Für ihn wird die Nacht zum Tag

Völklingen · Zwischen den Jahren dürfen sich die meisten Menschen in unserer Region gemütlich zurücklehnen. Aber einige müssen arbeiten – oder sie tun das aus freien Stücken. In der Serie „Unterwegs mit . . .“ begleiten wir sie. Heute: Peter Speicher (51), Bäckermeister in Völklingen.

 Backen ist für ihn noch echte Handarbeit: Peter Speicher mit seinen Mitarbeiterinnen (von links) Brigitte Klein, Bettina Dühr und Evelyn Kammer, rechts Mutter Mathilde Speicher. Foto: Jenal

Backen ist für ihn noch echte Handarbeit: Peter Speicher mit seinen Mitarbeiterinnen (von links) Brigitte Klein, Bettina Dühr und Evelyn Kammer, rechts Mutter Mathilde Speicher. Foto: Jenal

Foto: Jenal

Es gibt nur zwei oder drei Tage im Jahr, die Peter Speicher so normal erlebt wie die meisten Leute: nämlich morgens aufzustehen und abends schlafen zu gehen. Als wir Speicher um halb neun in seinem Geschäft oben in der Völklinger Poststraße besuchen, erklärt er uns, dass er jetzt noch etwa eine Stunde arbeiten muss und dann Feierabend hat. Schließlich sei er ja schon seit Mitternacht auf den Beinen.

Moment, das muss er uns sortieren. Und Bäckermeister Speicher dröselt uns geduldig und zum Mitschreiben seinen Tag-Nacht-Rhythmus auf: Von 0.30 Uhr bis 9.30 Uhr steht er in der Backstube. Und im Bett befindet er sich von 12 bis 17 Uhr und dann wieder von 22 bis 24 Uhr. Und das sieben Tage in der Woche - mit zwei oder drei Ausnahmen im Jahr: "Wenn zwei Feiertage aufeinander folgen, wie etwa an Weihnachten, dann dürfen wir nur an einem geöffnet haben, das ist gesetzlich so geregelt", erklärt Speicher. Und auch nach der Silvesternacht kann Speicher lange ausschlafen, denn an Neujahr ist geschlossen - "da will sowieso keiner einkaufen", stellt er fest.

Der 51-Jährige stammt aus einer Bäckerfamilie, seine Mutter Mathilde Speicher arbeitet heute noch im Verkauf mit. Die Eltern hatten das Geschäft 1961 erworben, das der Sohn dann 1992 übernahm. Vier Verkäuferinnen sind im Stammgeschäft und in der Filiale in der Rathausstraße beschäftigt, in der Backstube machen zur Zeit zwei junge Leute ihre Ausbildung. "Ich hätte gerne noch einen Gesellen", sagt Speicher, "aber unser schönes altes Handwerk ist leider nicht mehr sehr attraktiv." Früher habe es in der Stadt viele Bäckereien gegeben, und alle mit eigener Backstube. Heute nehme der Handel mit fertigem Fabrikteig immer mehr zu, viele Leute könnten sich nur die Billigwaren leisten oder gäben sich freiwillig damit zufrieden. Viele aber auch nicht, stellt Speicher fest und deutet auf die Auslagen in der Theke: "Ich freue mich immer wieder über diesen Anblick, weil ich weiß, dass ich jedes einzelne Stück dieser Lebensmittel, vom Brot über die Baguettes und den Kuchen bis zu den verschiedenen Kaffeestückchen, mit meinen Händen hergestellt habe - als Bäcker sieht man, was man geleistet hat, und was die Kunden genießen können. Bäcker ist ein sehr befriedigender Beruf." Mit dieser Vielfalt an Backwaren und Geschmacksvariationen könnten Fabriken nicht mithalten. "Zur Zeit experimentiere ich mit Brot ohne Hefe - wahrscheinlich können wir es Mitte Januar anbieten." Was nicht verkauft wird, wird nach Feierabend an zwei Tafeln verteilt.

Bis drei Uhr morgens ist Speicher alleine in der Backstube, das Radio bleibt aus. "Es würde mich irritieren, ich muss mich konzentrieren und auch auf die Geräusche achten, mit denen beispielsweise der Ofen mir einiges mitteilt." Um drei Uhr kommen die Lehrlinge, um fünf Uhr startet der Verkauf. "Der Tag vor Weihnachten ist der schwierigste überhaupt", berichtet Speicher, "da bin ich von 19 Uhr bis morgens um neun in der Backstube, denn morgens tragen die Kunden die Baguettes armweise nach Hause." Und dabei haben sie auch diesmal wieder Engelchen hinter der Theke gesehen, denn die Damen lassen dann mit Heiligenschein und niedlichen Flügeln die Backwaren über die Theke schweben. "Wir verkaufen nicht einfach nur Brötchen, wir sind eine Erlebnisbäckerei", verkündet Evelyn Kammer, die seit rund 40 Jahren zum Team gehört. Doch als dann alle für den Fotografen noch einmal als Engelchen posieren, seufzt sie in gespielter Empörung: "Herrje, es ist schlimm, was man hier alles für Geld machen muss!"

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