Alles auf Null!

Mein kroatischer Onkel Karlo interessierte sich nie für Kinder. Ich ließ ich ihm aber keine Chance. Im Urlaub heftete ich mich einfach an seine Fersen. Wir gingen in die Stadt; er trank Bier, ich bekam Eis. Auf dem Rückweg unserer Streunertour schmiss er immer sein Klimpergeld in den damals noch jugoslawischen Acker. Eigentlich, dachte ich, müssten Geldbäume seinen Heimweg pflastern

Mein kroatischer Onkel Karlo interessierte sich nie für Kinder. Ich ließ ich ihm aber keine Chance. Im Urlaub heftete ich mich einfach an seine Fersen. Wir gingen in die Stadt; er trank Bier, ich bekam Eis. Auf dem Rückweg unserer Streunertour schmiss er immer sein Klimpergeld in den damals noch jugoslawischen Acker. Eigentlich, dachte ich, müssten Geldbäume seinen Heimweg pflastern. Mein Vater erklärte mir, dass die jugoslawische Währung Dinar instabil und die Unterteilung in Münzgeld widersinnig sei, weil die kleinen Para-Münzen keinen Wert hätten. "In Ländern, in denen das Kleingeld nichts wert ist, geht es den Menschen nicht gut", sagte er. Deshalb guckt Karlo immerzu so zornig, dachte ich.

Als mein Onkel uns in Deutschland besuchte, hielt er anfangs an seiner Angewohnheit fest. "In unserem Land bringen Pfennige sogar Glück", erklärte ich ihm. Als er abreiste, drückte er mir eine Handvoll Kleingeld entgegen. "Fürs Glück", sagte er augenzwinkernd.

Vor drei Jahren starb mein Onkel. Aber immer wenn ich irgendwo viele kleine Münzen sehe, denke ich an ihn. So wie kürzlich, als ich die kleine Plastikschale in der Total-Tankstelle an der Martin-Luther-Straße 21 entdeckte.

Auf einem gelben Zettel steht: "Wenn Ihnen ein Cent fehlt, bedienen Sie sich! Wenn Sie uns einen Cent schenken, freuen wir uns!" Die Aufforderung funktioniert. Als ich dort war, lagen etwa 30 Cent-Münzen im Schälchen.

Rosita Koslowsky, eine Kassiererin, erklärte mir, man habe die Schale aufgestellt, "weil am Ende einer Schicht die Nullerkasse stehen muss. Da darf kein Cent fehlen." Viele Benzinkunden schießen aber über die Null hinaus. "Dann steht auf der Zapfsäule beispielsweise 20,01. Der Kunde hat aber nur 20 Euro einstecken. Er nimmt sich dann einen Cent raus."

Am Ende eines langen Tages ginge es aber immer auf: "Der eine nimmt sich was raus, der andere wirft einen Cent rein, und unsere Kasse ist auf Null."

Es ist gut zu wissen, wo man in der Stadt einen Glückscent bekommt, finde ich. Und mir zeigte das Schälchen noch etwas: Wir leben in einem guten Land! Und das sage ich, obwohl ich zuvor die Digitalanzeige der Zapfsäule mit dem zornigen Blick meines Onkels taxiert habe.

Was würden Sie gerne auf Null drehen? Schreiben Sie mir eine Mail an marija.herceg@gmx.de.

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