Mit Taschenlampe in die Alte Hütte „Papa, gehen wir hier morgen wieder hin?“

VÖLKLINGEN · Taschenlampenführung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte: Auf der Suche nach Gespenstern finden Besucher ganz reale Abenteuer.

 Weltkulturerbe im Fackel- und Taschenlampenlicht: Detlef Thieser (links), ehemaliger Hüttenarbeiter, führt nachts Besucher durchs Denkmal.

Weltkulturerbe im Fackel- und Taschenlampenlicht: Detlef Thieser (links), ehemaliger Hüttenarbeiter, führt nachts Besucher durchs Denkmal.

Foto: BeckerBredel

Eine Familie aus Bous hat bisher lediglich die Gebläsehalle während einer Ausstellung besucht. Jetzt möchte sie den Rest des Areals sehen. Andere Teilnehmer der kostenlosen Taschenlampenführung kennen die Alte Völklinger Hütte nur bei Tageslicht. Wie wirkt der Koloss wohl in der Dunkelheit? Hobbyfotografen, die auf beeindruckende Schnappschüsse hoffen, sind am Mittwochabend natürlich ebenfalls dabei. Der Nachwuchs hat andere Erwartungen. „Ich habe gehört, dass es hier Gespenster gibt“, erzählt ein Junge. Nicht alle kommen voller Vorfreude. „Das war Papas Idee“, berichtet ein jugendlicher Besucher etwas gelangweilt. Dem jüngsten Gast ist der ganze Trubel sowieso schnuppe. Timon, dreieinhalb Monate, kuschelt sich im Tragetuch an Mamas Bauch.

„Ihr wollt alle auf die Nachtschicht?“, scherzt Besucherbegleiter Bernd Meyer bei der Begrüßung am Eingangstor. Mit seinem Kollegen Detlef Thieser unterstützt er Projektleiter Hendrik Kersten während des Rundgangs. „Passt das schon?“, fragt eine Mutter mit Blick auf die siebenjährigen Freunde Marc Oliver und Simon. Oder sind die beiden noch zu klein? „Das passt“, versichert Meyer.

Einige Hüttenfans sind bereits öfter mit der Taschenlampe auf Tour gegangen. Sie wissen: Hendrik Kersten kennt viele Wege, die durch das ehemalige Eisenwerk führen. Deshalb droht keine Langeweile. „Heute geht‘s einmal quer durch den Bauch“, kündigt der Kunsthistoriker an.

Schon vor dem Start werden die ersten Fotos geschossen, einige Besucher gehen schnell noch zur Toilette. Ein kleiner Junge überlegt, welche Helligkeitsstufe der Stirnlampe sinnvoll ist. „Mitteldoll reicht“, entscheidet er nach der Analyse der Lichtverhältnisse. Führer Hendrik Kersten schaut nach, ob die blaue Farbe trocken ist. Wegen des Besuchs des niederländischen Königspaars wurde die Haupttreppe frisch gestrichen. Nein, das Risiko, dass seine Gäste blaue Flecken mit nach Hause nehmen, ist noch zu groß. Also geht‘s durch die Handwerkergasse zum Hintereingang.

Kersten, Meyer und Thieser schnappen sich ihre Fackeln, etwa 100 Gäste folgen mit Taschenlampen. Einige Buben heften sich direkt an Kerstens Fersen, andere Kinder starten lieber an Papas Hand. In der Handwerkergasse fühlen sich heute die Studenten der Hochschule der Bildenden Künste wohl. Die Handwerker – aus den unterschiedichsten Berufen –, die hier früher tätig waren, hatten einen abwechslungsreichen Job. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeitern kamen sie im ganzen Werk herum.

„Guck mal, cool!“, schwärmt eine Dame vor dem kunstvoll beleuchteten Erzschrägaufzug. „Das sieht irre aus!“, bestätigt ihr Begleiter. Der nächtliche Rundgang führt auch über Wege, die den Touristen normalerweise verwehrt bleiben. Während der Führung schließt Hendrik Kersten so einige Tore auf. Im Fackellicht flackert immer wieder der morbide Charme der Hütte auf. Die dunklen Ecken, die die Besucher mit ihren  Taschenlampen ausleuchten, sind bestimmt perfekte Verstecke für Gespenster. Eine Sichtung wird allerdings nicht gemeldet.

Die schaurig-schöne Atmosphäre erinnert einen Jungen wohl an sein Computerspiel. „Wo kann man hier die Waffen auswählen?“, fragt er schmunzelnd. Im Weltkulturerbe erleben die Jungs und Mädchen reale Abenteuer. Am Rande des Weges liegt ein Haufen Koks. Der Nachwuchs untersucht das Material: Die Stücke sind leichter als vermutet. Es handelt sich um reinen Kohlenstoff, erklärt Kersten. Aus demselben chemischen Element bestehen Diamanten. „Ihr könnt ein Stück mitnehmen“, sagt Kersten. Aber bitte aus der Tasche entfernen, bevor die Hose in die Waschmaschine wandert! Sonst gibt‘s Ärger mit der Mama. Die Gruppe kommt auch an dem Platz vorbei, auf dem sich im Sommer der Backstage-Bereich des Electro Magnetic Festivals befindet. Und man erfährt, wo die Filmcrew der „Wilden Kerle“ beim Dreh ihr Basislager hatte. Vorbei an einer Lokomotive geht‘s schließlich zurück zum Eingang.

 Wirkt fast lebendig im Taschenlampenlicht: Hüttenarbeiter-Figur von Ottmar Hörl. 100 Plastiken in verschiedenen Farben versammelt das Projekt „Second Life“ bis zum Jahresende auf dem Weltkulturerbe-Gelände.

Wirkt fast lebendig im Taschenlampenlicht: Hüttenarbeiter-Figur von Ottmar Hörl. 100 Plastiken in verschiedenen Farben versammelt das Projekt „Second Life“ bis zum Jahresende auf dem Weltkulturerbe-Gelände.

Foto: BeckerBredel

Nach einer Stunde endet die spannende Führung. Während Hendrik Kersten noch mal eine Runde dreht, um alle Tore abzuschließen, verabschieden sich die Besucher Richtung Parkplatz. Nach den vielen Informationen bleibt für einen Jungen nur noch eine Frage offen: „Papa, gehen wir hier morgen wieder hin?“

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