Wenn Rechtsmediziner Fotos analysieren Warum Schwindeln bei Blitzer-Fotos sinnlos ist

Saarbrücken · „Das auf dem Foto bin nicht ich!“: In solchen Fällen sind Saarbrücker Experten gefragt. Ihre Arbeit ist aufwendig – und das Ergebnis meist eindeutig.

 Dr. Daniela Bellmann vergleicht am Computer das Blitzer-Foto mit dem nachgestellten Bild der beschuldigten Person.

Dr. Daniela Bellmann vergleicht am Computer das Blitzer-Foto mit dem nachgestellten Bild der beschuldigten Person.

Foto: Iris Maria Maurer

Ein heller Blitz, ein lautes Fluchen und wenige Tage später ein Brief mit einem Foto in der Post, verbunden mit der Aufforderung, wegen zu hohen Tempos eine Strafe zu zahlen. Doch längst nicht jeder akzeptiert den Bescheid klaglos. Sagt ein Beschuldigter:, „Das auf dem Bild bin nicht ich!“ und legt Widerspruch ein, ist dies ein Fall für Dr. Daniela Bellmann und ihre Kollegin Susanne Kirsch am Institut für Rechtsmedizin am Klinikum Saarbrücken (Remaks). Denn anders als etwa in Frankreich, wo der Fahrzeughalter haftet, muss in Deutschland dem konkreten Verursacher der Verstoß nachgewiesen werden.

„Die Qualität der Blitzer-Fotos ist extrem unterschiedlich“, sagt Gutachterin Bellmann. So gehe es mitunter in einem vom Rechtsanwalt oder Richter bestellten Vorabgutachten zunächst einmal um die Frage, ob das Foto verwertbar ist. „Auf dem Bescheid kann das Foto schlecht ausgedruckt sein oder es ist verzerrt, weil es in ein anderes Format geschoben wurde“, sagt die Rechtsmedizinerin. Anhand des Originalfotos entscheiden sie, ob eine gründliche Analyse möglich ist und sich ein Verfahren überhaupt lohnt. „Ist das Bild zu schlecht, hat der Geblitzte Glück gehabt“, sagt sie. Zu sicher dürfe sich niemand fühlen, dessen Gesicht halb vom Lenkrad verdeckt wird, auf dem Bild zur Seite schaut oder die Hand vor dem Gesicht hat: „Bei einer guten Auflösung reicht manchmal auch nur ein Ohr zur Identifizierung“, sagt Bellmann.

Die Kläger – tendenziell seien dies eher Männer – wohnen in ganz Deutschland. Entweder müssen die Gutachterinnen vor dem jeweiligen Gericht erscheinen und am Termin einen Vergleich zwischen Blitzer-Foto und Beschuldigtem ziehen, oder aber der Betroffene muss zum Nachfotografieren in Saarbrücken oder einem anderen Institut erscheinen. Das klingt zunächst leichter als es tatsächlich ist: „Ein dreidimensionales Objekt wie einen Kopf zweidimensional darzustellen, gelingt nie absolut“, sagt die 47-Jährige und zeigt auf den Bildschirm ihres Computers, wo sie ein eigenes Blitzer-Foto mit einem nachgestellten Foto vergleicht: „Es kommt darauf an, wie der Kopf geneigt, gekippt und gedreht ist.“ In den seltensten Fällen würden die Fahrer frontal erfasst, ein Abgleich mit einem Passbild sei daher unmöglich.

Ohnehin sei bloße optische Wiedererkennung trügerisch, sagt Bellmann. Es gebe sogenannte „falsche Zwillinge“, die von Außenstehenden wegen ihrer verblüffenden Ähnlichkeit für Geschwister gehalten werden, aber tatsächlich nicht miteinander verwandt sind. Ein Gutachten zeige die Unterschiede auf. Das gelinge auch bei echten Zwillingen: „Je älter Zwillinge sind, desto besser sind sie unterscheidbar, da der Faltenwurf individuell ist“, sagt Bellmann.

Die Analyse dauert mehrere Stunden. Um die Proportionen vergleichen zu können, legt die Rechtsmedizinerin per Photoshop auf das Blitzer-Foto Hilfslinien zwischen den Lidachsen und eine zweite durch die Mundspalte. Das Vergleichsbild wird an diese Hilfslinien angepasst, sodass bei beiden Personen der Abstand zwischen Augen und Mund der gleiche ist. „Auf diese Weise fällt auf, wenn Proportionen anders sind“, erklärt Bellmann. Sie markiert auf ihrem Foto Nasenhöhe und Nasenbreite mit roten Punkten und legt diese Folie über ihr Blitzer-Foto. Das Ergebnis wenig überraschend: „Passt gut“, sagt sie.

Proportionen alleine reichten nicht aus, um sagen zu können, ob es die gesuchte Person ist oder nicht. Daher vergleichen die Gutachterinnen zudem die Merkmale etwa von Ohren, Nase und Mund im Detail. Das ist Feinarbeit. Etwa für die Nase werden Nasensattel, -rücken, -kuppe, -boden, -abhang, -öffnung und -flügel genau betrachtet. Allein der Nasenflügel wird in sieben Unterkategorien wie Wangenansatz, Nasenflügelfurche oder Unterrand näher betrachtet. Der Unterrand wiederum wird unterteilt in stark/gering geschwungen, konkav/konvex/gerade, breit/schmal und aufgeworfen.

Am Ende steht ein Näherungswert, wie wahrscheinlich die beschuldigte Person diejenige auf dem Foto ist. Mindestens 50 Prozent Übereinstimmung müssen gegeben sein. „Wahrscheinlich, hochwahrscheinlich, höchstwahrscheinlich oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identisch/nicht identisch steht es dann im Gutachten. Welches Prädikat für eine Verurteilung erreicht sein muss, sei je nach Gericht und Richter unterschiedlich: „Manchen Richtern reicht ein ,wahrscheinlich identisch’ aus, andere wollen mindestens ein ,hochwahrscheinlich identisch’“, berichtet Bellmann.

Zwischen 250 und 300 Gutachten fertigen die Rechtsmedizinerinnen pro Jahr an. Hinzu kommen zirka 20 Fälle, in denen es um Aufnahmen von Überfällen auf Banken und Tankstellen geht. Ihre Zuständigkeit geht weit über das Saarland hinaus bis nach Koblenz, Montabaur, Sinsheim und Heilbronn.

In fast dreiviertel aller Fälle kommen die Rechtsmedizinerinnen zu dem Schluss, dass es sich auf dem Blitzer-Foto um die beschuldigte Person handelt. Diese muss dann für das Gutachten eine fast vierstellige Summe zahlen. Hinzu kommen die Kosten für Anwalt, Verfahren und ein mögliches technisches Gutachten, wenn der Betroffene das Messergebnis anzweifelt. Die Kosten überstiegen oft den Streitwert, nicht immer hätten die Beschuldigten eine Rechtsschutzversicherung, sagt Bellmann.

Angefochtene Bußgeldbescheide über 1600 Euro seien Extremfälle, viele fürchteten den Verlust des Führerscheins. „Oft geht es aber auch ,nur’ um 70 oder 80 Euro“, sagt sie. Vielen gehe es ums Prinzip – oder die Betroffenen wüssten genau, dass sie es nicht waren. Ungelöst bleibt ein besonders kurioser Fall, sagt die Gutachterin: „Der Fahrer trug dabei eine Maske ähnlich der im Horrorfilm ,Scream’“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort