Streit um Kolonialviertel in Völklingen „Haken drunter – um Wichtigeres kümmern“

Völklingen · Die Völklinger Verwaltung wollte bei einer Veranstaltung in der Hermann-Neuberger-Halle den Bürgerinnen und Bürgern die moralische Notwendigkeit der Straßenumbenennungen auf dem Heidstock vermitteln. Das ging jedoch nach hinten los.

Streit um Straßennamen in Völklingen schaukelt sich weiter hoch
Foto: Aline Pabst

Die Veranstaltung war lang und sehr laut. Nachdem sich zeitweise Heidstocker Bürgerinnen und Bürger verbal mit der Stadtverwaltung bekriegt hatten und dabei von Zuschauern johlend angefeuert wurden, zieht Ortsvorsteher Stephan Tautz ein positives Fazit. Er sei sehr zufrieden mit der Veranstaltung, und das Ergebnis sei eindeutig. Er sieht die große Mehrheit auf dem Heidstock und in seinem Ortsrat gegen Straßenumbenennungen und will das Thema abschließen. „Haken drunter machen, es gibt wichtigere Themen als das“, sagt Tautz.

 Über 150 Menschen waren am Mittwochabend in die Völklinger Hermann-Neuberger-Halle gekommen.

Über 150 Menschen waren am Mittwochabend in die Völklinger Hermann-Neuberger-Halle gekommen.

Foto: BeckerBredel

Am Mittwochabend hat die Stadtverwaltung zu einer Informationsveranstaltung eingeladen und über 150 Menschen sind gekommen. Dr. Rainer Möhler, Historiker an der Universität des Saarlandes, hält den Fachvortrag und nennt die deutsche Kolonialzeit (1884-1918) „Zeitgeschichte, die noch raucht“. Die fernen Kolonien hätten eine zeitgenössische Faszination hervorgerufen, die durch Kolonialwarenläden, Postkarten und Heldengeschichten viele Jahre angehalten habe. In der Realität lebten die Deutschen in Afrika, China und im Pazifik jedoch ihr „Herrenmenschentum“ aus, setzten ihren Willen mit blutigen Strafexpeditionen durch, führten drei Kriege und begingen Genozid am Volk der Herero, so Möhler.

 Dr. Rainer Möhler, Historiker an der Universität des Saarlandes, stellt in seinem Vortrag die fünf Namensgeber der Heidstocker Straßen und ihre Taten in der deutschen Kolonialzeit vor.

Dr. Rainer Möhler, Historiker an der Universität des Saarlandes, stellt in seinem Vortrag die fünf Namensgeber der Heidstocker Straßen und ihre Taten in der deutschen Kolonialzeit vor.

Foto: BeckerBredel

An dieser aus Berlin veranlassten Politik seien maßgeblich Lüderitz, Nachtigal, Wissmann, Lettow-Vorbeck und Peters beteiligt gewesen, die in den Kolonien betrogen und ermordet hätten und trotzdem im Reich als Helden verehrt worden seien. Kolonialvereine sorgten 1938 dafür, die Männer im damals neuen Heidstock-Viertel zu verewigen. Nach einer kurzen Umbenennung durch die Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg prangten die „Kolonialhelden“ seit 1956 wieder auf den Straßenschildern. Möhler positioniert sich am Ende seines Vortrags: „Ich weiß kein Argument, wieso wir diese Menschen heute noch in ehrenhafter Erinnerung halten sollen.“

Ehrung oder Mahnung?

Er erhält höflichen Applaus, doch bei der darauf folgenden Diskussionsrunde fällt den Anwesenden eine ganze Reihe an Argumenten ein. Mehrere Anwohner behaupten, dass die Straßennamen nicht ehren, sondern mahnen würden. Ortsrat Uwe Steffen (CDU) befürchtet gar, dass „die Generationen nach uns die schlimmen Menschen vergessen werden, wenn wir die Namen ändern“.

 Horst Mathieu ist Verwaltungsmanager und von der Oberbürgermeisterin für die Umbenennungen beaufragt worden.

Horst Mathieu ist Verwaltungsmanager und von der Oberbürgermeisterin für die Umbenennungen beaufragt worden.

