Alter Riese soll die kleinen Leute schützen"Wir gehen jeder Beschwerde nach"Wohnungsnot führte 1919 zur Gründung der Siedlungsgesellschaft

Saarbrücken. Rekordverdächtig ist sie - vor allem was ihre Erblasten angeht. Die schleppt sie größtenteils noch aus dem vergangenen Jahrhundert mit. Darunter ein gewaltiges Loch im Geldbeutel und etliche negative Schlagzeilen. Außerdem ist sie erstaunlich alt und groß. Sie kann das Leben ihrer Kunden so stark beeinflussen, wie keine andere städtische Firma

 Beim SZ-Spielplatztest auf der Folsterhöhe 2008: fröhliche Kinder im sauberen Sandkasten vor einem sanierten Beton-Giganten aus den 60er Jahren - dieses SZ-Archiv-Bild veranschaulicht, wie die Siedlungsgesellschaft heute gern gesehen würde. Archiv-Foto: Iris Maurer

Beim SZ-Spielplatztest auf der Folsterhöhe 2008: fröhliche Kinder im sauberen Sandkasten vor einem sanierten Beton-Giganten aus den 60er Jahren - dieses SZ-Archiv-Bild veranschaulicht, wie die Siedlungsgesellschaft heute gern gesehen würde. Archiv-Foto: Iris Maurer

Saarbrücken. Rekordverdächtig ist sie - vor allem was ihre Erblasten angeht. Die schleppt sie größtenteils noch aus dem vergangenen Jahrhundert mit. Darunter ein gewaltiges Loch im Geldbeutel und etliche negative Schlagzeilen. Außerdem ist sie erstaunlich alt und groß. Sie kann das Leben ihrer Kunden so stark beeinflussen, wie keine andere städtische Firma. Die Rede ist von der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft (SGS) - im Volksmund bekannt als "die Siedlung".Gegründet wurde sie schon 1919 (Text unten). Heute ist sie der größte Vermieter der Stadt. Sie hat 860 Gebäude mit 6751 Wohnungen - in denen rund 12 000 Saarbrücker zur Miete leben. Arme wie Wohlhabende. Obwohl nur etwa ein Drittel der SGS-Wohnungen grundlegend saniert ist - also dem aktuellen Standard auf dem Wohnungsmarkt entspricht.

Trotzdem urteilen ihre Mieter meist positiv über die SGS und bescheinigen ihr, sie habe sich "enorm positiv entwickelt" - das versichert jedenfalls ihr Geschäftsführer Manfred Dörr und analysiert: "Uns geht's wie Burbach, wir sind besser als unser Ruf, und unsere Mieter erfahren das auch."

Dörr betrachtet die Siedlung als eine soziale Institution und als ein "Instrument zur Stadtentwicklung", mit dem die Stadt positive Trends auf dem Immobilienmarkt anstoßen kann - aber auch "Fehlentwicklungen" verhindern oder korrigieren. Dörr: "Wir haben von der Stadt den Auftrag, dafür zu sorgen, dass es in Saarbrücken zeitgemäße Wohnungen zu zivilen Preisen gibt. Wenn uns das gelingt, dann beeinflussen wir die Preise auf dem gesamten Wohnungsmarkt der Stadt."

Denn alle anderen Vermieter in Saarbrücken müssen ihre Preise und Angebote - also die Größe und Ausstattung ihrer Wohnungen - an dem messen lassen, was ihr wichtigster Konkurrent, nämlich die Siedlung für das gleiche Geld ins Rennen schickt.

Wenn also die Siedlung ihre Wohnungen systematisch modernisiert und trotzdem weiterhin moderate Mieten fordert, bleibt ihren Konkurrenten nichts anderes übrig, als ebenfalls zu modernisieren - obwohl sie danach ihre Mieten nur so weit erhöhen können, wie das auch die Siedlung macht. Andernfalls würden sie ihre Mieter in die Wohnungen der Siedlung treiben.

Und die SGS kümmert sich nicht nur um die finanzielle und technische Seite des Immobilienmarktes, sondern auch um das Zusammenleben ihrer Mieter. Davon profitierten die Mieter genau wie die SGS. Schließlich sind auch die Atmosphäre und der soziale Frieden in einem Wohnblock, einer Siedlung oder einem Stadtteil mit ausschlaggebend dafür, welche Mieten man dort fordern kann.

