Amtssitz für drei Tage in Völklingen Bundespräsident Steinmeier im Saarland: Das war der zweite Tag
Völklingen · Bundespräsident Steinmeier lud in Völklingen zur „Kaffeetafel kontrovers“. Dabei war Bildung ein großes Thema. Und er traf die Stadtteilmütter.
Ein Thema war es, das unstrittig und ohne dass es vorher geplant war zum Thema Nr. 1 wurde bei der „Kaffeetafel kontrovers“ mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch im Alten Rathaus Völklingen. Dass auch Gäste, die eigentlich wegen anderer Themen gekommen waren, engagiert mitdiskutierten, ist wohl ein Zeichen, welchen Stellenwert es einnimmt: „Bildung, Bildung, Bildung und noch mal Bildung“, spitzte es Tatjana Brauer vom Jugendmigrationsdienst zu, und dass es höchste Zeit sei, bezüglich unseres Bildungssystems nicht nur zu planen, sondern auch zu handeln.
Dabei ging es um Bildung im weiteren Sinne, auch als ein Motor der Integration und besserer nicht nur beruflicher Chancen aller Menschen, egal welcher Herkunft. Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, so mehrere der Gesprächsteilnehmer, sei es preiswerter, Geld in Bildung zu investieren, als nachher nur noch zu „reparieren“. Saarstahl-Betriebsratsvorsitzender Stephan Ahr und Karl-Ludwig Schäfer (Mitinhaber von Abel + Schäfer) brachen dabei eine Lanze dafür, realistisch bei der Wahl der Ausbildung zu sein („Es muss nicht immer ein Studium sein“). Bundespräsident Steinmeier betonte ebenfalls, dass ein Handwerksberuf nicht das Ende, sondern auch den Anfang einer Karriere bedeuten könne. Nach seiner Wahrnehmung gehe es oft von den Eltern und nicht so sehr von den Kindern aus, dass etwa ein Studium statt einer Lehre angestrebt werde.
Corina Mörsdorf, von der Aus- und Weiterbildung des Kolping-Bildungswerks, bemängelte die Schulpraktika in Betrieben, die Schülern häufig nicht wirklich die Möglichkeit geben würden, einen Beruf kennenzulernen und sich dafür zu interessieren. Stefan Franz, Teamleiter „Markt und Integration“ des Jobcenters, beschrieb, dass es zwar einerseits viele gebildete syrische Flüchtlinge gebe, andererseits aber auch – nach jahrelanger Flucht – Analphabeten, die über viele Jahre nicht aus der Betreuung herauskommen. Indirekt gegen bürokratische Hürden richtete sich Karl-Ludwig Schäfer, als er schilderte, dass ein Lkw-Fahrer, der für eine ausländische Firma fährt, bei ihm auf dem Hof abladen darf, wenn aber der selbe Mann für ein deutsches Unternehmen fahren wolle, bedürfe es erst eines langwierigen Behörden-Procederes.
Ein besonderes Ausbildungsproblem sprach Kiymet Kirtas, Vorsitzende des Integrationsbeirates, an: Inzwischen gibt es viele alt gewordene Einwanderer der ersten Generation, aus Zeiten, als man sich kaum Gedanken um das Thema Integration machte. Für diese Menschen fehle es in der Pflege an Fachkräften, die auch die jeweiligen kulturellen Gepflogenheiten der Seniorin oder des Seniors kennen. Für die jüngeren Generationen nannte Lehrer Akin Aslan, auch Vorsitzender des Vereins Baris, die Sprache als einen Schlüssel zur Integration und die Zweisprachigkeit türkischstämmiger Bürger als Chance.
Was in der Diskussion unterm Strich auch deutlich wurde: In vielen Branchen ist es inzwischen nicht mehr nur ein Fachkräftemangel, sondern schlicht ein Arbeitskräftemangel.
Ein weiteres Thema war natürlich die Stadt Völklingen: Die Stadt sieht etwa Hans Agostini, Einzelhändler und Vorsitzender des Völklinger Wirtschaftskreises, derzeit in einer „Aufwärts-Phase“, auch dank des neuen Modeparks Röther in der City, dank etwa 20 Arztpraxen im engen Umfeld und natürlich dank der umfangreichen Investitionen, die stahl plant. Oberbürgermeisterin Christiane Blatt (SPD) ergänzte, dass es bald eine City-Managerin gebe, was dem Aufwärtstrend zugutekomme. Dr. Cem Özbek, Kardiologie-Chef der SHG-Kliniken, ging auf die positive Entwicklung auch dank der Spezialisierung der Klinik in der Stadt ein – dort würden inzwischen etwa 50 Prozent der saarländischen Herzinfarkt-Patienten behandelt. Aber nicht alles geht aufwärts: Diakon Patrick Winter berichtete vom Zulauf an der Essensausgabe der Emmaus-Stube.
Nach der „Kaffeetafel kontrovers“ ging es für Bundespräsident Steinmeier direkt weiter zur nächsten Kaffeetafel – diesmal zu vier sozial engagierten Frauen, der Stadtteilmanagerin Michaela Kawohl und Oberbürgermeisterin Christiane Blatt. Bei einer Tasse Kaffee und einer syrischen Süßspeise aus Mozzarella-Käse wurde das seit 2010 bestehende Projekt der „Stadtteilmütter“ vorgestellt. Die Völklingerinnen Maria Marcer, Gulseren Bastug, Azimeh Yousef und Michaela Zieder sind Teil des ehrenamtlichen Projekts. Alle vier haben einen Migrationshintergrund und kennen dadurch die Probleme von Neubürgern aus eigener Erfahrung. So können sie zielgerichtet Starthilfe leisten.
Ob es denn so etwas wie eine „Hitliste“ mit Problemen gebe, mit denen die Leute zu den Stadtteilmüttern kämen, will Bundespräsident Steinmeier wissen. An erster Stelle nennt Stadtteilmanagerin Michaela Kawohl die Verständnisprobleme vieler Neubürger bei Behördenpost. Außerdem müsse man oft erst einmal erklären, wie die deutsche Gesellschaft funktioniert. Unterstützung sei häufig auch bei Behördengängen oder Arztbesuchen nötig.
Umso wichtiger sei es, mit den Menschen in ihrer Herkunftssprache zu kommunizieren. Die insgesamt elf Völklinger Stadtteilmütter decken dabei eine erstaunliche Bandbreite an Sprachen ab: Die Frauen sprechen kurdisch, arabisch, farsi, rumänisch, ungarisch, russisch und türkisch. Auch nach dem persönlichen Hintergrund der Frauen erkundigt sich der Bundespräsident. Sichtlich beeindruckt lobt Steinmeier das Projekt als eine „bewundernswerte ehrenamtliche Arbeit“.