Klima-Experte Stefan Rahmstorf "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren"

Saarbrücken · Klimaexperte Stefan Rahmstorf spricht in Saarbrücken über Hitzerekorde, Extremwetter und schmelzendes Polareis.

 Die Luftaufnahme zeigt, dass der isländische Gletscher Okjökull zwischen 1986 (links) und 2019 (rechts) fast seine gesamte Eismasse verloren hat. Auswirkungen des Klimawandels, vor denen Experten schon lange warnen.

Die Luftaufnahme zeigt, dass der isländische Gletscher Okjökull zwischen 1986 (links) und 2019 (rechts) fast seine gesamte Eismasse verloren hat. Auswirkungen des Klimawandels, vor denen Experten schon lange warnen.

Foto: dpa/Uncredited

„Fridays for Future“ ist als Schülerbewegung groß geworden. Die vielen Köpfe, die man im fast vollbesetzten Filmhaus Saarbrücken zählen kann, sind allerdings an diesem Abend überwiegend weißhaarig. Einige junge Studenten sind anwesend, aber ansonsten liegt der Altersdurchschnitt deutlich über 50.

Alle sind gekommen, um Stefan Rahmstorf zu hören. Der vielfach ausgezeichnete Professor für Physik und Ozeanographie ist am Potsdam-Institut für Klimaforschung (PIK) tätig und einer der führenden Klimaexperten Deutschlands. Im Rahmen der Vortragsreihe „Klimakrise – Klimaschutz“ der Universität des Saarlandes in Kooperation mit dem saarländischen Ableger von „Scientists for Future“ behandelt er in einer Videoaufzeichnung die Frage, die alle im Saal umtreibt: Bekommen wir die Klimakrise noch in den Griff?

 Professor Stefan Rahmstorf sprach für „Scientists for Future“ in Saarbrücken - per Videoschaltung.

Professor Stefan Rahmstorf sprach für „Scientists for Future“ in Saarbrücken - per Videoschaltung.

Foto: Astrid Eckert

Der Mensch verändere das Klima „durch Fällen der Wälder (…) und durch die Entwicklung großer Dampf- und Gasmassen an den Mittelpunkten der Industrie“, zitiert Rahmstorf zum Einstieg. Greta Thunberg? Nein, der Satz stammt von Alexander von Humboldt aus dem Jahr 1843. Im Zeitraffer erteilt Rahmstorf einen Abriss über die Geschichte der Klimaforschung. Und dabei zeigt sich: Sogar die Wissenschaftler, die aufgrund der technischen Beschränkungen ihrer Zeit mit nur wenigen verfügbaren Daten arbeiten konnten, haben den Verlauf der Krise überraschend korrekt vorhergesehen – genauso wie der amerikanische Ölkonzern Exxon in den 80er Jahren. Letzterer hatte aber natürlich kein wirtschaftliches Interesse daran, seine Prognosen publik zu machen, und seitdem Millionen Dollar in Kampagnen zur Diskreditierung seriöser Forschungsergebnisse investiert.

Wichtiges Zwischenfazit des Vortrags: Unsere Gegenwart lag für die Forscher der Vergangenheit in ferner Zukunft. Was sie prognostizierten, ist eingetroffen – und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die aktuellsten Prognosen nicht bewahrheiten sollten. Rahmstorf zeigt dutzende Graphiken: Koordinatensysteme, in denen bis dahin flache Linien pfeilgerade nach oben schnellen, sobald das Industriezeitalter erreicht wird. Balkendiagramme, in denen andere Faktoren für den Klimawandel wie Zwerge neben einem Berg stehen, der mit „Einfluss des Menschen“ beschriftet ist. Animationen von Wettermodellen, an deren Ende das Bild in feuerrot versinkt.

Immer wieder fallen Sätze wie „das ist schon lange bekannt“ oder „das hat nichts mit Zufall zu tun.“   Es ist ein Vortrag, der schmerzt. Einerseits wegen der niederschmetternden wissenschaftlichen Ergebnisse, die Rahmstorf präsentiert – andererseits wegen der Art wie er es tut. Die Hälfte seiner Analyse klingt nach Rechtfertigungsversuch, vorgetragen aus einer defensiven Haltung von jemandem, der nahezu alle Wissenschaftler der Welt hinter sich weiß, aber dennoch immer wieder Zeit darauf verschwenden muss, Vorwürfe und Grundsatzfragen derer zu klären, die ihr Fachwissen am Stammtisch erworben haben.

Bei der anschließenden Fragerunde wird Rahmstorf live aus Potsdam in den Saal geschaltet. Längst Usus in anderen Ländern, in Deutschland allerdings ein Dank der verschlafenen Digitalisierung technischer Drahtseilakt. An diesem Abend glückt er. Zuhörer fragen nach dem Zustand der Permafrost-Böden in Sibirien und des Golfstroms oder danach, ob Aufforstung den Klimawandel aufhalten kann („Wir können froh sein, wenn wir es schaffen, die vorhandenen Waldflächen zu retten“). Einer möchte wissen, wieso die Erderwärmung an den Polen höher ist als am Äquator – bisher habe er seinen Studenten erklärt, dies läge an der Luftfeuchtigkeit? „Ich fürchte nicht“, antwortet Rahmstorf, womit er für den einzigen Lacher des Abends sorgt (richtige Antwort: Das bereits jetzt schon schmelzende Polareis absorbiert sehr viel Sonnenlicht und sorgt so für einen fatalen Rückkopplungseffekt – je mehr schmilzt, desto schneller heizen sich die Pole auf). Ein Zuhörer präsentiert in provokantem Ton seine persönliche Theorie zu fossilen Brennstoffen (auf Basis von „Fakten“, die kurz zuvor im Vortrag widerlegt worden sind), um dann eine Frage zu etwas ganz anderem zu stellen. Raunen im Publikum, Rahmstorf selbst bleibt stoisch bei seiner Antwort.

Moderiert wird die Fragerunde von Karin Jacobs, Professorin für Experimentalphysik an der Universität des Saarlandes und Mitglied von „Scientists for Future“. Nach Ende der Veranstaltung zeigt sie sich zufrieden mit dem Ablauf. Die Video-Schaltung nach Potsdam, die eine Anreise unnötig machte, sei zudem gut für die CO2-Bilanz und könne Vorbild sein für ähnliche Veranstaltungen. Die Zuhörer hat es jedenfalls nicht gestört: Als Jacobs fragt, wer einen solcherlei gestalteten Vortrag erneut besuchen würde, heben alle die Hand.

Die eingangs gestellte Frage – ob die Klimakrise noch in den Griff zu bekommen sei – beantwortet Rahmstorf übrigens gegen Ende seiner Analyse mit einem Ja. Allerdings nur, wenn wir sofort handeln. „Wir haben“, so wiederholt er den wichtigsten Appell der Klimaforscher, „einfach keine Zeit mehr zu verlieren.“

(aie)
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