Wir... Schauen Düstere Dystopien und dubiose Drogengeschäfte
So viele Serien, so wenig Zeit! Das gilt sogar in der Corona-Krise: Das Streaming-Angebot ist einfach zu üppig. Als Entscheidungshilfe haben unsere Volontäre ihre persönlichen Tipps für den Serienabend zusammen gestellt.
Zeitreise durch die Serienlandschaft
Ein Terrorist stiehlt eine im Geheimen entwickelte Zeitmaschine, um die Geschichte zu verändern. Damit das nicht geschieht, reist ihm ein hastig zusammengewürfeltes Trio, bestehend aus einer Geschichts-Professorin (Abigail Spencer), einem Delta-Force Soldaten (Matt Lanter) sowie einem Programmierer (Malcolm Barret), hinterher. Dabei verschlägt es das ungleiche Team an verschiedene historische Wendepunkte, wie etwa die Hindenburg-Katastrophe, die Schlacht von Alamo, in den Ersten und Zweiten Weltkrieg, oder in die Zeit der Watergate-Affäre. Fehler darf sich das Heldenteam dabei nicht erlauben. Nicht nur, weil diese gravierende Auswirkungen auf unsere Gegenwart hätten, sondern weil sie auch nur einmal in ein und dieselbe Zeit zurückreisen können.
Die NBC-Serie „Timeless“, die man momentan auf Netflix sehen kann, wirkt fast so, als sei sie selbst das Produkt einer Zeitreise in die Serienlandschaft der 80er und 90er Jahre. Produktionen wie „Sliders“ und „Seven Days“ dienten hier sichtbar als Vorbild. Ein Déjà-vu hatte wohl auch der spanische Konzern Onza Entertainment. Dieser verklagte die „Timeless“-Produzenten, weil deren Serie angeblich zu große Parallelen zu einer eigenen Fernsehsendung des Konzerns aufwies.
Dennoch schafft es die NBC-Produktion, an manchen Punkten eine eigene Note zu setzen, die sie von den anderen Serien unterscheidet. So wird die Schnitzeljagd durch die Weltgeschichte ab der zweiten Hälfte um eine recht interessante Interpretation des Prinzips von Schläferzellen ergänzt.
Auch die Darstellung der verschiedenen historischen Schauplätze wirkt detailgetreuer als man es von vergleichbaren Serien gewohnt ist. Dagegen wirken die Charaktere oft stereotypisch. Deren Entwicklung ist – bis auf einige überraschende Ausnahmen – zudem recht vorhersehbar. Vielmehr sind es die offenen Fragen, die die große Rahmenhandlung vorantreiben sowie die passend gesetzten Cliffhanger, die Lust auf mehr machen.
Timeless, USA 2016-2018. Genre: Science Fiction, Drama, Action. Folgen: 28 in 2 Staffeln. Verfügbar auf: Netflix
Bei Serien keine Experimente
„Breaking Bad“ (dt. „vom rechten Weg abkommen“) erzählt die verhängnisvolle Geschichte des Chemie-Highschoollehrers Walter White (Bryan Cranston) im US-Bundesstaat New Mexico, der eines Tages unerwartet eine Krebsdiagnose verkraften muss.
Besorgt um die Zukunft seiner Familie sucht er nach Wegen, die beiden Kinder und seine Frau finanziell abzusichern. Der Chemieexperte mit lausigem Gehalt erfährt durch Zufall bei einem Einsatz seines Schwagers Hank, der bei der Drogenfahndung DEA arbeitet, wie leicht sich mit dem Kochen von Crystal Meth Unmengen an Geld scheffeln lassen. Seinen ehemaligen Schüler Jesse (Aaron Paul), seines Zeichens liebenswerter, aber immer in Schwierigkeiten steckender Drogendealer, kann er für die Sache gewinnen.
Nach kurzer Zeit gelingt es ihnen, das beste Crystal Meth des Landes herzustellen und so den Zorn der Konkurrenz auf sich zu ziehen. In Folge eins überschlagen sich die Ereignisse und die Handlung entwickelt sich äußerst dynamisch. Walter und Jesse, alles andere als klassische Kriminelle, geraten nach und nach immer tiefer in einen Strudel aus zwielichtigen Dealern, windigen Geschäftsleuten und mächtigen Kartellen.
Der Reiz der Serie steckt meiner Meinung nach in der Dynamik der Serie. Vor allem Walter White macht im Laufe der Handlung eine unglaubliche Verwandlung durch. Zunächst ein prüder, liebenswerter und immer anständiger Familienvater wird er immer tiefer in die Welt der Kriminalität hineingezogen und entwickelt sich dabei schlussendlich selbst zu einem der mächtigsten und skrupellosesten Bosse unter ihnen. Die ungewollte, aber durch zahlreiche Ereignisse erzwungene Veränderung der Persönlichkeit, in vielen spannenden Einzelgeschichten erzählt, die alle ineinander greifen, macht für mich den Charme der Serie aus. Aber auch die Lebensgeschichten der Nebendarsteller werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Auch an ihrem Schicksal nimmt der Zuschauer Anteil – Mitfiebern garantiert.
