Rechtswidrig gerechnet

Völklingen · Völklingens Verwaltung und Rat müssen die Abwassergebühren in der Stadt neu kalkulieren, anders als bisher. Das Oberverwaltungsgericht hat die alte Satzung für ungültig erklärt: Sie verstoße gegen Landesrecht.

 Ein paar hundert Kilometer Kanäle hat die Stadt Völklingen zu unterhalten – wie sollen die Kosten dafür aufgeteilt werden? Unser Bild zeigt Mitarbeiter einer Fachfirma, die ein Rohr mit einer speziellen Kamera verfilmen. Archivfoto: Becker & Bredel

Ein paar hundert Kilometer Kanäle hat die Stadt Völklingen zu unterhalten – wie sollen die Kosten dafür aufgeteilt werden? Unser Bild zeigt Mitarbeiter einer Fachfirma, die ein Rohr mit einer speziellen Kamera verfilmen. Archivfoto: Becker & Bredel

Die Richter waren gründlich. 30 Seiten umfasst ihre Urteilsschrift. Und sie haben darin so ziemlich alles aufgelistet und bewertet, was man an aktueller Rechtsprechung zum Thema Abwassergebühren finden kann, bundesweit.

Das Ergebnis: Völklingens Satzung über Abwassergebühren ist ungültig. Die Art, wie die Stadt ihre Gebühren kalkuliert, verstoße gegen Landesrecht . Obendrein passe sie nicht zu dem, was eine "Gebühr" ist, nämlich eine Zahlung "nach Art und Umfang der Benutzung" öffentlicher Einrichtungen. Genauer: Wer Gebühren zahlt, muss dafür "eine individuell zurechenbare Gegenleistung" erhalten

Der erste Senat des saarländischen Oberverwaltungsgerichts mit Sitz in Saarlouis hatte über die Klage einer Völklingerin zu befinden, die sich zur Wehr gesetzt hatte gegen den städtischen Abwassergebühren-Bescheid. Sie war - vertreten vom Völklinger Rechtsanwalt Christoph Vogel - in die Berufung gegangen, nachdem die erste Instanz, das Verwaltungsgericht, im Frühjahr 2015 die kommunale Gebühr für rechtens befunden hatte.

Die Oberverwaltungsrichter sehen das anders. Sie stellen fest, dass Völklingen seine Gebühren nach der "Mehrkostenmethode" berechnet. Die geht, vereinfacht gesagt, davon aus, dass Kanäle zunächst mal fürs Schmutzwasser bestimmt sind und Kanalkosten just dafür anfallen. Fließt auch noch Regenwasser per Kanal ab, dann kostet das halt etwas mehr als die reine Schmutzwasser-Beseitigung, die Haupt-Job der Kanäle bleibt. Diese Denkweise aber, halten die Richter den Völklinger Satzungsmachern vor, vertrage sich nicht mit saarländischem Landesrecht . Denn das verpflichte die Kommunen, Schmutzwasser ebenso zu beseitigen wie Niederschlagswasser. Beide Pflichten seien gleichrangig. Deshalb eigne sich weder der "Frischwassermaßstab" (siehe Artikel unten) noch die "Mehrkostenmethode", um kommunale Gebühren festzusetzen. Man müsse vielmehr genau hinschauen, welchen Anteil der Kanalkosten man benötige, um Regenwasser wegzuschaffen.

Muss Völklingen nun eine gesplittete Abwassergebühr einführen und die Bürger getrennt zur Kasse bitten fürs Schmutzwasser und für den Regen , den sie in Kanäle rinnen lassen? Das sagen die Richter so zwar nicht. Aber sie setzen Gerechtigkeits-Standards fest, die ohne Splitting kaum zu erfüllen sind. Weil die Umstellung aufwendig ist, hatte die Stadtratsmehrheit sich 2011 dagegen ausgesprochen. Nur Grüne und Linke im Rat plädierten damals fürs Splitten. Paul Ganster (Linke) wertet das Urteil denn auch als "Schritt in Richtung mehr Gebührengerechtigkeit". So sieht es auch Manfred Jost (Grüne). Und beide weisen darauf hin, dass das Splitten ökologisch sinnvoll sei: Es bietet Anreize, Flächen zu entsiegeln.

Wann wird die Verwaltung nun den Rat mit dem Thema befassen? Die Antwort auf einen umfangreichen Fragenkatalog fällt karg aus: Man werde das Urteil "eingehend prüfen" und dann das Nötige tun, teilt die Stadtpressestelle mit. Und: Bis zur Klärung müssten die Bürger ihre monatlichen Gebühren-Abschläge wie gehabt weiterzahlen.

Andere saarländische Kommunen splitten schon lange. Saarbrücken etwa hat 2001 damit begonnen. Zehn Mitarbeiter, sagt Bürgerreferentin Jutta Mehler auf SZ-Nachfrage, haben damals 20 Monate lang an der Umstellung gearbeitet - 36 000 Gebäude waren zu bewerten. Um Kosten zu sparen, habe man mit "Flächenerhebungen vor Ort" gearbeitet und mit der digitalen Stadtgrundkarte; heute sei es vermutlich günstiger, Überfliegungs-Daten zu nutzen. Und: "Die Akzeptanz bei den Bürgern war sehr hoch." Wie viel Abwassergebühr die Völklinger zahlen müssen, richtet sich bislang nach dem "Frischwassermaßstab": Jedem Haushalt wird pro Kubikmeter verbrauchten Frischwassers ein Kubikmeter Abwasser in Rechnung gestellt. Nicht weniger und nicht mehr. Was das heißt?

Nehmen wir drei benachbarte Häuser auf gleich großen Grundstücken an, mit gleich großen Dachflächen. In Haus A und B leben jeweils fünf Personen. So ist der Frischwasserverbrauch beider Haushalte etwa gleich, sie zahlen gleiche Abwassergebühren.

Doch Haushalt A leitet keinen Tropfen Niederschlag in den Kanal: Das Grundstück ist begrünt, und der Regen vom Dach wird - ökologisch korrekt - zur Gartenbewässerung genutzt; das Wasser versickert.

Bei Haushalt B hingegen muss der städtische Kanal die gesamte Regenmenge wegschaffen: Der größte Teil des Grundstücks ist asphaltiert, das Dachrinnen-Fallrohr mündet in den Gully. Bei Haus C ist ebenso viel Fläche versiegelt wie bei Haus B, es rinnt ebenso viel Regen in den Kanal. Aber der Bau steht leer, dort wird kein Frischwasser verbraucht - Abwassergebühr daher: null.

Das Missverhältnis wird noch krasser, wenn man Mehrfamilienhäuser und Gewerbebetriebe mit großen versiegelten Flächen, etwa Parkplätzen, gegenüberstellt.

Zum Thema:

Auf einen Blick Wer in Saarbrücken Frischwasser bezieht, der muss für genau dieselbe Menge auch Abwassergebühr bezahlen - die Rechnung kommt von den Stadtwerken. Die sind eine städtische Beteiligungsgesellschaft. Wer in Saarbrücken z. B. ein Haus mit einem Parkplatz davor hat, der muss für jeden versiegelten Quadratmeter Boden eine jährliche Gebühr bezahlen, und zwar an den Zentralen Kommunalen Entsorgungsbetrieb, das ist ein Eigenbetrieb der Stadt, also ein Teil der Stadtverwaltung. fitz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort