Wer ist an der Katastrophe schuld? Schwere Vorwürfe nach Unwetter-Fluten

Bübingen/Schafbrücke/Kleinblittersdorf · Kleinblittersdorf und Saarbrücken sollen Pläne missachtet haben. Die Gemeindeverwaltungen weisen die Kritik zurück.

 Land unter in Bübingen: Überflutete Straßen, hochgedrücte Kanaldeckel, weil die Rohre die Wassermassen nach dem Unwetter am Freitag, 1. Juni, nicht mehr fassten. Für die Betroffenen ein eindeutiges Versäumnis der Stadt Saarbrücken. 

Land unter in Bübingen: Überflutete Straßen, hochgedrücte Kanaldeckel, weil die Rohre die Wassermassen nach dem Unwetter am Freitag, 1. Juni, nicht mehr fassten. Für die Betroffenen ein eindeutiges Versäumnis der Stadt Saarbrücken. 

Foto: dpa/BeckerBredel

Die Folgen des Unwetters sind auch eine Woche danach noch gar nicht ganz abzuschätzen. Tonnen Schutt aus den Häusern, Schlamm und Geröll: Die Aufräumarbeiten dauern nach wie vor an.

Hätten die gravierenden Schäden in diesem Ausmaß verhindert werden können? Davon sind viele Betroffene überzeugt. Und sie haben Schuldige ausgemacht: Sie sitzen ihrer Ansicht in den Rathäusern der Landeshauptstadt Saarbrücken sowie der Gemeinde Kleinblittersdorf, wo heftige Gewitter mit extremen Wolkenbrüchen in der Nacht auf Freitag vergangener Woche besonders schlimm gewütet hatten.

Jetzt gehen Opfer im Saabrücker Stadtteil Bübingen auf die Barrikaden. Sie starteten einen öffentlichen Hilferuf, erster Adressat: Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD). Die Vorwürfe wiegen schwer. Denn nach mehrmaligen Überschwemmungen insbesondere in der Feldstraße sind sie felsenfest davon überzeugt: Trotz des Wissens um die Gefahren, dass bei Starkregen die Kanaldeckel hochgedrückt werden und sich Fluten in die Häuser ergießen, seien die unterirdischen Kanäle nicht im geringsten für die Wassermassen ausgelegt. Das sagt Helmut Hartmann. In dem Schreiben an die Verwaltungschefin, das der Redaktion vorliegt, heißt es: „Uns reicht es jetzt. Es kann nicht sein, dass wir bei jedem Gewitter mit Kellerüberflutungen rechnen müssen. Wir fordern hiermit die Stadt Saarbrücken auf, dringend Abhilfe zu schaffen, indem ab dem (unterirdischen) Verteiler Feldstraße 9 der Kanal bis zur Saar vergrößert wird.“

Ähnliche Proteste kommen aus Rußhütte und Schafbrücke, wo sich Straßen in reißende Bäche verwandelten. In Bliesransbach und Kleinblittersdorf gleiche Bilder. Und auch hier der Vorwurf: Die Leitungen sind einfach nicht für Starkregen konzipiert. Hier sollen sogar vom Saar-Umweltministerium nach den Erfahrungen vorheriger Hochwasser 2002 geforderte Pläne zwar erarbeitet, aber stillschweigend in den Büroschubladen verschwunden sein, wie ein Anrainer behauptet.

Dabei handle es sich um Niederschlagswasser-Beseitigungskonzepte, kurz Niwabeko, die von Ingenieurbüros ausgearbeitet wurden. Dafür gab es Fördergeld vom Land. Ein weiterer Vorwurf: Mitte der 90er Jahre sei geprüft worden, ob in Bliesransbach die Abwasserleitungen ausreichen. Das Ergebnis damals sei niederschmetternd gewesen: Ein Großteil habe dringend saniert werden müssen.

Dass nichts geschehen ist, um die Bürger vor Hochwasser zu schützen, weist Kleinblittersdorfs Bürgermeister Stephan Strichertz (parteilos) weit von sich. So habe seine Gemeinde sehr wohl seit 2004 einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in den Ausbau und die Erneuerung des Kanalnetzes investiert. „Zwischen 800 000 und 1,2 Millionen Euro jährlich“, sagt er. Vom Eigenbetrieb Zweckverband Entsorgung seiner Kommune lässt er sich rasch die Zahlen auf den Cent genau vorlegen: 26 363 287,81 Euro sollen zwischen 2004 und 2017 ausgegeben worden sein. Alte Rohre seine ausgetauscht und größere verlegt worden. „Doch solche Naturereignisse wie jetzt kann man nicht vorhersagen“, verteidigt er die Handhabe. Leitungen zu bauen, die solche Wassermassen aufnehmen können, wie sie jetzt vom Himmel kamen, sei einfach nicht drin. Diese wären im Normalfall überdimensioniert und nicht zu finanzieren.

Unterstützung erhält er von Thomas Blug, Pressesprecher der Stadt Saarbrücken. Ein Kanal werde „grundsätzlich für die durchschnittliche Regenmenge ausgelegt, ansonsten wäre seine Funktionsfähigkeit im Normalfall nicht gesichert“. Ablagerungen würden sich dann in den Rohren wegen zu geringer Fließgeschwindigkeit festsetzen, ergänzt Strichertz.

Und dass es sich um veraltete Kanalsysteme handelt, die per se zum Scheitern verurteilt sind, weisen beide von sich. Blug: Die Kanäle, die es in der Landeshauptstadt betrifft, seien 1954 sowie von 1970 bis 1999 gebaut worden. Da sie eine Lebensdauer von bis zu 100 Jahren hätten, könne von altersschwachen Leitungen nicht die Rede sein. „Die Städte können trotz funktionsfähiger und gewarteter Kanäle nicht ausschließen, dass Schäden durch Naturkatastrophen entstehen“, sagt der Sprecher der Stadt. Im Übrigen habe das monierte Förderprogramm Niwabeko „nichts mit dem Thema Starkregen zu tun“.

Die Betroffenen bleiben unterdessen bei ihrer Kritik. Denn neben den aus ihrer Sicht zu kleinen Röhren spielten zudem versiegelte Flächen eine ausschlaggebende Rolle, dass Regen nicht versickern konnte. Während in Neubaugebieten nach Blugs Angaben darauf geachtet wird, traf es nun aber Menschen in alten Siedlungen in Bübingen, Schafbrücke und Rußhütte. In Bliesransbach und Kleinblittersdorf liefen ähnliche Projekte, Regenwasser abfließen zu lassen, damit sie nicht durch Häuser, Garagen und in Keller schießen. Helmut Hartmann kann das alles nach den Erfahrungen nicht überzeugen: „Drei Unwetter hintereinander, und beim dritten kam die Katastrophe, das muss die Verwaltung doch aufschrecken lassen“, wundert er sich.

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