Wie man Roheisen richtig würzt

Völklingen · Seit sechs Jahren schafft Roland Kirsch am wohl heißesten Arbeitsplatz in Völklingen – im Stahlwerk der Saarstahl AG. Dort geht's elementar zu, wenn Roheisen zu Stahl wird. Stahlwerker müssen bei großer Hitze flexibel und schnell reagieren, damit die richtigen Zutaten in die „Stahlsuppe“ kommen.

 Nur ein feuerfestes Fenster trennt Roland Kirsch von heißem Flüssigstahl. Nach einem Blick auf den Kontrollbildschirm mischt er per Knopfdruck Zuschläge in den Konverter. Fotos: Becker & Bredel

Nur ein feuerfestes Fenster trennt Roland Kirsch von heißem Flüssigstahl. Nach einem Blick auf den Kontrollbildschirm mischt er per Knopfdruck Zuschläge in den Konverter. Fotos: Becker & Bredel

Saarstahl Völklingen , am Torhaus 11 im Alten Brühl: Fotografin und Schreiber kriegen richtig adrette Bekleidung - Helm, Schutzbrille, dicke Arbeitsjacke, stabile Schuhe. Dann geht es ins Blasstahlwerk. In den 1980er Jahren gebaut und seither mehrfach modernisiert, werden hier jährlich geschätzte 2,3 Millionen Tonnen Roheisen zu Stahl veredelt, beispielsweise für die Herstellung hochwertiger Tragfedern.

Das Eisen kommt vom Dillinger Hochofen, über die Schiene, in so genannten Torpedowagen. Gut 1500 Grad hat der Inhalt, es gibt wenig thermischen Verlust (höchstens ein Grad pro Stunde); gut 150 Tonnen gelb glühende Eisenbrühe fasst ein einzelner Waggon.

Ein geschlossener Hochsteg quer durchs Werksgelände führt zum "spannenden" Bereich. Hier wirkt seit sechs Jahren Stahlwerker Roland Kirsch. Er hat, buchstäblich, einen heißen Job für coole Köpfe. "Denn er muss in jeder Situation die Nerven bewahren und ganz reaktionsschnell entscheiden, welche Legierungen er dem Rohstahl zuführt, sonst ist die Charge verloren", sagt Schichtmeister Thomas Hell.

Kirschs Kollegen nehmen Proben mit einem schätzungsweise fünf Meter langem Mess- und Probewagen, geschützt durch ein hitzebeständiges Schutzschild. Per Rohrpost zischen, im Sinne des Wortes, die eigroßen Proben ins Labor. Die Rückmeldung kommt im Minutentakt - Zeit ist Geld! "Gut? Nicht gut? Da muss noch Mangan dazu! So und so viel Prozent Kalk!" Und Graphit. Und das Edelgas Argon. Und Schrott. Und weitere Zutaten für die "Stahlsuppe". "Der Kohlenstoff muss raus aus dem Roheisen, er wird im Konverter verbrannt", berichtet Schichtmeister Hell.

Die letzte Verantwortung hat Stahlwerker Kirsch. Der steht in einem engen Kabuff. Vor sich hat er die heutzutage unerlässliche Elektronik-Schalttafel. Unter ihm, durch ein feuerfestes Fenster gesichert, brodelt die glühende Masse, 170 Tonnen. Man glaubt, an einem aktiven Vulkan zu stehen.

Heiß ist es. Kirsch drückt diverse Computerknöpfe. Es rasselt, prasselt, knallt, zischt, klingelt, eine laute Glocke wird angeschlagen über unseren Köpfen, um uns herum, irgendwo sonst in der Halle - der Mann hat wohl nicht nur den heißesten, sondern auch den lautesten Arbeitsplatz von Völklingen ? "Gehörschutz ist Pflicht, sonst sind Sie in wenigen Jahren taub", sagt der Schichtmeister.

1758 Grad ist die Masse aktuell heiß, zeigt die digitale Anzeige. In die Flamme direkt kann man nur mit einer Art Schweißerbrille schauen. Kirsch beobachtet, bleibt konzentriert, trotzt der Hitze, handelt. Dann braucht er, nach schätzungsweise fünf Minuten, eine so genannte "Entwärmungspause". Die gönnt das Werk ihm auch - Mineralwasser steht in großer Menge kostenlos zur Verfügung. Sieben Liter pro Schicht sind normal!

Sogar einen herunter gekühlten Rekreationsraum gibt es, mit Liege, mit einem Sanitäter, der den Blutdruck überwacht, mit dem Werksarzt im Hintergrund. "Diesen Raum haben meine Mitarbeiter in diesem Jahr noch kaum in Anspruch genommen. Den brauchen wir nur, wenn draußen eine Bullenhitze ist. Dann wird's am Konverter richtig heiß", erklärt Schichtmeister Hell. Die Arbeit im Stahlwerk ist im Winter sicher sehr angenehm? "Überhaupt nicht. Im Winter haben wir vorne heiß und hinten kalt, wie in mittelalterlichen Burgen am Kamin", sagt Hell lachend - Erkältungsgefahr! Am besten sei die Arbeit im Frühjahr und im Herbst, bei dann "angenehmen" Temperaturen.

Hell: "Alle meine Mitarbeiter machen die Arbeit gerne. Da gibt's auch keine Altersbegrenzung nach unten oder nach oben, so lange der Werksarzt sein OK gibt." Hauptsache, man trinkt ausreichend und achtet im übrigen auf seine Gesundheit. Stahlwerker Kirschs Rezept: "Mit Jogging und Fußballspielen halte ich mich fit." Sagt's, beendet seine Entwärmungs-Auszeit und stellt sich wieder an seinen Konverter - bereit für die nächste Charge.

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