Serie Architektonische Entdeckungen Farb- und Formgewitter im grauen Kleid

Saarbrücken · Campus, Gebäude D 4.1: Walter Schrempfs Mensa der Uni von 1970 ist ein geglücktes Beispiel für das Bauen mit Beton.

 Beton-Architektur, die in den späten Sechzigern entstand, muss nichts Bunkerhaftes an sich haben. Die Mensa der Saar-Universität liefert mit dem Zusammenspiel von Kunst und Farbigkeit den Beweis.

Beton-Architektur, die in den späten Sechzigern entstand, muss nichts Bunkerhaftes an sich haben. Die Mensa der Saar-Universität liefert mit dem Zusammenspiel von Kunst und Farbigkeit den Beweis.

Foto: Marco Kany/www.marcokany.de

Gebäude können „schön hässlich“ sein. Mit einem wohlig-warmen Gruseln wendet sich das Interesse der architekturinteressierten Öffentlichkeit dem Brutalismus zu: Fünfzig Jahre nach seiner Entstehung bietet diese beton-verliebte und das Monument nie scheuende Architekturströmung der Nachkriegszeit eine Mischung aus Schauer und Courage. Schon das Wort „Brutalismus“ klingt wie ein Videospiel – hartnäckig hält sich das Gerücht, dass die „nackte, graue“ Architektur der 60er Jahre etwas immanent „Brutales“ an sich habe und deshalb so genannt worden sei. Dass das Wort vom französischen „brut“ („roh“) stammt und auf die Architektur bezogen allein „unverkleidet“ bedeutet, will die Welt nicht wissen. In Saarbrücken beweist ein Gebäude, dass „rohe“ Betonarchitektur nicht bunkerartig wirken muss, sondern ganz im Gegenteil ein Feuerwerk der Gestaltungsfreude, Kunst und Farbigkeit sein kann.

Den Begriff „Brutalismus“ hatte der englische Architekturkritiker Reyner Banham zur Bauzeit des Gebäudes geprägt: Die Mensa der Universität des Saarlandes ist ein Meisterwerk des Stahlbetonskelettbaus. Ihr Architekt Walter Schrempf verstand es wie kein Zweiter, der Sichtbetonbau-Mode seiner Zeit zum höheren Dasein als Großskulptur und Gesamtkunstwerk zu verhelfen: Eine Überfülle von exaltierten, geometrischen und vielfarbigen Plastiken von Otto Herbert Hajek macht das Uni-Gebäude zum Kunstraum.

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Faszinierende Architektur in Saarbrücken

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Foto: Tobias Fuchs

Hajeks Beiträge zur Documenta II und III hatten dem tschechisch-süddeutschen Künstler vor seinem Auftrag im Saarland Renommee, Aufmerksamkeit und Wertschätzung verschafft. Die Kombination Schrempf/Hajek war ein Glücksfall: Denn Schrempfs Mensa, allein vertikal und horizontal geschalt und in einem strengen Zwölf-mal-zwölf-Meter-Raster angelegt, ist der ideale Hintergrund für Hajeks abstrakte „Kunst am Bau“.

Die 60er-Jahre waren die Dekade der Massenmobilisierung und der überall aufkommenden Fußgängerzonen – und die mussten allerorts mit abstrakten Skulpturen à la Hajek möbliert werden. Während solche Plastiken heute oft nicht mehr hoch im Kurs stehen und „Kunstwerke am Bau“ dieser Zeit oft wie lustlos angesteckte Broschen wirken, sprengten Hajeks Architekturgestaltungen die herkömmliche Dimension der Bildhauerei. Vier große Oberlichter bringen Tageslicht in die Tiefe des quadratischen Grundrisses. Küche und Speisesaal liegen im Obergeschoss. Studenten und Dozenten speisen wie in einer begehbaren Skulptur in Primärfarben.

In Saarlouis zeugt die „Zeichen flügelt im Raum“ genannte Skulptur in der Kaiser-Wilhelm-Straße von Hajeks Talent und vor der Mensa selbst der „Rosengarten“, eine wahre Betonwüste. Dieser „Garten“ besteht aus 400 quadratischen Betonpfeilern. Auf 16 Feldern hat Hajek je 25 „Betonrosen“ mit Rot, Blau und Gelb überziehen lassen. Ein Fanal des formlosen Materials „béton brut“. Die 1960er-Jahre, in denen derart harte Oberflächen und spröde Gestaltungen en vogue waren, waren das Zeitalter der Studentenunruhen, des aufkommenden Links-Terrorismus; im Baujahr der Mensa wurde die RAF gegründet. In Amerika waren Rassenunruhen. Kritiker sehen einen Zusammenhang zwischen diesen Umständen und den wehrhaften Fortifikationsarchitekturen, in die sich die höheren Gesellschaftsschichten zurückzogen und vor dem „Druck der Straße“ ein anschlagssicheres Refugium suchten.

Für die Mensa der Universität des Saarlandes betrachtet, mögen diese Phobien übertrieben erscheinen. Tatsächlich ist die Mensa mehr als nur eine schrill gestaltete Beton-Skulptur zum Essen, denn architektonischer Raum und künstlerische Form durchdringen sich. Der große Speisesaal im Zentrum des dreigeschossigen Würfels ist eine großartige Raumplastik. Geometrische Elemente wie Reliefs, Wandscheiben, Platten und Stege durchwirken ihn und unterteilen ihn und erstrahlen in leuchtenden Primärfarben. Schon seit 1997 steht die Mensa unter Denkmalschutz. Herbe Baukunst und knallige Bildkunst bedingen einander.

Die Mensa wirkt keinesfalls kalt: Auf Aug- und Handhöhe hat Schrempf warme, weiche Materialien verwendet. Braune Holzpaneele kontrastieren mit der Waffeldecke in „frischem Steingrau“ wie Loriot es genannt hätte. Nicht zuletzt weil das zweite Meisterwerk des Architekten Schrempf in Saarbrücken, die ehemalige Autobahnraststätte „Goldene Bremm“, durch das Schengener Abkommen ihre Funktion verloren hat und verfällt, verdient die Mensa im Saarland besondere Aufmerksamkeit und Pflege. Denn das Gebäude repräsentiert wie kein zweites in Saarbrücken einen Zeitgeschmack. „Brut“ bezeichnet ja auch feinsten, herben Champagner.

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