Breaking Bad, USA 2008-2013. Genre: Drama/Krimi. Folgen: 62 in 5 Staffeln. Verfügbar auf: Netflix
Blick in seelische Abgründe
Was geht im Kopf eines kranken Stalkers vor? Eine Frage, die sich wohl viele stellen, wenn die Medien wieder über einen Fall berichten. Doch irgendwann gesteht sich jeder Normalsterbliche ein, dass er eigentlich nicht wissen will, was diese Täter wirklich denken und fühlen. An genau dieser Stelle setzt die Netflix-Serie „You“ ein. Das amerikanische Original begnügt sich mit dem Ein-Wort-Titel. Für den deutschen Markt kam der Zusatz „Du wirst mich lieben“ hinzu, der durchaus erste Rückschlüsse auf den Protagonisten Joe Goldberg zulässt.
Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Caroline Kepnes. Im Fokus steht der von Penn Badgley gespielte New Yorker Buchhändler Joe Goldberg. Nach außen wirkt Joe wie ein introvertierter Bücherwurm. Doch als er ein Auge auf die Studentin Guinevere Beck (Elizabeth Lail) wirft, wird deutlich, dass in ihm eine dunkle Seite schlummert.
Zunächst scheint seine Internetrecherche über Beck eine Lappalie zu sein, aber daraus entwickelt sich schnell eine Besessenheit. Joe weiß, wo Beck ist, was sie tut, was sie fühlt und denkt. Das beängstigende und krankhafte Verhalten des Protagonisten sorgt bei den meisten Zuschauern für Gänsehaut. Doch daran ist nicht nur Joe schuld, sondern auch die Erkenntnis, dass soziale Medien einen gläsernen Menschen aus uns machen, wenn wir zu viel von uns preisgegeben. Mit jedem Foto, jedem neuen Status verraten wir der Welt ein bisschen mehr über uns.
Die Besetzung der ersten Staffel ist eine Freude für Serienfans. Penn Badgley spielte bis 2012 eine Hauptrolle in der Teenieserie Gossip Girl und Elizabeth Lail dürfte vielen aus der Märchenadaption Once upon a time bekannt sein. Ebenso mit von der Partie ist Shay Mitchell, die mit der Mysteryserie Pretty Little Liars ihren Durchbruch feierte.
Der Streamingdienst Netflix hat mittlerweile zwei Staffeln veröffentlicht. Eine dritte mit zehn weiteren Folgen ist für 2021 angekündigt worden.
You – Du wirst mich lieben, USA seit 2018, Genre: Drama, Thriller. Folgen: 20 in 2 Staffeln (laufend). Verfügbar auf: Netflix
Die Hölle nach der Apokalpyse
Ich habe das Gefühl, es gibt gerade zwei Wege mit der Krise umzugehen: Die einen lenken sich mit positiven, eher leichten Inhalten ab, während es andere zu apokalyptischen Serien und Filmen zieht. Ich gehöre zu Letzteren und würde allen, denen es ähnlich geht, „The Handmaid’s Tale“ (deutsch: „Der Report der Magd“) empfehlen. Die amerikanische Fernsehserie, die 2017 an den Start ging, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Margaret Atwood aus dem Jahr 1985. Allerdings geht der Serienplot weit über die von Feministinnen gefeierte Buchvorlage hinaus.
In The Handmaid’s Tale wird eine dystopische Vision der Vereinigten Staaten in einer nicht allzu fernen Zukunft entworfen. Die wenigen Frauen, die nicht durch eine große Umweltkatastrophe unfruchtbar geworden sind, werden als Mägde zum Eigentum der herrschenden Männer und zu Gebärmaschinen degradiert. Eigene Kinder hat man ihnen entzogen, um sie an auserwählte Familien weiterzugeben. Im neu entstandenen, totalitären und theokratischen Staat Gilead ist die Gesellschaft streng hierarchisch nach Funktion und Geschlechtern unterteilt. Die totale Überwachung an diesem düsteren Ort findet Ausdruck in der formelhaften Sprache, derer man sich hier bedient. „Unter seinem Auge“ geschehen grausame Verbrechen an allen, die sich der neuen Gesellschaftsordnung zu entziehen versuchen. Die einzige Hoffnung der Magd Desfred – ihr Name zeigt an, dass sie dem Kommandeur Fred gehört – ist das Gerücht, dass sich im Untergrund der Widerstand formiert.
Die Dramaserie, von der mittlerweile drei Staffeln existieren und eine vierte schon in Planung ist, ist nichts für Zartbesaitete. Im überragenden Mienenspiel von Hauptdarstellerin Elisabeth Moss (Magd Desfred) wird der zunehmende Wahnsinn dieser aus den Fugen geratenen Welt sichtbar. Ich habe mit ihr gelitten und wie sie erst nach und nach Einblicke in das perfide System des Unrechtstaates gewonnen, das letztlich allen die Unschuld raubt.
