Mangel an Pflegekräften Vorbild Bergleute: Schulen bald Mitarbeiter aus der Autoindustrie zu Pflegekräften um?
Saarbrücken · Die Saarländische Pflegegesellschaft lässt nichts unversucht, den Mangel an Altenpflegern zu beheben. Kräfte sollen aus dem Ausland angeworben und Beschäftigte aus der schrumpfenden Autobranche umgeschult werden.
Der Mangel an Pflegekräften macht den Heimen und ambulanten Pflegediensten im Saarland zu schaffen. „Es gibt schon wieder vereinzelt Wartelisten in Heimen, und erste Anzeichen deuten daraufhin, dass in den Alten- und Pflegeheimen nicht mehr alle Plätze belegt werden können, weil Pflegekräfte fehlen“, sagt Holger Wilhelm, der Vorsitzende der Saarländischen Pflegegesellschaft. Der Markt für Pflegekräfte sei leer gefegt.
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Saarländischen Pflegegesellschaft, mehr Menschen für die Ausbildung als Pflegekraft zu gewinnen. Die Gesellschaft vertritt alle stationären und teilstationären Einrichtungen der Altenhilfe, alle ambulanten Dienste der Wohlfahrtsverbände sowie mehr als 90 Prozent der privaten Pflegedienste im Saarland. In den 250 angeschlossenen Einrichtungen pflegen und betreuen rund 13 000 Mitarbeiter derzeit etwa 18 000 Pflegebedürftige.
Pfleger werden im ganzen Saarland gesucht, nicht nur von Heimen und mobilen Pflegediensten, sondern auch von Krankenhäusern. „Derzeit werden in den 14 Pflegeschulen und Einrichtungen des Saarlandes rund 3000 Pflegekräfte ausgebildet“, schätzt Jürgen Stenger, der Geschäftsführer der Saarländischen Pflegegesellschaft. „Doch das reicht nicht aus.“ Es gibt allerdings keine Zahlen dazu, wie viele Pflegekräfte wirklich fehlen. Es dürften pro Jahr viele Hundert sein, wenn man eine Hochrechnung der Krankenkasse Barmer für die kommenden Jahre zugrunde legt.
Die Pflegeschulen vermitteln das theoretische Wissen, die praktische Arbeit lernen die Schüler in Heimen, bei ambulanten Diensten und in Krankenhäusern kennen. Ein neues Pflegeberufegesetz hat 2020 dazu geführt, dass die Ausbildung zum Altenpfleger durch eine generalisierte Ausbildung ersetzt wurde. Wer die Pflegeausbildung erfolgreich absolviert hat, kann nicht nur in der stationären und ambulanten Altenpflege arbeiten, sondern auch in der Kranken- und Kinderkrankenpflege. Die Ausbildung für Pflegefachkräfte, für die ein mittlerer Bildungsabschluss notwendig ist, dauert drei Jahre, die Ausbildung für Pflegeassistenten zwei Jahre. Dabei besteht die Möglichkeit, anschließend zwei Jahre dranzuhängen und dann die Prüfung als Pflegefachkraft abzulegen.
Doch der Pflegeberuf hat ein Image-Problem. Da sind sich Holger Wilhelm und Jürgen Stenger einig. „Die Pflegeberufe werden oft schlecht geredet, leider auch von Politikern“, sagt Wilhelm. Ein Irrglaube, der sich hartnäckig halte, betreffe die Bezahlung. Doch die tariflichen Entgelte sind recht gut. „Die Ausbildungsvergütung liegt derzeit im Durchschnitt je nach Ausbildungsjahr zwischen 1200 und 1400 Euro im Monat. Eine Pflegefachkraft verdient zwischen 2600 und 3000 Euro im Monat, hinzu kommen Zuschläge für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit“, informiert Helmut Paulus, der Pressesprecher der Saarländischen Pflegegesellschaft.