Folglich gibt die SGS Geld für sieben Gemeinwesenprojekte der Stadt. Dörr: "Auf diesem Weg helfen wir Menschen, die sich nicht selbst helfen können - und einige davon sind unsere Mieter." Aber außer den Zuschüssen für die Gemeinwesenprojekte - so erklärt Dörr - "schüttet die SGS keinen Cent Gewinn aus, alles andere bleibt in der Gesellschaft". Sowohl die Mieten als auch die Einnahmen aus den spektakulären Wohnungsverkäufen der letzten Jahre.

Die SGS musste nämlich seit 2003 insgesamt rund 1700 Wohnungen - rund 20 Prozent ihres damaligen Bestandes - verkaufen, um sich die finanzielle Basis für die Renovierung der restlichen 80 Prozent zu verschaffen. Denn die SGS hatte 2003 keine Instandhaltungsrücklagen und brauchte deshalb Bankkredite, um ihr Renovierungsprogramm in Gang zu bringen. Die Banken aber wollten der SGS nur dann Kredit geben, wenn die SGS für jedes Projekt einen bestimmten Anteil Eigenkapital mitbrachte.

Und dieses Kapital verschaffte sich die SGS, indem sie Immobilien verkaufte - "quer durch den ganzen Bestand", wie Dörr 2003 formulierte (die SZ berichtete). Von den 1700 verkauften Wohnungen gingen rund 1200 an die private Wohnungsgesellschaft Mondura und 500 an Einzelkäufer. Seit 1998 hat die SGS, laut Dörr, insgesamt rund 170 Millionen Euro fürs Renovieren ausgegeben. Die Gesellschaft brauche aber weitere 100 Millionen, um in den kommenden 15 Jahren all die Wohnungen zukunftsfähig zu machen, an denen die SGS festhalten will und muss, um ihre Funktionen für Stadtentwicklung und Sozialpolitik weiter wahrnehmen zu können. Saarbrücken. In der Kritik stand die Saarbrücker gemeinnützige Siedlungsgesellschaft (SGS) zuletzt Mitte Januar. Damals hatten Bewohner von Siedlungshäusern in der Moltkestraße ihren Pfarrer Thomas Paulussen um Hilfe gebeten, weil sie glaubten, alleine würden sie mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen (die SZ berichtete).

Aber diese Angst - so versichert SGS-Geschäftsführer Manfred Dörr (Foto: M. Meyer) - ist unbegründet: "Wir gehen jeder Beschwerde nach."

In einer Selbstdarstellung der SGS heißt es: "Wo es soziale Probleme gibt, ist es immens wichtig, dass die Menschen sich ernst genommen fühlen." Also müsse die SGS "ihren Kunden ein komplettes Dienstleistungspaket rund um das Wohnen" anbieten und dafür sorgen, "dass die Menschen sich wohlfühlen". Nur so könne sie mit privaten Vermietern konkurrieren.

Also hat die SGS für Notrufe, Schadensmeldungen und Beschwerden ein ganzes System von Anlaufstellen eingerichtet.

Wichtigstes Element ist die Nummer der SGS-Zentrale (06 81) 3 01 60 - betreut von fünf Mitarbeitern, Mo. bis Do. 7.30 bis 17 Uhr, Frei. 7.30 bis 12.30 Uhr. "Wer dort anruft, der verhungert garantiert nicht in der Leitung", versichert SGS-Sprecherin Heike Dillhöfer.

In der Zentrale sitzt auch der SGS-Beschwerdemanager. "Der führt Buch über alles, was bei ihm aufschlägt und an wen er es delegiert", erklärt Dörr. So sei gewährleistet, dass Beschwerden nicht "verloren gehen".

Für Hilferufe, die nach Geschäftsschluss, am Samstag, Sonntag oder an Feiertagen in der Zentrale ankommen, steht von 9 bis 21 Uhr ein technischer Notdienst für Heizungs-, Sanitär- und Elektrotechnik bereit. Außerdem hat die SGS in sechs Wohngebieten Service-Center. In jedem gibt's einen Kundenbetreuer, der quasi als "Vermieter" auftritt, einen Ingenieur oder Handwerker und zwei Hausmeister, die alle sowohl Sprechzeiten im Center anbieten - aber vor allem in den SGS-Häusern auf Achse sind. fitz

Nummern der SGS-Service-Center: Burbach (3 01 63 15), unteres Malstatt (3 01 61 68), oberes Malstatt (30 16 32 15), Folsterhöhe (3 01 63 35), Eschberg (3 01 63 45), Wackenberg (3 01 63 65).

