„Ich will helfen, nicht mitleiden“

Völklingen · Nicht nur Bauten prägen das Gesicht einer Stadt. Viel wichtiger sind die Menschen, die in der Stadt leben und arbeiten. Zu ihnen gehört Hannelore Krämer: Die 70-Jährige engagiert sich seit Jahren für Menschen, die sterbenskrank sind – insbesondere für Kinder.

 Vor dem ersten Kinderhospiz-Einsatz hatte sie richtig Angst, sagt Hannelore Krämer – hier beim Gespräch in ihrer Wohnung. Foto: Jenal

Vor dem ersten Kinderhospiz-Einsatz hatte sie richtig Angst, sagt Hannelore Krämer – hier beim Gespräch in ihrer Wohnung. Foto: Jenal

Foto: Jenal

"Wenn man helfen kann, dann sollte man auch helfen." Diesen Satz sagt Hannelore Krämer beiläufig im Gespräch, und die meisten Menschen würden ihr sicher zustimmen. Zunächst aber nur mit Vorbehalt würden sie wohl jene Hilfe anbieten, die für Hannelore Krämer inzwischen - auch nach anfänglichem Zögern - zur Selbstverständlichkeit geworden ist: Hannelore Krämer (70) ist ehrenamtliche Mitarbeiterin im ambulanten Kinder-Hospizdienst Saar (siehe "Hintergrund").

"Sterben und Tod sind in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiert", sagt Hannelore Krämer, "aber ich finde das nicht gut. Und ich habe mir schon immer überlegt, dass jeder Mensch zwar alleine sterben muss - alleine, aber möglichst nicht einsam." Sie hatte über dieses Thema gelegentlich auch mit ihrem Chef im Völklinger Rathaus gesprochen, wo sie 41 Jahre als Angestellte tätig war. Und er war es, der sie auf eine Informationsveranstaltung zum Thema Palliativversorgung hinwies. Nach ausführlichen Schulungen wurde sie vor zwölf Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin auf der Palliativstation des Völklinger St. Michael-Krankenhauses und übernahm die Betreuung einer alten, unheilbar kranken Frau. "In ihren letzten Lebenswochen haben wir viel geredet, auch gelacht, auch miteinander geschwiegen. Da war Vertrauen. Und als es zu Ende ging, hielten wir uns an den Händen. Dann hat sie losgelassen. Sie wollte allein sterben, wusste aber, ich bin bei ihr. Sie ist sanft eingeschlafen." Diese Erfahrung habe ihr Kraft gegeben weiterzumachen. "Mitleid alleine genügt nicht; man muss sich innerlich beteiligen, zugleich aber das eigene Schicksal von dem des anderen Menschen distanziert sehen."

Als vor einigen Jahren das Krankenhaus geschlossen wurde, bot man ihr die Mitarbeit im ambulanten Kinder-Hospizdienst an. Nach intensiver Fortbildung stand der erste Besuch bei einem schwerstkranken Kind an. "Da hatte ich richtig Angst", sagt sie. Ein Kind, das sterben muss - das widerspricht der grundlegenden Lebensregel, wonach junges Leben gedeihen darf, altes Leben vergehen muss.

Bei den ersten Besuchen wurde sie begleitet von hauptamtlichen Mitarbeitern, mit denen auch regelmäßige Besprechungen stattfinden. Seit vier Jahren besucht sie etwa drei Stunden in der Woche eine Familie mit einem zehnjährigen schwerstbehinderten Kind. Die Betreuung richtet sich nach den Erwartungen der Eltern, man spricht sich ab; auch die Geschwister, die vielleicht zu wenig Beachtung finden, müssen einbezogen werden.

"Ich schenke Zeit", sagt sie, "ich will helfen, nicht mitleiden. Der Junge kann zwar nicht sprechen, aber die Empfindungen sind doch da. Er ist zwar eingegrenzt in seinen Kosmos, aber er reagiert, er zeigt Freude und Enttäuschung, und ich freue mich immer wieder auf die Besuche." Sie liest auch vor, wobei niemand weiß, ob er versteht, aber er wird dabei ruhiger. "Er entspannt sich auch, wenn wir ihm Klavierkonzerte von Mozart vorspielen", berichtet Krämer, "ist das nicht wunderbar? Seine Lebenserwartung wird von den Ärzten nicht hoch eingeschätzt. Aber ich freue mich, dass ich mithelfen kann, seine Tage lebenswerter zu machen."

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HintergrundDer ambulante Kinder-Hospizdienst Saar wurde vor zehn Jahren als Gemeinschaftsprojekt der ambulanten Hospizdienste St. Michael (Völklingen ), St. Josef (Neunkirchen) und St. Jakobus (Saarbrücken) gegründet. Er wird medizinisch und psychosozial unterstützt von einem Expertenteam der ambulanten Palliativversorgung. Schwerstbehinderte oder unheilbar kranke Kinder, die medizinisch entsprechend eingestellt sind und im Kreis ihrer Familie leben können, werden von den Ehrenamtlern regelmäßig besucht und, gemeinsam mit den Angehörigen, im häuslichen Umfeld versorgt. Zurzeit werden im Saarland 140 Kinder ambulant betreut. Die SZ-Aktion "Hilf-Mit!" unterstützt die Arbeit des Kinder-Hospizdienstes mit regelmäßigen Spenden. kük/red

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