Gleise im Dornröschenschlaf

Völklingen/Großrosseln · Die eingleisige Bahntrasse durchs Rosseltal stand einst im Dienst des Bergbaus. Jetzt gibt es den Vorschlag, die Strecke zu reaktivieren und einzubetten in ein neues Schienenverkehrs-Modell. Die Meinungen dazu gehen auseinander.

 Saarbahn Richtung Warndt, das war einmal: 2001 konnten Besucher des Warndt-Weekends per Bahn bis zur damals noch aktiven Grube Warndt in Karlsbrunn fahren. Heute enden die Schienen bereits ein gutes Stück vor dem Grubengelände, die Oberleitungen sind demontiert. Und der Gleiskörper, schon damals arg grün, ist völlig überwuchert. Archivfoto: Becker & Bredel

Saarbahn Richtung Warndt, das war einmal: 2001 konnten Besucher des Warndt-Weekends per Bahn bis zur damals noch aktiven Grube Warndt in Karlsbrunn fahren. Heute enden die Schienen bereits ein gutes Stück vor dem Grubengelände, die Oberleitungen sind demontiert. Und der Gleiskörper, schon damals arg grün, ist völlig überwuchert. Archivfoto: Becker & Bredel

Foto: Becker & Bredel

Die Linken sind dafür. Die Völklinger Grünen auch. Desgleichen die AfD. Meinrad Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte, unterstützt die Idee der Interessengemeinschaft Warndt-Rosseltalbahn (IGWRB) ebenfalls. Jörg Dreistadt (SPD ) hingegen, Großrosselns Bürgermeister, ist skeptisch, ob das Projekt sich überhaupt verwirklichen lässt.

Seit ihrer Gründung Anfang 2006 kämpft die IGWRB dafür, die Bahnstrecke durchs Rosseltal zu erhalten. Die einspurige Trasse führt von Fürstenhausen über Geislautern, Velsen, Großrosseln nach Karlsbrunn, zur ehemaligen Grube Warndt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie gebaut, mit kleinen Bahnhöfen in Fürstenhausen, Geislautern und Großrosseln. Sie diente dem Bergbau, brachte Menschen zu ihrem Arbeitsplatz - bis die Deutsche Bahn (DB) 1973 den Personenverkehr einstellte.

Auf der Strecke fuhren noch Güterzüge. Nach der Schließung der Grube Warndt war es aber vorbei mit den Kohle-Transporten. Und 2006 wollte die DB die Schienen am liebsten abräumen. In der Region erwachte Protest: Die Chance zu Verbesserungen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), die eine Schienenstrecke bietet, sollte bleiben.

Die IGWRB trat auf den Plan. Draisinenfahrten durchs Rosseltal begannen. 2012 wurden sie eingestellt. Seither ist kein Rad mehr auf den Warndt-Schienen gerollt. Und der Bahnhof Großrosseln, der noch Bahntechnik beherbergte, ging in private Hände über; die Bahnhöfe Fürstenhausen und Geislautern hatte die DB schon lange zuvor verkauft.

Die IGWRB kämpft weiter um die Strecke. Sie hat nun ein Doppel-Konzept vorgelegt. Eine Museenbahn soll drei Orte der Industriekultur verbinden, das Weltkulturerbe Völklinger Hütte , das Bergbaumuseum im französischen Petite Rosselle und die alte Grube Velsen mit ihrem Erlebnisbergwerk. Und ein Schienen-Ringverkehr soll entstehen, grenzüberschreitend, von Saarbrücken aus entlang der Saar, durch den Warndt, nach Forbach und durch Frankreich zurück nach Saarbrücken (die SZ berichtete). So soll ÖPNV auf der Schiene Verkehrslast von den Straßen der Region nehmen.

Reaktivierung der Rossel-Bahnstrecke, Bau einer grenzüberschreitenden Ringbahn - für Manfred Jost, den Vorsitzenden der Völklinger Grünen, ist das "die nachhaltige Antwort auf die ungelösten Verkehrsprobleme der Region". Jost meint, solch ein Großprojekt sei auch finanziell zu stemmen: Aus Töpfen der Europäischen Union könne man dafür Zuschüsse einwerben, die bis zu 80 Prozent der Kosten decken.

Dieter Müller , Fraktionsvorsitzender der AfD im Völklinger Stadtrat, hält die Museenbahn für "eine geniale Idee": Sie würde, sagt er, "dem Tourismus im Saarland einen enormen Schub geben". Und die Ringbahn sei gut für Saarbrücken, binde sie doch französische Kunden besser ans Einkaufen dort an.

"Die Idee hört sich gut an", sagt Großrosselns Bürgermeister Jörg Dreistadt (SPD ), "aber ob sie zum jetzigen Zeitpunkt realisierbar ist?" Er erinnert ans Technische: Zwischen Warndtschacht und Velsen queren die Schienen zehn Brücken, die nach gut einem Jahrzehnt Nicht-Wartung kaum mehr intakt sein dürften. Vor Karlsbrunn enden die Schienen im Nirgendwo, das Gleis zum Warndtschacht ist demontiert. Eine Brücke zum Völklinger Weltkulturerbe fehlt. Zur französischen Bahn hin müssten 700 Meter Schienen neu gebaut werden - das, sagt er, koste schätzungsweise 40 Millionen Euro. Zwischen Saarbrücken und Velsen bestehe keine Schaltmöglichkeit mehr. Und aus dem Wildwuchs zwischen Schienen und Schwellen seien mittlerweile Bäume geworden, mit Wurzeln tief im Schotterbett; Letzteres müsse man wohl komplett erneuern. Angesichts knappen Geldes überall und der, vorsichtig gesagt, bescheidenen Zahl von ÖPNV-Passagieren in der Region kann Dreistadt sich schwer vorstellen, wie Bahn-Bau und vor allem Bahn-Betrieb auf Dauer zu finanzieren wären.

