Lagebericht über das Jahr 2021 Saarländischer Verfassungsschutz beobachtet einen „neuen Typ Verfassungsfeind“

Saarbrücken · Die Zahl der Extremisten im Saarland im Jahr 2021 ist gegenüber dem Vorjahr annähernd gleich geblieben. In der Reichsbürgerszene hat der Verfassungsschutz allerdings eine Zunahme ideologischer Handlungen registriert. Zudem beobachtet der Verfassungsschutz nun auch Menschen, die keiner eindeutigen Ideologie zuzuordnen sind.

Saarland: Verfassungsschutz beobachtet einen „neuen Typ Verfassungsfeind“​
Foto: dpa/Arne Dedert

Extremisten, darunter Reichsbürger und Rechtsradikale, wurden im Jahr 2021 immer wieder bei Demonstrationen, vor allem gegen Corona-Maßnahmen, gesichtet. Dabei werde die Trennung zwischen Extremisten und unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern, gerade bei öffentlichen Versammlungen, immer unschärfer, heißt es im Lagebericht des Verfassungsschutzes für das vorherige Jahr.

„Prinzipiell ist die demokratisch-politische Grundordnung im Saarland stabil und wird von der großen Mehrheit der Saarländerinnen und Saarländer gestützt“, sagte Innenminister Reinhold Jost (SPD) bei der Vorstellung des Lageberichts am Freitag vor Journalisten. Dennoch sei zu beobachten, dass extremistische Gruppen Krisensituationen gezielt nutzen, um ihre Ideologien zu verbreiten. Dabei spiele der Anlass der Krise keine Rolle. Vielmehr gehe es darum, für Angst und Verunsicherung zu sorgen und das Vertrauen der Mitte der Gesellschaft in Demokratie und Staat zu schwächen. 2021 diente vorzugsweise die Corona-Pandemie und die damit verbundenen staatlichen Maßnahmen, wie Masken- und Impfpflicht, als Schürfeuer extremistischer Gesinnungen, fasst Jost zusammen.

Verfassungsschutz beobachtet Delegitimierer im Saarland

Im Zuge der, laut Verfassungsschutz, immer schwerer werdenden Abgrenzung wurde im Saarland im Oktober 2021 ein neues Beobachtungsprojekt unter dem Namen „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ gegründet. Im Visier seien auffällige Menschen, die offensichtlich keiner Ideologie oder bestimmten Weltanschauung zuzuordnen seien. Vielmehr dienen ihnen sogenannte „Alternative Wahrheiten“ und Verschwörungserzählungen als Nährboden zur Radikalisierung. „Ihr Agieren ist dadurch geprägt, den Staat, seine Einrichtung sowie seine Repräsentanten, aber auch die Medien, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Sektor, und die anerkannte Wissenschaft zu diskreditieren“, heißt es im Lagebericht. Die Anzahl dieser Personen sei im Saarland derzeit gering und kein Netzwerk zu erkennen, sagte Ulrich Pohl, Leiter des saarländischen Verfassungsschutzes. Dennoch betitelte er die Delegitimierer als einen „neuen Typ Verfassungsfeind“.

Wie bereits in den Vorjahren, wurde auch 2021 eine verstärkte Nutzung der sozialen Medien bei extremistischen Gruppen wahrgenommen. Zum Beispiel diene der Messengerdienst Telegram als „virtuelle Echokammer“ zur Verbreitung von Hetze und Propaganda. Auch Aufforderungen in den sozialen Medien, das herrschende politische System abschaffen und repräsentative Personen absetzen zu wollen, wurden vom Verfassungsschutz festgestellt. Darüber hinaus sei auffällig, dass Rechtsradikale und Reichsbürger nicht nur über das Internet in Verbindung treten, sondern auch im realen Leben miteinander agieren, sagte Pohl. Hier seien die Beobachtungen des Verfassungsschutzes verstärkt anzusetzen.

Steigender Trend hin zur Reichsbürgerszene zu beobachten

Die Ideologie hinter solch staatsfeindlichen Aufforderungen vertreten auch die sogenannten Reichsbürger. Sie lehnen den demokratischen Staat und dessen Rechtsordnung ab und streben nach einem Nationalstaat wie dem Deutschen Reich. Rund 140 Reichsbürger sind dem Verfassungsschutz im Saarland bekannt, davon werden circa 25 als rechtsextremistisch eingeordnet. 2021 gab es, laut Lagebericht, eine Zunahme an verfassungsfeindlichen Handlungen gegenüber dem Staat aus dem Reichsbürgerspektrum. Gemeint ist damit ein Mehr an „Widersprüchen gegen behördliche Entscheidungen“, wie zum Beispiel gegen Bußgeldschreiben und das Ablehnen der Corona-Maßnahmen.

Von der Reichsbürgerszene werde 2022 sogar tendenziell mehr Aktivität ausgehend beobachtet, sagt Pohl. In Hinblick auf die in dieser Woche stattgefundene bundesweite Großrazzia gegen Reichsbürger, die einen Staatsstreich planten, betonte Jost, wie wichtig deshalb der Schutz der Bürgerrechte durch den Verfassungsschutz sei. Pohl ergänzte hinsichtlich der Aktualität des Themas, dass im Saarland keine Überschneidungen von Beamten im öffentlichen Dienst, Bundeswehrsoldaten und Reichsbürgern bekannt seien. Dies gehe auf eine Erhebung der Jahre 2017 bis 2021 hervor. Weitere solcher Untersuchungen seien geplant. Auch seien keine Saar-Reichsbürger bekannt, die über eine Waffenerlaubnis verfügen.

Zahl der Extremisten im Saarland kaum verändert

Die Statistik zeigt: Im rechtsradikalen, linksradikalen und im Feld des Ausländerextremismus stagnieren die Zahlen der Anhänger, die dem Verfassungsschutz im Saarland bekannt sind. Ein plus von 20 Personen ist 2021 allerdings bei Islamisten zu erkennen. Die Zunahme gehe, nach Aussage von Pohl, auf eine neugegründete Moscheengemeinschaft im Raum Völklingen zurück.

Bei den Islamisten sind Salafisten mit circa 360 Mitgliedern als die größte Gruppe gelistet. Deren Motive seien größtenteils politisch orientiert, was nicht gleichzusetzen mit einer Gefahr für die Öffentlichkeit sei, sagte Pohl. Dennoch werden schätzungsweise 36 als gewaltorientiert eingestuft. Das sind zwei mehr als 2020.

Seit vier Jahren habe es im Saarland keine Gewalttaten ausgehend von Linksextremisten gegeben, sagte Jost. Unter den 335 bekannten Extremisten aus dem linken Spektrum schätzt der Verfassungsschutz 65 als gewaltorientiert ein. Das linke Szeneleben sei 2021 weitestgehend durch die Corona-Maßnahmen eingeschränkt gewesen, weswegen wenig Bewegung und Radikalisierung registriert wurde.

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