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung sieht vor, dass die Pflegekassen ab 1. September 2022 Versorgungsverträge nur noch mit Einrichtungen abschließen dürfen, die nach Tarif bezahlen. „Das wird in vielen Fällen dazu führen, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen steigen wird“, sagt Holger Wilhelm. Daher verfolge die Saarländische Pflegegesellschaft auch das Ziel, in Gesprächen mit Pflegekassen und Politik eine Pflegefinanzierung zu erreichen, die Pflegebedürftige und Angehörige nicht überfordere.
Holger Wilhelm sagt, die allermeisten Pflegekräfte hätten ihren Beruf aus dem inneren Antrieb heraus, Menschen helfen zu wollen, ergriffen. Daher nähmen viele auch Schicht- und Wochenenddienste sowie Einsätze an Feiertagen in Kauf. „Was jedoch immer mehr Mitarbeiter aus dem Beruf raustreibt, ist die überbordende Bürokratie, darunter die Pflicht, jegliche pflegerische Leistung schriftlich dokumentieren zu müssen“, sagt der Vorsitzende der Pflegegesellschaft. Wilhelm kennt dieses Problem nur zu gut, denn er ist auch Landesgeschäftsführer der AWO, die im Saarland 2500 Beschäftigte nur im Bereich der Altenhilfe hat. „Erhebungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass viel zu wenig Zeit für die tatsächliche Pflege bleibt“, sagt Wilhelm.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hätten den bürokratischen Aufwand nochmals deutlich erhöht: „Fortlaufend müssen für die Behörden Statistiken erstellt werden, die unseren Einrichtungen noch zusätzliche Belastungen bringen.“ Gegen solche bürokratischen Vorschriften sei die Pflegegesellschaft jedoch machtlos.
Nach wie vor kommen viele Einsteiger in die Pflegeberufe von den Gemeinschaftsschulen. Die Schulabgänger werden aber auch von Handwerk oder Gastronomie stark umworben. „Wir werden für die Pflegeberufe offensiver werben“, sagt Jürgen Stenger. „Die Attraktivität muss besser vermittelt werden.“ Daher organisiert die Pflegegesellschaft Informationsveranstaltungen an Gemeinschaftsschulen. „Wir haben auch festgestellt, dass gerade im Saarland die Mundpropaganda besonders wichtig ist, um neue Mitarbeiter für die Pflegeberufe zu gewinnen“, sagt der Geschäftsführer. „Wir brauchen allerdings auch eine qualifizierte Zuwanderung, um die Lücke im Pflegebereich schließen zu können“, ergänzt Wilhelm. Dabei sei es sehr wichtig, die ausländischen Arbeitskräfte auch gesellschaftlich zu integrieren, sonst seien sie nicht zu halten. „Das kann die Pflegegesellschaft nicht meistern, das muss verbandsübergreifend erfolgen.“
Die Saarländische Pflegegesellschaft will auch Quereinsteiger gewinnen. Ein Vorbild dafür ist die Umschulung ehemaliger Bergleute zu Krankenpflegern ab Mitte der 90er Jahre, als nach und nach die saarländischen Gruben geschlossen wurden. Holger Wilhelm ist sich bewusst, dass er ein heißes Eisen anpackt. „Aber der Transformationsprozess in der Automobilindustrie hin zu Elektroantrieben und Digitalisierung wird dort zum Verlust von Arbeitsplätzen führen.“ Derzeit ist der Fahrzeugbau für die Wirtschaftskraft des Saarlandes von herausragender Bedeutung. Etwa 44 000 Beschäftigte arbeiten in dieser Branche. Der Verband der Automobilindustrie hält bis 2030 einen Verlust von mindestens 215 000 Arbeitsplätzen in der deutschen Autoindustrie für möglich. Die Saarländische Pflegegesellschaft ist zu diesem Thema bereits im Gespräch mit dem saarländischen Wirtschaftsministerium.
„Im Moment bekommt jeder qualifizierte Bewerber, der Pflegekraft werden will, einen Ausbildungsplatz“, sagt Stenger. „Die Träger könnten die Zahl der Ausbildungsplätze in den Schulen sehr schnell erhöhen, wenn der Bedarf wachsen sollte.“