Für den Streckenabschnitt Großrosseln-Karlsbrunn hat er einen anderen Vorschlag: Rückbau - aber nur, betont er mehrfach, "wenn es dafür keine Nutzung mehr gibt". Der Bahndamm und die Bahnunterführung, ein Nadelöhr in Richtung Petite Rosselle, seien im Ortsteil Großrosseln nämlich "ein Riesenhindernis für die Entwicklung des Ortskerns". Der Anstoß kam aus Lothringen. Fünf Jahre lang rangen 47 Kommunen im Rosseltal um ein gemeinsames Zukunftsmodell. Ende 2011 hatten sie sich geeinigt, auf einen großen, visionären Wurf - sie verabschiedeten den SCoT (siehe "Hintergrund") für die Region. Eines der zentralen Themen im Konzept ist der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) auf der Schiene: Eine Bahn, Tram-Train genannt, soll künftig den gesamten Rosseltal-Raum erschließen. Die SCoT-Macher haben auch schon grob ihre Wunsch-Trassen skizziert.

Deutsche Partner lobten - jedoch zurückhaltend. Die französischen Pläne seien "hochspannend", aber "finanziell noch nicht hinterlegt", sagte etwa Regionalverbandspräsident Peter Gillo (SPD ). Auf jeden Fall weckte der französische Stups Bahnfreunde auf. Die Idee, die Saarbahn Richtung Frankreich weiterzuführen, war schließlich schon lange im Gespräch. Nun diskutierte man darüber, die Saarbahn anzuschließen an den Tram-Train. Beflügelnd wirkte, dass die Franzosen dem Tram-Train oberste Priorität einräumten bei ihren SCoT-Zielen - und dass es in Frankreich für SCoT-Projekte kräftige staatliche Hilfen gibt. So teuer Bahn-Neubau auch ist, völlig unrealistisch sah die Sache nicht aus. Und Paul Fellinger, Bürgermeister von Schoeneck und SCoT-Präsident, erklärte hoffnungsfroh, es werde mit dem Tram-Train nicht lange dauern.

Doch dann hörte man nichts mehr aus Frankreich. Der Eurodistrikt Saar-Moselle gab schon mal eine Studie in Auftrag. Geht das überhaupt mit dem grenzüberschreitenden Schienenverkehr? Wenn ja, wo? Technisch geht es, lautete die Antwort der Studien-Macher. Bevorzugt zwischen Saarbrücken und Forbach, wo es auch Nachfrage gäbe nach solch einem Verkehrsmittel. Mit einer zweiten Studie fasste der Eurodistrikt nach, Ende 2015 lag das Ergebnis vor. "Ermutigend" sei es, fanden die Auftraggeber. Zwei Trassen-Alternativen für eine Stadtbahnverbindung Forbach-Saarbrücken schlugen die Gutachter vor; zusätzlich sei eine große oder eine kleine Schleife im deutsch-französischen Grenzraum möglich. Und eine neue Bahn wirke sich in vielerlei Hinsicht positiv aus, für Stadtbild, Wohnungsangebot, Wirtschaft, regionales Image.

Akteure auf beiden Seiten der Grenze waren Feuer und Flamme. Landtagsabgeordnete verschiedenster Couleur forderten, das Land möge die technisch machbare neue Bahn unterstützen. Aber da ist noch ein wichtiger Satz in der Mitteilung, in der der Eurodistrikt die Studienergebnisse vorstellte: "Die Finanzierung des Baus der Stadtbahn, Vereinbarungen über den Betrieb und die Höhe der laufenden Kosten waren nicht Teil der Machbarkeitsstudie." All das müsse nun erstmal geklärt werden.

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 Von 2007 bis 2012 fuhren Draisinen auf dem Rosseltalgleis. Im Dezember 2007 war dabei der Nikolaus Passagier – zwei Helfer bewahrten seine Mitra vor dem Fahrtwind. Foto: Döpke

Von 2007 bis 2012 fuhren Draisinen auf dem Rosseltalgleis. Im Dezember 2007 war dabei der Nikolaus Passagier – zwei Helfer bewahrten seine Mitra vor dem Fahrtwind. Foto: Döpke

Foto: Döpke
 Die Bahnunterführung in Großrosseln ist ein enges Nadelöhr auf dem Weg nach Petite Rosselle. Foto: Jenal

Die Bahnunterführung in Großrosseln ist ein enges Nadelöhr auf dem Weg nach Petite Rosselle. Foto: Jenal

Foto: Jenal

Hintergrund Die Abkürzung SCoT steht für "Schéma de Cohérence Territoriale" (Plan des räumlichen Zusammenhangs). Der SCoT gibt Leitlinien vor für die langfristige Entwicklung einer Region, über kommunale Grenzen hinweg. SCoT-Vorgaben sind verbindlich; Kommunen müssen Pläne anpassen. Für SCoT-Projekte gibt es staatliche Hilfen. Mit dem SCoT-Konzept fürs Rosseltal haben sich Ende 2011 vier lothringische Kommunalverbände mit insgesamt 47 Kommunen zusammengeschlossen. dd scot-rosselle.com

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