Saarbrücken. 1909 wurde aus St. Johann, Saarbrücken und Malstatt-Burbach die Großstadt Saarbrücken. Sie zog schnell viele Menschen an. Bald herrschte Wohnungsnot. Um dieses Problem zu lösen, gründete die Stadt 1919 ihre gemeinnützige Siedlungsgesellschaft (SGS). Bis 1944 baute die SGS 645 Mietshäuser mit 2717 Wohnungen - parallel dazu baute und verkaufte sie Hunderte günstiger Ein- und Zweifamilienhäuser. 1945 kam eine Zwangspause. Ab 1955 machte die SGS weiter. 1962 begann sie mit den Siedlungen auf dem Eschberg und der Folsterhöhe.

Seit 1990 gilt die SGS nicht mehr als gemeinnützig - und führt den Begriff nur noch im Namen. Damals gründete die Stadt ihre Immobiliengruppe Saarbrücken, bestehend aus SGS und SIB (siehe Info-Kasten oben). Eigentümerin der SGS ist auch heute noch die Stadt - zu 99,07 Prozent. fitz

Nie mehr

so einen Mist

Von SZ-RedakteurJörg Laskowski

Eine ganze Menge Mist haben Kommunalpolitiker im Aufsichtsrat der Siedlung (SGS) seit dem Zweiten Weltkrieg angerichtet (die SZ berichtete) - und das Image der Gesellschaft total ramponiert. Aber in den fetten Jahren war das wurscht. Denn Wohnungen waren knapp. 1993 standen rund 5000 Menschen auf der Warteliste der SGS (die SZ berichtete). Wer Wohnungen vermietete, wurde zum Heilsbringer. Damals hatte die SGS einen "Vergabeausschuss", der entschied, wer welche Wohnung bekam - und in diesem Ausschuss gaben die Politiker den Ton an. Erst 1999 wurden Liste und Ausschuss aufgelöst. Wenig später kam die Rechnung für die Zeit davor: Seit 2003 musste die SGS 20 Prozent ihrer Immobilien verkaufen, sonst hätte sie den Rest nicht renovieren können. So ein Desaster darf sich nicht wiederholen. Die SGS ist eine der wertvollsten Einrichtungen dieser Stadt. Klug geführt taugt sie - heute wie vor 90 Jahren - als Mittel zur Stadtentwicklung und Sozialpolitik. Genau wie es Geschäftsführer Manfred Dörr beschreibt - er hatte das Desaster 1999 von seinen Vorgängern "geerbt".

Wer für die SGS Verantwortung trägt - vor allem die Politiker im Aufsichtsrat - sollte alles tun, damit die Gesellschaft unabhängig und kreditwürdig bleibt. Denn nur wenn die SGS genug zeitgemäße Immobilien hat und Kredite bekommt, um kontinuierlich weiter zu renovieren - nur dann bleibt sie ein Instrument zur Stadtentwicklung und Sozialpolitik. Zurzeit ist sie auf dem richtigen Weg.

Auf einen Blick

Wer heute eine "Siedlungswohnung" mietet, der schließt seinen Vertrag nicht mehr exklusiv mit der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft (SGS) - im Volksmund bekannt als "die Siedlung" - sondern mit der Immobiliengruppe Saarbrücken. Denn die Stadt hat ihre SGS 1990 juristisch neu organisiert. Seither ist die SGS nur noch eine reine "Besitzgesellschaft". Sie ist zwar derzeit Eigentümerin von 860 Gebäuden mit 6751 Wohnungen - aber sie hat kein Personal. Das wurde nämlich 1990 in eine extra Gesellschaft ausgelagert, in die Saarbrücker Immobilienverwaltungs- und Baubetreuungsgesellschaft (SIB). Und die hat heute rund 110 Stellen, auf denen rund 140 Menschen arbeiten.

Gemeinsam bilden SGS und SIB die Immobiliengruppe Saarbrücken. Dabei ist die SIB zuständig für alles, was in privatrechtlichen Mietverhältnissen üblicherweise der Vermieter und die Hausverwaltung erledigen. Alle sechs Servicecenter der Immobiliengruppe und ihr Handwerker-Notdienst gehören also juristisch zur SIB. Auch wenn die Bevölkerung nach wie vor von "den Leuten von der Siedlung" spricht. fitz

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