Nachkriegsarchitektur Wo schnell viel Wohnraum wachsen musste

Saarbrücken · Architekten standen nach dem Krieg auf beiden Seiten der Grenze vor ähnlichen Herausforderungen. Die einst gelobten Lösungen brachten aber Probleme.

Eigentlich war das Thema sehr speziell, fast schon etwas sperrig. Denn es ging jetzt in einem Vortrag im Historischen Museum am Schlossplatz um die „Architektur diesseits und jenseits der Grenze 1945 bis Ende der 1960er- Jahre“. Trotzdem kamen gut 50 Zuhörer, sie sich dafür brennend interessierten, darunter auch einige ausgewiesene Architekturkenner aus Saarbrücken. Der Vortrag der promovierten Kunsthistorikerin Ingeborg Besch und des Architekten Jean Marie Helwig fand in Kooperation mit der Deutsch-Französischen Gesellschaft und auf Einladung des Historischen Museums an ungewohntem Ort statt.

Dieser Architekturabend war nämlich mitten in den Überresten der Ausstellung „Prominente Menschen aus dem Saarland“.

Ingeborg Besch erklärte den Gästen dann auch gleich zu Beginn, dass es die Absicht war, mit diesem Vortrag Neugier zu wecken; denn im September wird der Deutsche Werkbund Saarland eine Ausstellung zu diesem Thema im Pingusson-Bau eröffnen. Um die Besonderheiten der Architektur der 1950er-Jahre zu verstehen, gab die Kunsthistorikerin eine kleine Einführung und brachte es auf den Punkt. „Um die Jahrhundertwende hat die moderne Architektur tief Luft geholt, dann in den 1940er-Jahren die Luft angehalten, in den 50er-Jahren geatmet und in den 60er-Jahren gehechelt“.

Besch konzentrierte sich danach auf den Siedlungsbau der Nachkriegszeit und hier ganz entscheidend auf die Folsterhöhe in Saarbrücken. „Man sieht hier das Serielle in der Architektur“, erklärte sie, indem sie auf die immer gleichen Balkone und Lichtbänder in der sparsamen Plattenbauweise verwies.

Diese Platten wurden 1962 von der Firma Camus-Ditsch in Forbach hergestellt. So konnten damals innerhalb von knapp zwei Jahren 948 Wohnungen in einem 16-geschossigen Wohnhaus, zwei 13-geschossigen Gebäuden sowie in zwei neun- und vier sechsgeschossigen Wohnhäusern errichtet werden.

Um sich auf den Vortrag vorzubereiten, hat Besch das Viertel mehrfach besucht. Und so konnte sie ganz eigene Erfahrungen berichten. „Die Folsterhöhe war seinerzeit ein beliebtes Wohngebiet für Familien mit Kindern. Obwohl sie heute stigmatisiert ist, leben viele Menschen gerne dort. Es ist grün, es gibt Spielplätze, es ist fast wie ein großes Dorf.“ Auf Fotos zeigte sie die Erfolge der Sanierungen, die zur Erhaltung der Bausubstanz notwendig waren. „Dabei sind die alten Kacheln an den Wänden verschwunden. Aber um das zu imitieren, wurden die Gebäude farblich gestaltet“, sagte Besch. Nur die Enge der Laubengänge im 13. Stock, über die man die Wohnungen erreicht, habe sich nicht geändert. „Da konnte ich nicht hergehen, da wird mir schlecht.“

Bei Jean Marie Helwigs Vortrag wurde es für die Gäste etwas schwieriger, genau zu folgen. Das lag einmal an dem lauten und prasselnden Regen auf dem Tonnendach des Historischen Museums, dann aber auch an den Details der gezeigten Abbildungen, die insbesondere für die Zuhörer in den hinteren Reihen zu klein waren. Trotzdem erfuhr man Spannendes aus der Architekturgeschichte Frankreichs.

Neben einigen Erläuterungen zum Siedlungsbau in Forbach zeigte Jean Marie Helwigs Fotos aus den 1920er- und 30er-Jahren, die offenbarten, dass die französische Architektur dieser Zeit ornamentaler war als in Deutschland.

Insbesondere das Pariser Palais de Chaillot von Louis-Hippolyte Boileau wurde von ihm angesprochen. Mit diesem Gebäude verglich er den Pingusson-Bau in Saarbrücken. „Pingusson hat mit der langen Außentreppe den Garten integriert“, berichtete er. Und er schloss seinen Vortrag in deutscher Sprache mit der französischen Zusammenfassung, dass die ehemalige französische Botschaft von einer Modernität sei, „avec un goût du Palais de Chaillot“.

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