Schichtwechsel, wie er früher war

Völklingen. Um 14 Uhr schrillt die Werkssirene. Rund 150 erschöpfte Arbeiter machen sich vom Torhaus auf den Weg in den Feierabend. Bevor der Bus kommt, gönnen sich viele noch ein Bierchen in der Kneipe. Mit der gespielten Szene lebt am Samstagnachmittag der Völklinger Schichtwechsel wieder auf

Völklingen. Um 14 Uhr schrillt die Werkssirene. Rund 150 erschöpfte Arbeiter machen sich vom Torhaus auf den Weg in den Feierabend. Bevor der Bus kommt, gönnen sich viele noch ein Bierchen in der Kneipe. Mit der gespielten Szene lebt am Samstagnachmittag der Völklinger Schichtwechsel wieder auf.

Veranstaltet wird das Mitmach-Event von den Mythenjägern, einem Geschichts-Arbeitskreis der Volkshochschule Völklingen. In Zusammenarbeit mit dem Restaurant im Alten Bahnhof. Und mit Unterstützung vieler Mitspieler aus der Bevölkerung. Einige haben sich ordentlich in Schale geworfen, sie tragen Mantel, Hut und Tasche. "Man ging nicht mit Schaffklamotten auf die Straße", weiß Mythenjäger Hendrik Kersten.

"Mythos Schichtwechsel - können wir's noch?", lautet das Motto des Experiments, das Kunsthistoriker Kersten mit seinen Mitstreitern Michael Samsel, Susanne Rist und Horst Schillinger organisiert hat. Die Heimatkundler sind Anhänger des "Reenactments", des originalgetreuen Nachspielens historischer Szenen.

Original sind zum Beispiel die Gläser, die von Roland Renkes und Jürgen Rein mit Freibier gefüllt werden. Für kurze Zeit verwandelt sich die Lounge des Alten Bahnhofs in die Kneipe Mythen-Eck. Die so genannten Zäpfer haben alle Hände voll zu tun, das Lokal ist proppenvoll. Zu den Schichtwechsel-Mitspielern gesellen sich viele Besucher.

Kaum ist der erste Durst gelöscht, hupen draußen schon die historischen Busse. Auf geht's zu einer kleinen Runde um den Block!

"Es war perfekt, das Experiment ist voll gelungen", freut sich Organisator Hendrik Kersten. Die 80 Liter Bier sind komplett weggeputzt. Neben den Veranstaltern sind auch die Gäste zufrieden. Gut gelaunt plaudern sie über Gott und die Welt. Und natürlich über die alten Zeiten. Als die Hochöfen noch rauchten, florierte die Kneipenszene. "Die Lokale waren voll", erinnert sich Hans-Berndt Heitz. Der gelernte Universalhärter arbeitete von 1951 bis 1992 auf der Hütte, zuletzt als Meister in der Vergüterei. Bevor sein Bus auf die Hermann-Röchling-Höhe startete, stärkte er sich nach der Schicht mit einem Bier.

Auch Leute, die nicht im Eisenwerk beschäftigt waren, erinnern sich an den Schichtwechsel. Etwa ein ehemaliger Briefträger, der in der Rathausstraße die Post austrug. In den Kneipen musste er so manches Bierchen mittrinken. Oder der pensionierte Berufsschullehrer, der Mitte der 1960er Jahre mit seiner Klasse per Bus zur Automesse fuhr. Kurz vor dem Start morgens um sechs Uhr fehlte von seinen Schützlingen jede Spur. Hatte er die falsche Zeit angegeben? Nein, pünktlich zur Abfahrt kamen die Schüler aus der Kneipe, sie hatten sich schnell noch ein Frühstücksbierchen genehmigt.

Ein bisschen Wehmut klingt dann auch mit, als der Chor der Becker-Brauerei sein erstes Lied anstimmt. "Die kleine Kneipe in unserer Straße, da wo das Leben noch lebenswert ist", schallt es durchs Mythen-Eck.

Auf einen Blick

"Alles Mythos oder was?" heißt ein Arbeitskreis an der Völklinger Volkshochschule. Sein Ziel: Stadtgeschichte(n) erlebbar machen. Im Herbst 2011 ging es um Völklingens große Kino-Ära, die erste Arbeit der Mythenjäger. Zur Gruppe gehören derzeit Hendrik Kersten, Susanne Rist, Michael Samsel und Horst Schillinger. red

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