Zu wenige Wohnungen für arme Leute Trotz Sozialwohnungsnot – die Stadt baut nicht

Saarbrücken · Saarbrücken wollte neues Förderprogramm, um rasant wachsendes Problem zu lösen. Nun ist das Programm da – aber ungenutzt.

Als Turbo-Problem der Saarbrücker Kommunalpolitik machte er im Juni Schlagzeilen – der rasant wachsende Mangel an Wohnungen für arme Leute. Jahrelang hatte die Landesregierung das Problem anscheinend nicht bemerkt. 2013 erklärte das Finanzministerium: „Im Saarland gibt es keine grundsätzliche Unterversorgung mit Wohnraum.“ 2015 versicherte das Ministerium: „Ein Fehlbestand an Sozialwohnungen lässt sich nicht konkretisieren.“ 2016 bekräftigte das Ministerium seinen Standpunkt erneut.

Doch im Juni 2018 war das Problem schon so monströs, dass es unter keinen Teppich mehr passte. Höhepunkt: Die Hans-Böckler-Stiftung behauptete in einer Studie: Allein in Saarbrücken fehlen 17 000 Sozialwohnungen. Das wären etwa 17 Folsterhöhen. Die Studie stieß auf Skepsis.

Unstreitig – und deshalb umso schockierender – war dagegen eine Zahl die bereits im März aufgetaucht war. Die Linken hatten die Verwaltung des Regionalverbandes (RGV) gefragt: Wie viele arme Leute müssen von ihrer Hilfe zum Lebensunterhalt noch Geld abzweigen, um ihre Miete zu bezahlen? Das ist immer dann der Fall, wenn Menschen keine passende Sozialwohnung finden - und deshalb in einer Wohnung leben müssen, für deren Miete der Wohnzuschuss vom Jobcenter oder Sozialamt nicht reicht.

Und so geht es 4284 armen Haushalten in RGV. Das sind über den Daumen rund 7500 Personen, davon etwa 3000 Kinder. Sie alle bekommen das Turbo-Problem regelrecht am eigenen Leib zu spüren. Sie haben weniger Geld für Essen und Kleidung.

Aber sie können nicht in eine billigere, passendere Sozialwohnung umziehen – weil es viel zu wenige gibt. Wie kann das sein?

Schuld daran war das Land – sagten Oberbürgermeisterin Charlotte Britz und die SPD-Stadtratsfraktion.

Hintergrund: Der Bund hatte dem Land Geld gegeben. Das Land sollte dieses Geld als billige Kredite und Zuschüsse an Bauherren weiterleiten – wenn sie Sozialwohnungen planten. Aber das Land knüpfte die Kredite und Zuschüsse an Bedingungen, die es selbst festgelegt hatte – in den Förderrichtlinien für den Sozialwohnungsbau. Und diese Richtlinien – das glaubten Britz und die SPD-Fraktion – waren so weit von den Erfordernissen der Bauwirtschaft entfernt, dass es sich für einen Bauherrn einfach nicht gelohnt hätte, das Geld vom Land in Anspruch zu nehmen. Also habe auch niemand in Saarbrücken Sozialwohnungen gebaut.

Deshalb verlangten Britz und die SPD-Ratsfraktion immer wieder, das Land solle seine Förderrichtlinien der Realität anpassen und so dafür sorgen, dass sozialer Wohnungsbau finanzierbar wird. Konkret schlug Britz drei Punkte vor: Erstens, das Land solle pro Quadratmeter Sozialwohnung 1900 Euro billigen Kredit gewähren (bis Januar 2017 waren es 500, danach 1000 Euro, heute 1750 Euro). Zweitens, das Land solle dem Wohnungsunternehmen 25 Prozent dieses Kredites schenken, wenn, die Wohnung 20 Jahre als Sozialwohnung angeboten wird. Drittens, die Miete für Sozialwohnungen solle künftig von Anfang an 6,10 Euro pro Quadratmeter betragen (statt wie zuvor 5,90 Euro).

Das Problem rückte in den Fokus der Medien, als im Frühjahr 2018 die alarmierenden Zahlen aus dem RGV und die Studie der Hans-Böckler-Stiftung auftauchten.

Danach kam Bewegung in die Sache. Im August präsentierte Innenminister Klaus Bouillon komplett überarbeitete Förderrichtlinien (die SZ berichtete). Und die entsprechen in zwei wesentlichen Punkten nahezu den Vorschlägen von Charlotte Britz.

