Nachbarschaft organisiert Ukraine-Hilfe So stemmen ehrenamtliche Helfer die Betreuung der Geflüchteten in der St. Arnualer Scharnhorsthalle

St. Arnual · In St. Arnual hat sich die Nachbarschaft um die Flüchtlingsunterkunft in der Scharnhorsthalle vorbildlich vernetzt. In enger Abstimmung mit der Gemeinwesenarbeit am Wackenberg und unter der Koordination des Bezirksbürgermeisters meistert man dort eine logistische wie gesellschaftliche Herausforderung.

 Städtische Kitas haben die Spielecken in der St. Arnualer Scharnhorsthalle, der Unterkunft für Geflüchtete, liebevoll eingerichtet.

Städtische Kitas haben die Spielecken in der St. Arnualer Scharnhorsthalle, der Unterkunft für Geflüchtete, liebevoll eingerichtet.

Foto: BeckerBredel

Die ehrenamtlich engagierten St. Arnualer sind sauer auf ihren Oberbürgermeister. Der hatte am Wochenende kritisiert, dass die Saarbrücker so wenig Präsenz auf der wöchentlichen Friedensdemo für die Ukraine vor dem Staatstheater zeigen. Demos seien sicher wichtig. „Aber wir packen hier lieber mit an!“, sagt eine der so gescholtenen ehrenamtlichen Helferinnen – stellvertretend für viele.

Über 50 Mitglieder zählt allein die Whatsapp-Gruppe „Nachbarschaft Ukraine“, die Bewohner der „Artilleriekaserne“, das Viertel in unmittelbarer Nachbarschaft zur Scharnhorsthalle, schon eingerichtet hatten, bevor die ersten ukrainischen Flüchtlinge dort  vergangenen Freitag einzogen (wir berichteten). In Windeseile meldeten sich in der Gruppe Menschen an, vernetzten sich nicht nur untereinander, sondern vor allem auch mit der Pädsak,  der Pädagogisch-Sozialen Aktionsgemeinschaft auf dem Wackenberg, die seit vielen Jahren sehr effektiv die Gemeinwesenarbeit in St. Arnual organisiert.

Und weil die größte Hilfsbereitschaft wenig nutzt, wenn die Strukturen nicht funktionieren, übernahm Bezirksbürgermeister Stefan Brand (CDU) die Koordination der Helferinnen und Helfer. Der ehemalige Soldat hat Organisation bei der Bundeswehr gelernt – und ist jetzt ganz in seinem Element.  Sein Büro hat er kurzerhand in den Eingangsbereich der Scharnhorsthalle verlegt. Dort ist er mehrere Stunden am Tag Ansprechpartner für alle, die ihn brauchen.

Überwältigende Hilfsbereitschaft

„Ich bin überwältigt von der Riesen-Hilfsbereitschaft der St. Arnualer“, schwärmt der (ehrenamtliche) Bezirksbürgermeister. Er kümmert sich beispielsweise um die Schichtpläne für die drei Essensausgaben am Tag. Er fragt Bedarfe ab, hält Kontakt zur Verwaltung – und ärgert sich schon mal über mangelnde Unterstützung und die Bürokratie in der Landesaufnahmestelle in Lebach,  wo die Menschen ankommen und erst-registriert werden. Die Nachbarschaft aus der Artilleriekaserne hat die Essensausgabe-Dienste quasi komplett übernommen. „Wir haben am ersten Tag Kuchen gebacken, um die Menschen willkommen zu heißen, organisieren spontan Dinge, die fehlen“, erzählt Annegret Steimer aus dem Viertel. Mal waren es Still-BHs, dann Hygieneprodukte. Weil es keine Waschmaschine in der Halle gibt, haben die Anwohner die dreckige Wäsche der Geflüchteten untereinander aufgeteilt und bei sich zuhause gewaschen.

Nun geht es darum,  für die Geflüchteten nicht nur schnell Wohnraum zu finden, sondern ihnen auch bei behördlichen Dingen zu helfen. „Wir organisieren mit der Pädsak gerade Termine bei der Sparkasse, damit die Leute Konten eröffnen können“, berichtet Brand. Und auch ein Fahrdienst zum Impfzentrum sei organisiert.

Die Pädsak als erfahrener Partner

Die Pädsak ist mit einem Team viele Stunden vor Ort in der Halle. Deren Sozialarbeiterinnen bieten zusammen mit ehrenamtlichen Helfern zudem Spielkreise an, nehmen  Kleiderspenden entgegen, sortieren und verteilen sie. „Die Pädsak ist ein Juwel“, sagt deshalb Stefan Brand.

In weiteren Gruppen haben sich andere, spezialisierte Helfer organisiert. Zum Beispiel die Mediziner. Da wird schnell mal eine Wunde behandelt oder ein Hustensaft ausgegeben, berichtet Annegret Steimer, die selbst Ärztin ist. Nun stehe man zudem vor der Herausforderung, ein Hygienekonzept umzusetzen,  denn Corona-Fälle in der Unterkunft wären eine Katastrophe.

Große Unterstützung erhalte man auch vom Zuwanderungs- und Integrationsbüro (ZIB) der Landeshauptstadt, lobt Brand.  Dessen Leiterin Veronika Kabis organisiere sehr erfolgreich und schnell Wohnungen und Zimmer für die Menschen, so dass diese nach zwei bis drei Tagen aus der Halle ausziehen können.

Auch Michael Klotz von der Awo-Begegnungsstätte im unteren St. Arnual verbringt zurzeit den ganzen Tag in der Scharnhorsthalle. „Einige der Helfer gehen über ihre Grenzen“, weiß er.

Viele spontane Hilfsangebote

„Aber sie werden jeden Tag belohnt dafür“, fügt er hinzu. Wie Brand und viele andere hat auch Michael Klotz die Flüchtlingshilfe 2015 miterlebt. Man schöpft jetzt aus diesen Erfahrungen.

Immer wieder kommen Menschen spontan in die Halle, bieten Hilfe an. Ein Franzose, der Ukrainisch spricht, will sich registrieren lassen. Der örtliche Versicherungsvertreter kommt mit seiner russisch-sprechenden Auszubildenden vorbei, um zu schauen, ob sie dort gebraucht wird. Die Feuerwehr ist da.  Der Winterberg liefert das Essen. Und selbst die Kinder in der Nachbarschaft sammeln Spenden – und gehen damit ins nahe Edeka Süßigkeiten für die ukrainischen Kinder kaufen. Die können in der Scharnhorsthalle in liebevoll ausgestatteten Spielecken spielen.

Scharnhorsthalle ist auch Wahllokal

Am Sonntag sollen weite Menschen in St. Arnual ankommen – von rund 60 ist die Rede. Parallel dazu ist eine weitere Herausforderung zu stemmen: die Landtagswahl. Denn die beiden Wahllokale in der  Scharnhorsthalle durften nicht verlegt werden. „Das hat die Landeswahlleitung verboten. Denn sollte jemand das Wahllokal nicht finden, weil es verlegt wurde, sei die Wahl anfechtbar“, erklärt Brand – und nimmt es kopfschüttelnd hin. Und so wird die Essensausgabe am Sonntag aus dem Foyer in die Halle verlegt werden müssen. „Das kriegen wir alles hin“, ist sich Brand sicher.

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