Wo das Wohnzimmer eine Kneipe ist

Völklingen · Das Lokal auf der Lauterbacher Hauptstraße, in dem es Kättche jahrzehntelang hinter dem Tresen stand, war eine Institution im Dorf. Schwiegersohn Peter Berndt musste die Kneipe 2007 schweren Herzens schließen. Sie dient nun als Zweitwohnzimmer für ihn und seine Frau.

 Peter und Regina Berndt aus Lauterbach wollen sich von ihrer ehemaligen Kneipe nicht trennen, die sie als zweites Wohnzimmer nutzen. Hier posieren sie mit ihrem Hund Paul am Ausschank. Foto: Jenal

Peter und Regina Berndt aus Lauterbach wollen sich von ihrer ehemaligen Kneipe nicht trennen, die sie als zweites Wohnzimmer nutzen. Hier posieren sie mit ihrem Hund Paul am Ausschank. Foto: Jenal

Foto: Jenal

Die Hauptstraße in Lauterbach ist gefühlt fünf Kilometer lang. Auf halber Strecke wohnt das Ehepaar Regina und Peter Berndt, beide 51 Jahre alt. Von ihm wissen wir, dass er zwar gelernter Bäcker ist, aber seit rund 30 Jahren seine Brötchen als Fensterputzer verdient.

Als wir die oberste Klingel betätigen, wird sofort eine Seitentür geöffnet und Peter Berndt bittet uns herein.

Und wir staunen. Denn wir kommen nicht in ein Wohnzimmer, auch nicht in eine Bäckerei oder eine Reinigungsfirma, sondern in eine urige Dorfschenke, die seit 100 Jahren fast unverändert scheint. Ein zehn Meter langer Tresen, dunkles, verrauchtes Holz, ein riesiger Kamin, leicht vergilbte Fotos an den Wänden, dazwischen eine Konzessionsbescheinigung von 1888. "Willkommen beim Kättche", sagt Peter Berndt, "bis vor acht Jahren Stammkneipe vieler Lauterbacher und seitdem nur noch unser Zweitwohnzimmer. Bis zur Schließung 2007 hatten wir das Lokal vier Jahre lang geführt."

Als wir daraufhin fragen, ob wir ihn als Bier gezapft habenden, Fenster putzenden Bäckergesellen bezeichnen könnten, lacht er: "Ja, wie das Leben so spielt - aber die Reihenfolge müsste man einhalten."

Die ist nämlich so: Peter Berndt absolvierte bei einem Lauterbacher Bäcker eine Lehre und musste dann zur Bundeswehr. Danach stellte ihn der Meister nicht mehr ein, weil der nur Auszubildende beschäftigte. "Das war 1984, ich war Anfang 20 und wollte unbedingt Geld verdienen, also heuerte ich als Fensterputzer bei einer Saarbrücker Reinigungsfirma an." Aus der Übergangslösung wurde eine Dauerbeschäftigung. "Was für viele Leute eine lästige Arbeit ist, macht mir nun seit über 30 Jahren immer noch Spaß, denn man lernt viele Leute kennen, und man sieht am Ende des Tages, was man geleistet hat, man ist quasi sein eigener Herr. Außerdem ist die Firma sehr solide und zahlt anständig. Man muss halt arbeiten für sein Geld."

Am Anfang, als die Völklinger Hütte noch produzierte, mussten er und seine Kollegen alle sechs Wochen die Fenster des Kreiskrankenhauses reinigen. "Wir kommen auch viel herum, auf Montage bis nach Wiesbaden und Sigmaringen, dabei arbeiten wir an Schulen, Altenheimen und Kasernen." Im Sommer sei die Glasreinigung oft schwierig, weil die Feuchtigkeit an den Fenstern schnell eintrocknet. Im Winter kann bis minus 10 Grad gearbeitet werden, dann allerdings mit Alkoholzusatz im Wasser. "Ich hoffe nur, dass meine Hände noch lange genug mitmachen", sagt Berndt und bewegt die Finger probeweise.

Und wenn nicht? Regina und Peter Berndt schauen sich an. Sie sind seit 24 Jahren verheiratet, kennen sich schon aus der Kindergartenzeit. Könnte er dann wieder hinter der Theke stehen? "Wir sind beide berufstätig", sagt sie, "deshalb mussten wir ja die Kneipe schließen. Das war schade, denn meine Mutter, es Kättche, hat bis ins hohe Alter das Lokal mit seiner Stammkundschaft aus dem Dorf geführt und gepflegt." Die alten Balken könnten zahlreiche Anekdoten erzählen, sagt sie. Zum Beispiel, dass es Kättche immer auf eine Leiter klettern musste, um den Fernseher oben in der Ecke für die Sportschau einzuschalten, und dann, als mal eine Sprosse durchbrach, zappelnd oben am Regal hing. "Die herzliche Dorfgemeinschaft wie früher gibt es heute nicht mehr", sagt sie, "und die alten Originale sind fast alle ausgestorben."

Peter Berndt blättert nachdenklich im 100 Jahre alten Gästebuch und murmelt: "Wenn die anderen Wirte im Ort vielleicht mal aufgeben, könnten wir ja vielleicht ein Schild ,Beim Kättche' raushängen und wieder aufmachen."

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