Schwerstarbeit war nicht nur Männersache

Völklingen · Bis ins 20. Jahrhundert schleppten Frauen in der Völklinger Hütte Erz oder Schlacken. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sie dann als Sekretärinnen die angeblich „typisch weibliche Arbeit“.

 Die Teilnehmer der Führung durch das Weltkulturerbe Völklinger Hütte hörten Sabine Graf (links) gespannt zu. Foto: Iris Maurer

Die Teilnehmer der Führung durch das Weltkulturerbe Völklinger Hütte hörten Sabine Graf (links) gespannt zu. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

"Willkommen in der größten Küche des Universums." Sabine Graf lenkt die Aufmerksamkeit ihrer Besuchergruppe in der Völklinger Hütte auf die Hochöfen, die einen gewaltigen Teil der "Völklinger Skyline" ausmachen. Trotz Dauerregen haben an diesem Samstagvormittag viele Besucher den Weg ins Weltkulturerbe gefunden, um sich ein wenig Industrieromantik zu gönnen. "Not am Mann? Frauen ran!" heißt die Themenführung, die Sabine Graf ausgearbeitet hat. "Auch wenn die Frau nicht sichtbar ist, ist sie immer präsent", sagt Graf lächelnd. "Frauen sollten hier nur leichtere Arbeiten übernehmen, um die männlichen Hüttenarbeiter zu entlasten.".

1883 wurden "starke Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 17 Jahren" gesucht, gern auch Witwen, die "leichtere Arbeiten" übernehmen sollten. Unter leichteren Arbeiten war zum Beispiel das Schleppen von Erz zu verstehen. Innerhalb einer Schicht entluden die sogenannten Schlepperinnen anderthalb Schiffe. In Zehn-Kilo-Körben auf ihren Köpfen trugen die Frauen, die unter anderem aus Hostenbach, Püttlingen oder der Ritterstraße kamen, das Erz zu seinem jeweiligen Bestimmungsort.

Schwer vorzustellen, dass Frauen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts derart schwere Arbeiten erledigt haben. "Sie waren ungelernt, kamen mit Technik nicht in Berührung und scheuten die schwere Arbeit nicht. So gesehen waren die Frauen damals der Prototyp eines einfachen Industriearbeiters."

Frauen waren immer auch ein wirtschaftliches Kalkül im Machtgefälle der Völklinger Hütte. So gab es die sogenannte "Puddingschule", wo die Hüttenfrau lernte, wie sie ihren Gatten richtig zu versorgen hatte. "Es gab natürlich gute und schlechte Hausfrauen , aber immer hatte die Frau die Verpflichtung, Haus und Hof für ihren Mann in Ordnung zu halten." Sie war sozusagen eine "Superministerin", die zu Hause das Kommando hatte. "Gerade, als es noch die Lohntüten gab, musste die Frau Sorge tragen, dass der Ehemann nicht schon alles auf dem Weg nach Hause an der längsten Theke der Welt auf den Kopf haute." Denn der Weg zum Völklinger Bahnhof war mit Kneipen übersät.

Die Zuhörer lachen. Den Hausfrauen früher dürfte aber das Lachen oft vergangen sein, sagt Graf: "Die Frau war eine Mischung aus Hausdrachen und Verwalter und hatte eine ganz komische Funktion." Ein Geben und Nehmen. Der Mann versorgte die Frau, die Frau musste für den Mann sorgen, damit er Geld nach Hause bringen konnte.

Zu Kriegszeiten stieg der Frauenanteil in der Völklinger Hütte. Sie mussten Schlackensteine und heißen Koks schleppen oder die Kräne fahren. "Da war Not am Mann, da durften die Frauen dann aus ihrer Welt vom Sticken und Löcherstopfen auftauchen." Die letzte Kranfahrerin arbeitete auch tatsächlich bis in die fünfziger Jahre in der Hütte, obwohl "die Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ins Unsichtbare zurücktauchten."

Als Sekretärin oder im Hüttenlabor fanden sie dann schließlich wieder "typisch weibliche Arbeit", sie tauschten die Oberarm-Muckis gegen kräftigen Fingerdruck für die Tasten der mechanischen Schreibmaschine.

Als Schlepperinnen oder Kranfahrerinnen waren sie jedoch aus dem Bild der Völklinger Hütte verschwunden - und mit ihnen auch größtenteils alle Erinnerung daran.

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