Das Land fördert den Sozialwohnungsbau jetzt folgendermaßen: Für jeden Quadratmeter gib’s 1750 Euro extrem billigen Kredit; Laufzeit bis zu 30 Jahre. Dafür muss die Wohnung mindestens zehn Jahre als Sozialwohnung vermietet werden. Wer 20 Jahre als Sozialwohnung vermietet, muss nur 75 Prozent des Kredites zurückzahlen. Wer 25 Jahre als Sozialwohnung vermietet, zahlt sogar nur 70 Prozent zurück.

Allerdings darf die Miete pro Quadratmeter in Saarbrücken (im „Normalprogramm“) nur 5,40 Euro betragen. Mieterhöhungen sind im gesetzlichen Rahmen möglich.

Wichtig: Wer für 500 000 Euro bis 1,5 Millionen Euro baut, muss 15 Prozent Eigenkapital mitbringen. Wer für 1,5 bis 2,5 Millionen baut braucht 10 Prozent Eigenkapital. Wer für über 2,5 Millionen baut, braucht nur 5 Prozent Eigenkapital. Den Rest gibt’s immer als Kredit – wie oben beschrieben.

Die SZ fragte bei der Stadt nach, wann sie denn nun ihrem Turbo-Problem zu Leibe rücken will und welche städtische Beteiligungsgesellschaft die Sozialwohnungen bauen wird - die SGS (Saarbrücker gemeinnützige Siedlungsgesellschaft) oder die Giu (Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung). Letztere managt für die Stadt u.a. die Baugebiete am Franzenbrunnen und am Heidenkopf.

Auf diese Anfrage teilte die Stadt weder mit, wer baut, noch wann es losgeht. Statt dessen erläuterte die Stadt ausführlich ihr sogenanntes Bauland-Modell.

Das besagt grob vereinfacht Folgendes: Wer in Saarbrücken auf privatem Grund Wohnungen bauen will, erhält künftig nur dann eine Genehmigung dafür, wenn in seinem neuen Baugebiet oder Gebäude 20 Prozent Sozialwohnungen und 10 Prozent „bezahlbarer Wohnraum“ entstehen. Wer ein städtisches Grundstück kaufen will, muss ein städtebauliches Konzept vorlegen, das auch „Sozialwohnungen und bezahlbaren Wohnraum“ berücksichtigt. Das beste Konzept bekommt den Zuschlag – nicht der Meistbietende.

Weiter teilt die Stadt mit, dass die SGS „überlegt“, ob sie das Haus Moltkestraße 106/108 (bislang keine Sozialwohnungen) abreißt und durch ein Gebäude mit 42 Sozialwohnungen ersetzt. Und dann listet die Stadt auf, wie viele alte, „nicht mehr vermietbare“ Wohnungen die SGS in jüngster Zeit renoviert und in Sozialwohnungen verwandelt hat – nämlich 506. (Insgesamt hat die SGS 592 Sozialwohnungen.)

Aber mit keinem einzigen Wort deutet die Stadt auch nur an, dass SGS oder Giu jetzt oder demnächst für Saarbrücken Sozialwohnungen bauen.

In diversen Ankündigungen aus der Vergangenheit klang das ganz anders. Am 21. Juni 2017 erklärte Britz: „Aktuell fehlen in Saarbrücken rechnerisch rund 4000 Sozialwohnungen. Hier müssen wir dringend Abhilfe schaffen.“ Am 31. August 2017 und am 13. April 2018 kritisierte Britz die Förderrichtlinien des Landes: „So können wir mit unserer städtischen Wohnungsbaugesellschaft nicht wirtschaftlich investieren.“ Am 23. Oktober 2017 versicherte der damalige SPD-Fraktionschef im Stadtrat Peter Bauer: „Wir wollen bauen, und wir können es. Es muss aber auch finanzierbar sein.“

 So schmuck können Wohnblocks mit Sozialwohnungen der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft (SGS) aussehen – unser Bild zeigt eine Fassade am Pfarrer-Bleek-Platz in Malstatt.

So schmuck können Wohnblocks mit Sozialwohnungen der Saarbrücker gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft (SGS) aussehen – unser Bild zeigt eine Fassade am Pfarrer-Bleek-Platz in Malstatt.

Foto: SGS Heike Dillhöfer

Nachdem Bouillon im Frühjahr 2018 die heute gültigen Richtlinien angekündigt hatte, hoffte Britz am 23. April: „Dass das Fördergeld bald bei uns ankommt, denn ohne diese Unterstützung sind uns als Kommune die Hände gebunden.“ Und Britz betonte, es „müsse klar geregelt sein, wie viel Geld den Kommunen“ zustehe, „ein Wettbewerb mit privaten Bauherrn“ müsse „vermieden werden“.

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