Literaturpflege Ein Sommerfest für die Freunde der Sprache

Saarbrücken · Verblüffendes und Anregendes in einzigartigem Ambiente bot der Lesemarathon im Pingusson-Gebäude. Er war musikalisch veredelte Werbung für die Literatur.

 Im Pingusson-Gebäude las am Samstag – stehend links neben dem Flügel – auch der frühere SR-Literaturredakteur Ralph Schock.

Im Pingusson-Gebäude las am Samstag – stehend links neben dem Flügel – auch der frühere SR-Literaturredakteur Ralph Schock.

Foto: Kerstin Krämer

„Ralph, du musst das Ding ausschalten.“ Irritiert dreht Ralph Schock sich um. Er hat nicht gemerkt, dass nach seinen „Schwarzen Anekdoten“ das Headset noch an ihm hängt und das Mikrofon nun, Rumpelgeräusche produzierend, über den Boden schleift.

Danach wendet sich Klaus Schön, während er Textpulte durch die Gegend trägt, an Jörg Gronius: „Jörg, du bist dran.“ Der protestiert. War da nicht noch jemand vor ihm? Stimmt: Erst kommt Andrea Ebert Kopsch und liest aus Dylan Thomas’ „Unter dem Milchwald“.

Bei einem Langstreckenlesen wie am Samstag im Pingusson-Gebäude kann man aber auch den Überblick verlieren: Die „Rezitative“ alias die „Lesinggesellschaft im Saarland“ feiert ihr 30-jähriges Bestehen mit einem Sommerfest der Literatur. Seit 14 Uhr tragen 13 Autoren und Rezitatoren zehn Stunden lang aus eigenen und fremden Werken vor.

Dazwischen schwingt sich Pianist Thomas Layes an den Flügel und haut für Klassik und Jazz in die Tasten. Auch Schlagzeuger Oliver Strauch mischt kurz mit. „Text ist Klang, Melodie“ lautet die poetische Devise, dazu passt das malerische Ambiente draußen im Park: In der goldenen Abendsonne tupfen Sitzkissen orangerote Flecken auf die grauen Stufen vor der langen Glasfront des Gebäudes. Das Café Fredrik hat im Grünen eigens eine aus Holz gezimmerte pittoreske Außenfiliale errichtet.

Und mancher hockt, vom Zuhören ermattet, nun lieber mit einem Glas Wein im Schatten der Bäume als drinnen. Dort kann man außerdem in einer Ausstellung mit Fotos, Plakaten und Zeitungsartikeln schmökern. Zeitzeugnisse aus 30 Jahren Rezitative. Sogar per Kopfhörer ganze Leseabende nachhören kann man hier oder dem Couchgespräch von Uschi Macher vom Kultusministerium mit den Rezitative-Gründern Klaus Schön und Armin Schmitt lauschen.

Kaum hat Gronius mit seinem noch unveröffentlichten Roman „Eine andere Geschichte der O.“ begonnen, mischt sich Schnarchen in seinen Vortrag. Beherzt stößt eine Zuhörerin dem vermeintlich eingeschlummerten Nachbarn in die Seite. Doch der Mann schläft gar nicht. Er hat einen Schwächeanfall.

Zum Glück ist eine Krankenschwester da, sie bringt den Herrn in die stabile Seitenlage. Umgehend telefoniert man nach dem Notarzt. Der Mann kommt zu sich, ihm ist schlecht, man schiebt vorsorglich Papier unter seinen Kopf. All das geschieht so diskret, dass viele draußen es erst mitkriegen, als der Rettungswagen vorfährt. Bald ist der Herr wieder hergestellt, er muss nicht ins Krankenhaus.

Alles atmet auf. Außer Katharina Bihler, die ihre Textblätter sucht. Es waren ihre Papiere, auf die man den Mann in der Eile gebettet hat: Sie sind weg. Was jetzt? Nun ist die Vortragskunst einer Katharina Bihler derart betörend, dass es egal ist, was sie liest. Sie könnte Beipackzettel referieren, man wäre verzückt. Allein, dieses Manuskript beinhaltet eigene Prosa, es ist auf die Schnelle nicht ersetzbar. Hoffnungsvoll durchwühlt Bihler den Abfalleimer der Toilette – da ist es, sogar noch leserlich.

Doch die Zwangspause hat Publikum gekostet. „Geht’s noch weiter?“, will ein Herr wissen. „Ja“, beruhigt Uschi Macher. Thomas Layes muss musikalisch überbrücken. Dann wird es doch ein netter Abend. Lebendig schildert Reiner Veeck mit Jan Neumanns „Kurzer Komödie für einen Schauspieler“ die Kapriolen, die das Verabsäumen der Sorgfaltspflicht für die Katzen verreister Nachbarn mit sich bringt.

Als Thomas Bernhards erzählerisches Ich grantelt Stefan Schön über die Widerwärtigkeit von Burgschauspielern, während Katharina Bihler im Terrarium unter ihrer Großhirnborke drei Agamen – nun wirklich: schnarchen – lässt. Und da ist noch lange nicht Mitternacht.

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