er wird nicht übernommen und meldet sich arbeitslos. Seit er 17 ist, wohnt er allein. Deshalb hat er Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG 1). Aber er bekommt so wenig, dass er zusätzlich Hartz IV beantragen muss. Später findet er immer wieder Jobs - und verliert sie nach kurzer Zeit. Es gelingt ihm nicht, innerhalb von zwei Jahren zwölf Monate lang sozialversichert zu arbeiten.

Also verliert er auch seinen Anspruch auf ALG 1 und muss jedesmal, wenn er arbeitslos wird, sofort Hartz IV beantragen.

Damit ist Frank nicht allein. Im RGV gab's 2011 bei einem Drittel aller Arbeitslosmeldungen dasselbe Problem.

Später findet Frank für 18 Monate einen Teilzeitjob. Bei dem verdient er aber nicht genug, um sich davon über Wasser zu halten. Also braucht er weiter zusätzlich Hartz IV.

Als er den Job verliert, reicht sein ALG 1 wieder nicht, und Frank muss dazu ebenfalls Hartz IV beantragen. Auch hier ist Frank kein Einzelfall. Im RGV gab's 2011 bei rund 27 000 Arbeitslosmeldungen dasselbe Problem.

Frank erreicht das Rentenalter. Weil er viele Jahre im Niedriglohnsektor arbeitete, zwischendurch mehrfach arbeitslos und oft auf Hartz IV angewiesen war, bekommt er nur eine winzige Rente und muss zusätzlich Grundsicherungsgeld (Hartz IV für Rentner) beantragen. Als er pflegebedürftig wird, bezahlt ihm der RGV "Hilfe zur Pflege". Auch damit ist er nicht allein - wie Jahre zuvor schon seine Oma.

Und Frank ist sowieso bei weitem nicht der Einzige, dem es so gehen könnte, denn 22,1 Prozent aller Beschäftigten im Regionalverband arbeiten derzeit im Niedriglohnsektor. 1999 waren es noch 17 Prozent.Regionalverband. Ein gewaltiges volkswirtschaftliches und soziales Desaster für die Kommunen des Regionalverbandes (RGV) bahnt sich auf dem Arbeitsmarkt an: eine Lawine von Altersarmut und Jugendhilfefällen.

Davor warnten Regionalverbandsdirektor Peter Gillo und der scheidende Chef des Saarbrücker Jobcenters, Wilfried Hose, im Gespräch mit der SZ.

Ihrer Meinung nach ist es unerheblich, dass die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld (ALG 1) im RGV seit 2011 um 16 Prozent gesunken ist. Denn diese Gruppe sei ohnehin unproblematisch.

Fatal seien dagegen die nahezu unveränderte Zahl der Hartz-IV-Empfänger und die ständig wachsende Zahl der Menschen im Niedriglohnsektor. Letztere liegt im RGV derzeit bei 22,1 Prozent (Bundesdurchschnitt: 20,9).

Zu den Hartz-IV-Empfängern zählen neben den Langzeitarbeitslosen auch die so genannten Aufstocker, also Menschen, die so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Hartz IV brauchen. Das sind derzeit rund 7400 im RGV.

Gillo: "Der Aufschwung ging an den Hartz-IV-Empfängern vorbei. Im Moment sind das im Regionalverband rund 38 000 Menschen. Ihnen droht Altersarmut. Und wenn sie pflegebedürftig werden, muss der RGV für sie Hilfe zur Pflege bezahlen." Altersarmut droht allerdings nicht nur den Langzeitarbeitslosen und den Aufstockern, sondern auch den Menschen im Niedriglohnsektor. Sie verdienen meist gerade so viel, dass sie kein Recht auf Hartz IV haben. Aber weil sie als Geringverdiener auch nur wenig in die Rentenkasse zahlen, sind ihre Renten später so knapp, dass sie nicht zum Leben reichen. Also müssen sie als Rentner beim RGV das sogenannte Grundsicherungsgeld (Hartz IV für Rentner) beantragen und anschließend womöglich auch Hilfe zur Pflege.

Dasselbe Problem haben die Menschen, die in manchen ihrer Jobs zwar fair bezahlt wurden, die aber immer wieder für längere Zeit arbeitslos wurden und deshalb nur wenig Rente bekommen werden.

Gillo hat festgestellt: "Die Zahl der Rentner, die Hilfe brauchen, wächst auch im RGV dramatisch - weil zu viele Menschen für Hungerlöhne arbeiten müssen."

Ein weiterer Faktor ist die Landflucht. Hose erklärt: "Immer mehr Ältere ziehen nach dem Ende ihres Erwerbslebens in eine Stadt oder in den RGV. Folglich sind die Probleme mit armen Rentnern auf dem Land bei weitem nicht so drastisch." Zwar übernimmt der Bund einen Teil der Kosten für die Grundsicherung. Gleichzeitig muss der RGV aber erheblich mehr für Hilfe zur Pflege ausgeben.

Was immer der RGV nicht von Bund und Land bekommt, das holt er sich per RGV-Umlage von seinen Kommunen. Dann fehlt's bei denen. Hose folgert: "Miserable Löhne wirken also verheerend auf die kommunalen Finanzen."

Allerdings werden der RGV - und seine Kommunen - nicht nur gezwungen sein, die unzureichenden Renten auszugleichen. "Nebenher" werden sie auch immer mehr für die Jugendhilfe ausgeben müssen. "Denn überall, wo die Langzeitarbeitslosigkeit konstant bleibt, steigen die Kosten der Jugendhilfe", sagt Hose. Und Gillo bestätigt: "So auch im RGV."

Die Jugendhilfe ist mit rund 91 Millionen Euro heute schon der größte Posten im RGV-Haushalt. Dazu gehören die Ausgaben für die Jugendzentren - genau wie die Ausgaben für derzeit jährlich rund 1500 Jugendhilfefälle, zum Beispiel für vernachlässigte Kinder, die der RGV in Obhut nimmt. fitz

Foto: Becker&Bredel

Foto: Wilfried Hose

Meinung

Der soziale

Sandsack

Von SZ-RedakteurJörg Laskowski

 Immer mehr Rentner brauchen Grundsicherungsgeld, um über die Runden zu kommen. SZ-Archiv-Foto: dpa

Immer mehr Rentner brauchen Grundsicherungsgeld, um über die Runden zu kommen. SZ-Archiv-Foto: dpa

Wer braucht den Regionalverband (RGV)? Das fragen sich Tausende seit seiner Gründung 2008. Jetzt wissen wir's. Der RGV ist eine Art sozialer Sandsack, ein Ausputzer oder Elendsstoßdämpfer für das ganze Land. Er hat ein Drittel der Bevölkerung - aber die Hälfte der Hartz-IV-Empfänger. Rund 28 000 Menschen aus dem RGV arbeiten außerhalb - aber 67 000 Menschen von außerhalb verdienen ihre Brötchen im RGV, zahlen ihre Steuern aber woanders. Der RGV ersetzt Sozialämter, Jugendämter, Arbeitsämter. Vielleicht haben seine Schöpfer ja gedacht: Wenn wir Missstände an eine Instanz delegieren, bei der schon keiner den Namen kapiert, dann haben wir die Missstände gleich mitbeerdigt. Aber das klappt nicht. Besonders dann nicht, wenn die Ursache eines Missstandes so einfach zu kapieren ist wie das Wort: Hungerlöhne.

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