Foto-Serie Kulturbranche kämpft ums Überleben
„Ohne Kunst und Kultur verarmt mein Leben“
(Bernd Reutler, Schauspiel-und Opernregisseur im Ruhestand)
Ich trete nächstes Jahr ein in mein 80. Lebensjahr, gehöre also zu den so genannten Vulnerablen. Dass wir das Kulturleben als eine Art nervige „Off-on-Beziehung“ gestalten müssen, kann auf die Dauer unmöglich gut gehen. Und es ist ebenso nervig, wenn erklärt wird, jede Maßnahme würde in erster Linie zum Schutze der Alten und Vulnerablen getroffen. Ich plädiere ganz entschieden dafür, alle kulturellen Institutionen auf Dauer geöffnet zu halten. Kein Vulnerabler wird gezwungen, am öffentlichen Kulturleben teilzunehmen; es ist seine freie Entscheidung. Ich will für Kunst und Kultur nicht unbedingt sterben, aber ohne ein lebendiges Kulturangebot wäre mein Leben in hohem Maße verarmt. „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (Schiller). Deshalb möchte ich mich an den vielfältigen Formen des Spielens weiter erfreuen können. Gehe ich dabei ganz bewusst das Risiko schwerer Krankheit (oder gar des Todes) ein, so werde ich damit nicht zwangsläufig zur Belastung unseres Gesundheitswesens. Und selbst wenn, dann sei hier Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zitiert: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit so nicht richtig.“ Das heißt für mich auch: Das kulturelle Leben hat nicht vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten. Es lebe die Kunst, es lebe die Kultur!
Bernd Reutler, pensionierter Regisseur und Autor
„Der Kulturlandschaft droht die Verödung“
(Julian Blomann Foto: Agentur Erlebnisraum)
Ein Land ohne Kultur ist weder wünschens- noch lebenswert. Und leider ist es genau das, worum es gerade geht. Der erneute Lockdown ist für die Kultur- und Veranstaltungsbranche mehr ein Symbol für die aktuelle Lage als eine tatsächliche Situationsänderung zu den Wochen davor. De facto ist seit März in unserer Branche kein kostendeckendes Arbeiten mehr möglich. Seitdem kämpfen die Kunst- und Kulturschaffenden im Land – sofern sie nicht das Glück haben, sich in einem Angestelltenverhältnis zu befinden – ums wirtschaftliche Überleben. Der Bund drückt sich darum, die besonders prekäre Lage in der Branche wahrzunehmen. Die existierenden Hilfen greifen zu kurz. Das Land sieht unsere Not, redet mit uns, braucht aber viel zu lang, um Lösungen zu präsentieren. Und ob diese am Ende wirklich helfen steht in den Sternen.
Wenn die Politik nicht endlich gangbare Hilfen präsentiert, dann stirbt die Kultur zwar nicht, aber sie verödet. Überleben werden diejenigen, die schon vor der Krise staatlich gefördert wurden. Sterben werden die, die sich bisher aus eigenen Kräften ihr Schaffen ermöglicht und damit die kulturelle Landschaft bunt und vielfältig gemacht haben. Ich zumindest möchte nicht in einer solchen Stadt beziehungsweise einem solchen Land leben.
Julian Blomann, künstlerischer Leiter der Kleinkunstbühne im Hirsch in Saarbrücken und Leiter des Corona-Krisenstabes des Saar-Pop-Rates.
„Mit Kunst gerade mal 200 Euro verdient“
(Corinna Preisberg inszeniert das Stück "Die zweite Prinzessin" in dem Theaterschiff Maria-Helena. Foto: Oliver Dietze)
Zurzeit ist es sehr schwer, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Dieses Jahr habe ich als frei schaffende Regisseurin gerade einmal 200 Euro mit künstlerischer Arbeit verdient. Ansonsten besteht das Jahr 2020 für mich aus lauter unfertigen Projekten, Anträgen und Hilfen. Eigentlich hätte es ein fettes Jahr werden sollen, doch jetzt ist alles abgesagt. Vor ein paar Tagen mussten wir auch das erste Festival des Netzwerkes Freie Szene, zu dem ich gehöre, in der Völklinger Hütte absagen. Unzählige Hygienekonzepte haben wir geschrieben in der Hoffnung, weiter spielen zu können. Abstände haben wir ausgemessen, Zuschauerwegeführungen geplant, Luftreinhaltungspläne erstellt. Das ist alles gar nicht mein Beruf, und jetzt ist doch wieder alles zu.
