Von Matrosen, Seh-Leuten und „Action“

Völklingen · Das Völklinger Weltkulturerbe ist ein grandioses Denkmal der Industriekultur, und es ist Kunst-Ort. Zugleich ein Ort, an dem man Entdeckungen machen kann. Für unsere SZ-Serie haben wir es ausprobiert: Was findet man im Weltkulturerbe, wenn man nichts sucht, sondern einfach ziellos durchschlendert?

Was tut das Boot hier im Völklinger Weltkulturerbe? Klein ist es, sehr bunt bemalt, sehr rostig. Am Heck kann man lesen: "Wer das Deck auf eigene Verantwortung erklimmt, sei ein würdiger Matrose und erweise dem Schiff Respekt." Nebenan stehen Türen offen, eine Flamme leuchtet, in der Handwerkergasse - dort hat die Bildhauerklasse der Saarbrücker Kunsthochschule ihre Ateliers - sind Studenten am Werk. Wird das Boot zum Kunstobjekt? Doch vom Besucherweg oben kommt man nicht nach unten in die Gasse, keine Chance zum Fragen. Macht nichts, man nimmt ein Lächeln mit auf den Weg.

Links vom Kohlegleis leuchtet ein Winderhitzer in schönsten Rostfarben, Rot, Kupfer, Giftgelb. Rechts, hinter der riesigen Staubwand und den von wildem Grün überwachsenen Materialbunkern, wird einmal mehr gebaut: Gerüste, Bauzäune, Arbeiter mit kleinen Transportfahrzeugen - die Denkmalsanierung geht weiter.

Am Hochofenbüro. Wohin zuerst? Ein Schlenker nach links, zum Spielplatz unterhalb der Hochöfen. Ein grauhaariges Paar inspiziert gründlich die historische Lokomotive, klettert auf den Tritt. Schaltet die Windmaschine ein, es pfeift und brummt; die beiden lachen. Im Hintergrund grüßen bunte Riesen-Zeigefinger, eine Arbeit aus der "Urban Art"-Schau. Eine Familie hat sich am Picknicktisch niedergelassen. Noch ein paar Schritte nach links: die Granulieranlage, still, abgeschieden. In den Becken wachsen Wassergräser und Seerosen; grünlich spiegelt das unbewegte Wasser den grauen Saarstahl-Gasometer gegenüber.

Zurück vor der Hochofengruppe. "Wohin wollen Sie denn?", fragt der Wachmann freundlich, der dort auf und ab geht: Zur Aussichtsplattform am Hochofen 6 darf man nur mit Schutzhelm. Der Aufstieg dauert - weil es so viel zu sehen gibt. Treppen- und Brücken-Gewirr, filigrane Strukturen. Strenge Nieten-Linien an den Winderhitzern. Eigenwillige Farbverläufe, von Braunrot bis zu schimmerndem Blau. Es weht ein wenig. Vom Platz unten hört man die Windmaschine brummen.

Plötzlich ein sonores Dröhnen von oben. Schnell die Stufen hoch - der riesige Hochofendeckel fährt empor, mit durchdringendem Quietschen rollt ein Hängebahnwagen auf ihn zu. Hüttenführer Detlef Thieser hat den Knopf gedrückt. "Mein Kollege" - er nickt zu seinem Begleiter hinüber - "ist noch nicht lange bei uns, er kennt das noch nicht", sagt er. Thieser hat die jüngste Erlebnisführung geleitet, bei der stets auch das Öffnen des Hochofens vorgeführt wird; früher geschah das im Stundentakt, der Ofen brauchte ja ständig frisches Material. "Es waren sehr viele Leute da", sagt Thieser, "sowas sollten wir viel öfter machen!" Speziell junge Leute hätten das Bedürfnis nach "Action". Thieser, Jahrgang 1936, ist da ganz auf ihrer Seite: "Ist doch sonst viel zu statisch hier." Wenn er in der Granulieranlage, seinem Lieblingsort, die Fische füttere oder den Fuchs, seien auch stets viele junge Zuschauer da, erzählt er lächelnd. Und, ja, er werde wohl bald noch neue Seerosen pflanzen.

Der offizielle Hüttengarten, das "Paradies" in der alten Kokerei, könnte pflegende Hände derzeit gebrauchen. Wildkräuter haben die Pflanzen überwuchert, die den Schildern zufolge dort wachsen sollten; den Hochbeeten haben Hitze und Dürre zugesetzt. Dennoch, die Kokerei, abgeschieden auch sie, hat eine starke, eigenartige Atmosphäre. Vier junge Männer, der Sprache nach Amerikaner, lassen sich beim Durchschlendern viel Zeit. Und vertiefen sich spielerisch in die rostigen alten Geräte, die wie zufällig vor den Koksbatterien stehen.

Zurück zum Ausgang. Das Tor zur Handwerkergasse ist bereits verschlossen - wieder keine Chance, nach dem Boot zu fragen. Ein Anruf löst schließlich das Rätsel. Das Boot namens "Joyce Medea" hat im Rahmen eines Kunstprojekts eine Weile auf dem Saarbrücker Landwehrplatz gestanden, sagt Jan Engels, Werkstattleiter der Kunsthochschule in der Handwerkergasse, "und wir haben ihm Asyl gegeben". In Studien-Projekten werde nun ein Umbau vorbereitet: Das Boot soll Wohn- und Schlafraum werden für Künstler oder Schriftsteller, die man als "Residenten" in die Handwerkergasse einladen wolle. Wann erste Gäste kommen, sei noch offen, sagt Engels. Aber es eile auch nicht.

voelklinger-huette.org

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Auf einen BlickGeöffnet ist das Weltkulturerbe Völklinger Hütte täglich von 10 bis 19 Uhr. Jeden Dienstag ab 15 Uhr ist der Eintritt frei. Jeden Sonntag um 15 Uhr wird bei der "Erlebnisführung" am Hochofen 6 auch der Hochofen-Deckel geöffnet. Die Führung ist für die Besucher kostenlos. In den Sommerferien sind nach Auskunft der Pressestelle Extra-Führungen und -Veranstaltungen geplant. Das genaue Programm ist noch nicht veröffentlicht. dd

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