The Handmaid’s Tale, USA seit 2017. Genre: Drama. Folgen: 36 in 3 Staffeln (laufend). Verfügbar auf: MagentaTV (3 Staffeln), Amazon Prime (2 Staffeln)
Mysteriöses „Made in Germany“
Im Sommer 2019 bringt sich ein Mann um. Seinen Sohn trifft der Selbstmord des Vaters so hart, dass er in psychiatrische Behandlung muss. Als er Monate später wieder in die Schule zurückkehrt, wird ein anderer Junge aus der Stadt seit zwei Wochen vermisst. Die Polizei tappt im Dunkeln.
Das ist die passenderweise düstere Ausgangslage der Serie „Dark“ (dt. „dunkel“). Sie ist die erste deutschsprachige Eigenproduktion des US-Streaming-Anbieters Netflix – ein sogenanntes Netflix-Original. Die erste Staffel erschien im Dezember 2017, spielt aber im November 2019. Zur Erstveröffentlichung lag die Handlung also noch in der Zukunft, inzwischen liegt der Serien-Anfang in der Vergangenheit. Doch das ist für Dark kein Problem: Die Serie erzählt ihre Handlung nämlich nicht linear, sondern hantiert mit Zeitreisen.
Dabei schafft Dark etwas, woran unzählige Filme und Serien, die mit Zeitreisen herumspielen, bislang gescheitert sind: Sie schaffen es, die Sprünge zwischen den einzelnen Zeiten übersichtlich zu halten und den Zuschauer nie zu verwirren. Und das, obwohl Dark in der zweiten Staffel mit nicht weniger als fünf verschiedenen Handlungs-Zeitpunkten jongliert. Immer ist klar, was wann passiert und in den entscheidenden Momenten werden weitere Zusammenhänge eröffnet, die nach und nach ein immer klareres Gesamtbild des Geschehens zeichnen. Wenn das jetzt ziemlich vage klingt – das muss so sein, um dem Einsteiger die Freude an der Serie nicht zu nehmen. Also empfehle ich: Reinschauen und sich selbst überzeugen.
Nur eines sei zur Warnung gesagt: Inzwischen gibt es zwei Staffeln, eine dritte und voraussichtlich finale Staffel ist derzeit in der Mache. Die ersten beiden Staffeln werden aber lange vor Ende der Corona-Krise verschlungen sein. Das Warten auf die dritte Staffel wird dann schwerfallen. Aber im Umgang mit dem Ungewissen müssen wir uns in der aktuellen Krise ohnehin üben.
Dark, Deutschland seit 2017. Genre: Thriller, Science-Fiction, Mystery. Folgen: 18 in 2 Staffeln (laufend). Verfügbar auf: Netflix
College-Chaos mit ganz viel Herz
Produzent Dan Harmon ist seit seiner anarchischen Cartoon-Schöpfung „Rick and Morty“ jedem Serienjunkie ein Begriff. Wieso eines seiner früheren Projekte vielen unbekannt ist, verstehe ich allerdings bis heute nicht. Wobei: Das scheint sich gerade zu ändern, denn seit Netflix „Community“ im Angebot hat, findet sich die Serie praktisch ununterbrochen in den Top Ten des Streaminganbieters. Völlig zurecht!
Story: Jeff Winger (Joel McHale) verliert als windiger Anwalt seine Zulassung, als bekannt wird, dass er eigentlich keinen gültigen Abschluss hat. Den möchte er nun so stressfrei wie möglich am Greendale Community College nachholen – einem Sammelbecken für gescheiterte Existenzen, Außenseiter und Menschen, die nichts Besseres mit sich anzufangen wissen. Beim Versuch, sich am ersten Tag an die hübsche Mitstudentin Britta heran zu machen, hat er plötzlich eine Lerngruppe am Hals, die sich fortan zusammen dem alltäglichen Wahnsinn des Collegelebens stellt.
Nach diesem doch recht konventionellen Start – Jeffs Bemühungen um Britta und die Ausgangsfrage „Kriegen sie sich oder nicht?“ ist für Sitcoms nun wirklich nichts Neues – triftet die Serie sehr schnell in eine Richtung ab, die mich beim ersten Schauen sprachlos machte. Da wird bei einem Paintball-Turnier der gesamte Campus verwüstet, ein ausgeflippter Dozent errichtet im College ein Terrorregime und ganze Folgen kommen in Knetgummi- oder Computerspiel-Optik daher. Dafür gibt es nur ein Wort: wow. Nebenbei wird jedes erdenkliche Filmgenre persifliert – ein Fest für alle Popkultur-Nerds.
Was die Serie darüber hinaus für mich aber endgültig großartig macht: Sie ist einfach warmherzig – und das, obwohl man bei jedem der sieben ganz unterschiedlichen Hauptprotagonisten diverse Gründe aufzählen könnte, wieso sie eigentlich unsympathisch sind. Stattdessen werden sie durch ihre vielen Fehler nur noch liebenswerter. Das ist eine Mischung, wie ich sie davor noch nie gesehen habe – aber bedenkenlos empfehlen kann.
Community, USA 2009-2015. Genre: Sitcom Folgen: 110 in 6 Staffeln. Verfügbar auf: Netflix