In solch einer Krise keine Kunst zuzulassen, die diese Krise reflektieren kann, den Menschen einen öffentlichen Raum zu nehmen, in dem das Denken frei sein kann und die Perspektive wechselt, ist gefährlich. Nicht nur für die Kunst, die kurz vor dem Bankrott steht, sondern für die ganze Gesellschaft.
Aber wir sind noch da und machen weiter. Wenn wir keine Kunst machen dürfen, müssen wir eben Politik machen, damit wir überleben können. Wir geben nicht auf, wir machen was daraus und kommen wieder, spätestens in drei Wochen!
Corinna Preisberg, Regisseurin und Vorstandsmitglied im Netzwerk Freie Szene Saar
„Die Lebensgrundlage wird uns entrissen“
(Anny Hwang: Foto: Florian Thierer)
Als freischaffende Musikerin und Künstlerin genieße ich das Privileg, den Menschen Kunst und Kultur nahezubringen und dies mit einer gewissen künstlerischen Freiheit. Nun erfahre ich zum zweiten Mal in diesem Jahr die plötzliche Stummschaltung der kulturellen Landschaft in Deutschland und erlebe selbst am eigenem Leib, wie Freiberuflern, Solo-Selbstständigen und Beschäftigten ihre Lebensgrundlage „entrissen“ wird. Vor einem Monat habe ich mein Festival „Beethoven + X“, das eigentlich ganzjährig stattfinden sollte, wieder angeschoben und vor einigen Wochen noch beim jungen Festival „Resonanzen“ teilgenommen. Wir waren gerne solidarisch, arbeiteten an Hygienekonzepten, übernahmen Verantwortung – für die schönen Momente mit dem Publikum!
Dieser zweite Lockdown zeigt jedoch, dass Kultur doch nicht wichtig zu sein scheint. Mittlerweile fühlen meine Kollegen und ich uns hilflos – wir sind paralysiert. Viele vergessen, dass der Lockdown für uns bereits seit Anfang des Jahres gilt. Konzerte, die verschoben werden, werden zum großen Teil nun auf übernächstes Jahr verlegt. Ich bin der Überzeugung, dass Kunst in unserem Land die „Tochter der Freiheit“ ist, wie es Friedrich Schiller einst formulierte. Wir KünstlerInnen tragen die Verantwortung, sie den Menschen nahe zu bringen.
Anny Hwang, Pianistin mit saarländisch-asiatischen Wurzeln und Wohnsitz in Berlin.
„Kultur ist so wichtig wie die Autoindustrie“
(Leslie Huppert in ihrem Atelier im KuBa am Eurobahnhof.)
Ob es jetzt sinnvoll war, die Kultur, die seit März faktisch nicht agieren konnte, auf Null zu setzen, ist fraglich. Während andere Betriebe weiterlaufen dürfen, obwohl dort mehr Ausbruchsgeschehen zu verorten war. Vermutlich sind wir eben nicht systemrelevant. Die darstellenden Künste und Musiker und die Eventkultur trifft es noch härter als die bildenden Künstler, da sie überhaupt kein Einkommen mehr haben. Für viele von uns bildenden Künstlern und Künstlerinnen hat sich gar nicht soviel verändert im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit – außer dass jetzt auch noch Verdienstmöglichkeiten zum Beispiel durch Kurse, die viele anbieten, wegfallen. Von Ausstellungsverkäufen können hier im Saarland nicht mal die Erfolgreichsten leben, vorher nicht und jetzt auch nicht. Die Szene wird aber weitermachen, mit oder ohne Hartz IV. Ich persönlich bin sehr zufrieden mit den Förderungen des Landes und der Bundesregierung in der Coronakrise – plötzlich geht es, dass Projekte, Ideen, Vorhaben umfangreich unterstützt werden.
Es geht um gesellschaftliche Prozesse, die von Kulturschaffenden kritisiert, deutlich gemacht und in kulturspezifischer Form zur Diskussion gestellt werden. Die Kultur ist unser höchstes Gut, nicht nur die Autoindustrie. Sie macht dieses Land wirklich reich, interessant und gebildet.
Leslie Huppert, bildende Künstlerin und Kunstvermittlerin.