Foto: BeckerBredel

Die meisten Rednerinnen und Redner beschäftigt jedoch nach dem Vortrag weniger die Untaten der Namensgeber, sondern eher die Folgen von Straßenänderungen. Horst Mathieu, Leiter im Fachdienst Verwaltungsmanagement, will den Bürgern die Sorge davor nehmen. Er zählt erst einmal auf, worum sich die Heidstocker dank Hilfe der Stadt nicht zu kümmern bräuchten. Nur für Personalausweis und Zulassung sei ein Gang zum Bürgeramt notwendig. In seinem Vortrag klingt Mathieu zwischenzeitlich so, als sei die Änderung bereits beschlossen. Anstatt mögliche Vorbehalte zu verstreuen, bringt er dabei einen großen Teil des Saals gegen sich auf.

Alle gegen Mathieu

Margret Fries aus der Carl-Peters-Straße befürchtet, dass sie als Hausbesitzerin für eine Straßenänderung beim Notar viel Geld zahlen müsse. Stadtrat Stefan Peter (Wir Bürger) ist sich sicher, dass eine Adressänderung einen negativen Schufa-Score nach sich ziehen würde. Claudia Ruth hat ein Gewerbe in der Lettow-Vorbeck-Straße und fordert von der Stadt eine Entschädigung, weil sie ihre Flyer neu drucken müsse.

Die Stimmung im Saal wird zunehmend feindselig und richtet sich gegen Verwaltungsmanager Mathieu, der immer verzweifelter versucht, sich zu verteidigen. Anwohner Martin Benz tritt gleich mehrmals ans Mikrofon, um sich ein Scharmützel mit Mathieu zu liefern. Er fühle sich durch seine süffisante Art in die Ecke des Rassismus gestellt.

Ortsrat Dieter Pick (CDU) sieht seine Gelegenheit gekommen, steigt in die Kritik an der Verwaltung ein und wirft Mathieu fehlende Neutralität vor. Außerdem hätte dieser versäumt, über die Kosten aufzuklären, die wegen der Umbenennung auf die Stadt zukommen würden. Die Mitglieder von „Wir Bürger“ würden den Betrag auf eine halbe Million Euro schätzen. Mathieu ist auf die Kostenfrage nicht vorbereitet und veranschlagt das Anbringen von neuen Schildern mit „einigen tausend Euro“. Die empörten Heidstocker glauben ihm jedoch nicht und fordern die notorisch verschuldete Verwaltung auf, das Geld an anderer Stelle zu nutzen.

Alles bleibt wie es ist

Die Mehrheit im Publikum gehört zur Gruppe der Anwohner, es sind jedoch auch viele Interessierte gekommen. Sie argumentieren für Umbenennungen, doch werden vom Rest des Saals ignoriert. Werner Michaltzik vom Sicherheitsbeirat sagt: „An deren Händen klebt Blut, ich glaube nicht, dass wir Mörder auf Straßenschildern haben wollen.“ Caroline Conrad vom Aktionsbündnis Stolpersteine sieht bei Umbenennungen die Chance gekommen, die ersten Völklinger Straßen nach Frauen zu benennen.

 Georg Jungfleisch protestiert gegen die Ehrung von Kriegsverbrechern. Die meisten Anwesenden sprachen sich jedoch lautstark für den Erhalt der Namen aus.

Georg Jungfleisch protestiert gegen die Ehrung von Kriegsverbrechern. Die meisten Anwesenden sprachen sich jedoch lautstark für den Erhalt der Namen aus.

Foto: BeckerBredel

Mohamed Maiga ist der einzige schwarze Redner des Abends. „Mein Vater hat unter dem europäischen Kolonialismus gelitten, das ist alles nicht lange her.“ Er hat kein Verständnis, wieso hier Rassisten geehrt werden, und ruft dazu auf, mutig zu sein und die Namen zu entfernen.

 Stephan Tautz (Wir Bürger) ist Ortsvorsteher von Völklingen und kann im Ortsrat über die Umbenennung von Straßen entscheiden.

Stephan Tautz (Wir Bürger) ist Ortsvorsteher von Völklingen und kann im Ortsrat über die Umbenennung von Straßen entscheiden.

Foto: BeckerBredel

Für Stephan Tautz zählen die Stimmen der ortsfremden Befürworter jedoch nicht. Er möchte die Entscheidung nur an der Stimmung der Anwohner des Heidstocks festmachen. Seine Parteikollegen Frank und Kerstin Ecker, ebenfalls Heidstocker, hätten bereits voriges Jahr eine Unterschriftensammlung vor Ort durchgeführt und das Ergebnis sei klar gewesen: „95 Prozent wollen keine Umbenennung.“ Tautz sieht den demokratischen Prozess damit als abgeschlossen, „mehr Befragung wollen wir nicht“. Er ist sich sicher, dass er im nächsten Ortsrat im Dezember genug Stimmen hat, um das Kolonialviertel zu erhalten.

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