Engels Spiel und Teufels Beitrag

Völklingen · Cameron Carpenter spielt Orgel, als sei der Leibhaftige in ihn gefahren. Seine heiß begehrten Konzerte – wie jetzt auch in der Gebläsehalle des Weltkulturerbes – sind famose Show und virtuose Kunst zugleich.

 Ultimative Klangzentrale: Cameron Carpenter hat sich diese fünfmanualige Touring-Orgel ganz nach seinen Vorstellungen vom US-Orgelbauer Marshall & Ogletree anfertigen lassen. Zehn Jahre Entwicklungszeit und vier Jahre Bauzeit stecken darin. Zehn Lautsprecherbatterien, quasi die Pfeifen des 21. Jahrhunderts, lassen Carpenters Hexenwerk auf Tasten und Pedalen erklingen. Foto: oli

Ultimative Klangzentrale: Cameron Carpenter hat sich diese fünfmanualige Touring-Orgel ganz nach seinen Vorstellungen vom US-Orgelbauer Marshall & Ogletree anfertigen lassen. Zehn Jahre Entwicklungszeit und vier Jahre Bauzeit stecken darin. Zehn Lautsprecherbatterien, quasi die Pfeifen des 21. Jahrhunderts, lassen Carpenters Hexenwerk auf Tasten und Pedalen erklingen. Foto: oli

Foto: oli

Drei Dutzend Liegestütze: Damit eröffnet Carmeron Carpenter seine ausgedehnten Proben. Nötig hätte er solch' Vorturnen nicht. Seit der US-Boy aus Pennsylvania (und mittlerweile Wahl-Berliner) das Orgelspiel mit riesigem Anlauf ins 21. Jahrhundert gekickt hat, weiß man: Organisten müssen nicht zwangsläufig grau melierte Herren mit Lesebrille und Kordsakko sein. Hautenge halbtransparente Shirts sehen auf der Orgelbank auch geil aus; hat man denn wie Carpenter die Physis eines Zehnkämpfers.

Genau mit dieser Power attackiert er auch sein Instrument. Nicht jede Orgel hat bisher sein Tun heil überstanden. Trippelt der 34-Jährige, der als Knirps im Ofenbauladen seines Vaters an einer alten Hammond-Orgel zu Üben begann, die aberwitzigsten Läufe in die Pedale und steppt über die dreieinhalb Oktaven am Boden als sei der Leibhaftige in ihn gefahren, bebt selbst die nach seinen Plänen maßgefertigte "International Touring Organ" bis ins Mark ihrer Platinen. Fünf Manuale und zehn Lautsprecherbatterien hat sie - und mit Sicherheit genug Rechnerkapazität, um sämtliche NASA-Satelliten auf Kurs zu halten. Carpenters Schöpfung ist sie, vielleicht auch Carpenters Monster. Für das zwar die Klänge der schönsten Kirchenorgeln dieser Welt elektronisch eingefangen wurden, manchmal aber tönt es eben doch auch sehr nach Effektmaschine und Jahrmarktsorgel.

Auch fragt man sich, warum Cameron Carpenter, wie etwa in Chopins Revolutionsetüde, eben das mit Füßen tritt, was eigentlich auf einem Manual zu spielen wäre, er sich das sowieso schon Schwere also noch schwerer macht. Ganz einfach: Weil er es kann. Und weil Carpenter nicht irgendein Interpret ist, sondern ein Virtuose, der Bach, Wagner, Liszt, Scriabin oft so überraschend, so kühn denkt, sich ihre Werke in einer Weise zu Eigen machen kann, dass sie unter seinen magischen Händen und Füßen und in unendlichen Registrierungsvariationen fürwahr zu etwas anderem werden. Zu Klangfarbenräuschen und zu Notengewittern, die das Original virtuos umrauschen, kurzum zu einem grandiosen und auch zu einem erfrischend heiteren Spiel mit der E(ernsten) Musik, die so oft so gründlich missverstanden wird. Carpenter öffnet sie auf seine Weise für ein Riesenpublikum. Ja, auch für Menschen, denen Klassik sonst eher wenig gilt. 900 Gäste kamen allein am Mittwochabend ins Völklinger Weltkulturerbe; die Musikfestspiele Saar hätten das Konzert in der Gebläsehalle glatt zwei Mal verkaufen können. Schon das bemerkenswert.

Dabei sind die Werke trotz aller Show, der vollgriffigen Effekte nie ernstlich in Gefahr, denn wie respektvoll, wie innig Carpenter in der ersten Konzerthälfte Bach spielt, beglaubigt seine Kunst. Furchtbar wäre es, wenn viele Organisten so spielen wollten wie Cameron Carpenter, aber es ist wunderbar, dass er es tut.

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