Milliarden-Summen könnten auch anderen helfen Verschwörung 2.0 – und die Armen?

Wenn man morgens aus dem Haus tritt und sieht, dass die Straße nass ist, dann wird wohl höchstwahrscheinlich ein Raumschiff der Grund sein?  

 Marco Reuther

Marco Reuther

Foto: SZ/Robby Lorenz

Kürzlich hatte ich hier aus dem Corona-Virus einen ausgebrochenen Löwen gemacht, wobei die Warnung vor dem Tier von einigen in den Wind geschlagen wird – weil man sich die Freiheit nicht beschneiden lassen will und Löwen ohnehin nicht existieren, sondern eine Verschwörung von Bill Gates sind. Dazu erreichte mich jetzt eine anonyme Mail eines bekennenden Verschwörungstheoretikers (VT), in der es auch heißt: „Ihre Geschichte läuft im Ergebnis ja darauf hinaus, dass nur die Menschen, die auf die Anweisungen des Raubtierpflegers hören, schlau genug sind zu überleben. Und wir, die dummen Verschwörer, alle mit unserem Verhalten in Gefahr bringen.“ O.K., da will ich jetzt nicht widersprechen, sondern auf einen späteren Satz eingehen: „Behandeln sie die Menschen nicht wie Idioten. Vor allem nicht die, die Dinge hinterfragen.“

Da ist sie wieder, diese geniale VT-Grundprämisse: Nur man selbst hinterfragt richtig, während „Verschwörungs-Leugner“ nichts verstehen, nicht die richtigen „Experten“ und schon gar nicht die Wahrheit kennen. – Gut, es gab da vor 700 Jahren diesen englischen Philosophen Wilhelm von Ockham, der eine recht einleuchtende Idee zum Hinterfragen hatte („Ockhams Rasiermesser“ genannt): Von verschiedenen Thesen ist meist die einfachste die richtige; sprich: Sieht man eine nasse Straße, könnte ein Riesen-Raumschiff aus der Zukunft gelandet sein, das wegen eines Notfalls Wasser ablassen musste, dann weiter flog. Oder es hat geregnet. Corona ist mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr und nicht weniger als ein gefährliches Virus. Dass Schutzmaßnahmen übers Ziel hinausgeschossen sind, ist möglich. Aber wie sollte man das wissen? Und dass sich die Zahlen hier günstig zu entwickeln scheinen, ist ja kein schlechtes Zeichen (ohne zu leugnen, dass Menschen unter Einschränkungen leiden – natürlich tun sie das.) Aus der Corona-Krise ergibt sich aber, fernab von Verschwörungstheorien, eine sehr kritische Frage, die sich Regierungen und Parlamentarier – und wir uns – tatsächlich gefallen lassen müssen: Mit irrwitzigen Summen und harten Folgen wurden Betagte und Vorerkrankte gerettet. Das ist gut. Aber warum hat man das nicht längst für arme und weniger gebildete Bürger getan? Nicht Facebook-Meldungen sondern echte Untersuchungen zeigen, dass ärmere Menschen weniger gesund sind und im Schnitt früher sterben als Menschen ohne Geldsorgen und mit besserer Ausbildung. Warum also retten wir nicht auch – was langfristig dem Staat, selbst zugutekommt – Lebensjahre der Ärmeren und sorgen für bessere Bildung in der Breite? Das wäre ein Thema, für das es sich zu streiten lohnt – ist aber vermutlich zu komplex, um Menschen auf die Straße zu treiben. „Bill Gates ist schuld“, ist halt einfacher.

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