Saarbrücker Modellprojekt für behinderte und nicht behinderte Menschen Wie Musik Menschen verbindet

Saarbrücken · Im inklusiven Modellprojekt „Meet Klezmer – Xtra! Musik verbindet“ musizieren behinderte und nicht behinderte Menschen miteinander. Die SZ war bei einer Probe.

 Christina Theis und Helmut Eisel (beide mit Klarinette) musizieren mit Teilnehmern des inklusiven Modellprojekts „Meet Klezmer - Xtra! Musik verbindet“.

Christina Theis und Helmut Eisel (beide mit Klarinette) musizieren mit Teilnehmern des inklusiven Modellprojekts „Meet Klezmer - Xtra! Musik verbindet“.

Foto: Kerstin Krämer/KERSTIN KRAEMER

„Du machst alle Schläge gleich laut. Ich brauche aber nur den ersten Schlag betont“, korrigiert Helmut Eisel freundlich einen Jungen, der mit anderen im großen Halbkreis um ihn und seine Kollegin Christina Theis herumsitzt. Alle versuchen, mit Instrumenten einen Rhythmus zu finden, über den die beiden Klarinettisten und Musikpädagogen improvisieren. „Das war schon ganz schön gut“, lobt Theis. „Ich finde, wir dürfen uns jetzt selber mal applaudieren.“ Ort des Geschehens auf dem Homburg ist der Freiraum von „Miteinander Leben Lernen“ (MLL), einem gemeinnützigen Verein zur Förderung gemeinsamen Lebens und Lernens behinderter und nicht behinderter Menschen.

Der „Freiraum“ ist ein inklusives Jugendzentrum im MLL-Angebot „Freizeit inklusive“ mit saarlandweiten Aktivitäten im Bereich Inklusion, Integration, Diversität und Erlebnispädagogik. Und so haben sich hier Behinderte, deren Betreuer und Eltern aus dem ganzen Saarland versammelt, um im inklusiven Modellprojekt „Meet Klezmer – Xtra! Musik verbindet“ zu musizieren; unabhängig von Vorkenntnissen.

„Jeder ist willkommen und wird mit seinen individuellen Fähigkeiten wertgeschätzt“, erläutert Klezmer-Spezialist Helmut Eisel. Vormachen, nachmachen, lautet die Devise: Ziel ist ein Miteinander, das niemanden überfordert. Seit Dienstag wird täglich geprobt, am heutigen Freitag werden die Workshop-Ergebnisse aufgeführt. Dabei erklingen virtuose Klarinettenstücke von Eisel und Theis im Wechsel mit Beiträgen der Teilnehmer; außerdem darf sich das Publikum beteiligen. Die Aktion ist ein Projekt von Helmut Eisel, Christina Theis, MLL und der Kinder- und Jugendinitiative Rodenhof, kurz KIR.

Deren Vorsitzender Dieter Braun guckt am Mittwoch ebenfalls in der Probe vorbei und strahlt, weil das Ganze schon prima klingt. Als eine junge Trommlerin mit Eisel in einen musikalischen Dialog tritt, bleibt einem angesichts ihrer dynamisch wie emotional hochsensiblen Reaktion die Spucke weg. „Ohne Dieter gäbe es dieses Projekt nicht“, erzählt Eisel: Zusammen haben die beiden 2003 KIR gegründet, um Kinder- und Jugendprojekte auf dem Rodenhof zu fördern, bei denen es immer um einen respektvollen Umgang miteinander geht. Was innerhalb eines Stadtteils funktioniert, sollte sich auch in anderem Rahmen realisieren lassen, dachten sich Eisel und Braun.

Letzterer ist mittlerweile Mitglied von MLL, während Eisel sich ohnehin gegen Ausgrenzung engagiert, etwa in seinem Schul-Projekt „Meet Klezmer“. Eigentlich geht’s dabei um Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, aber das Grund-Konzept passt auch hier: „Musik verbindet, und die Andersheit des jeweils anderen ist eine Bereicherung“, sagt Eisel.

Mit Theis kooperierte Eisel wiederum bereits bei einem Klezmer-Online-Workshop; außerdem unterrichtet sie im gleichen Gebäudekomplex, wo sich neben dem Freiraum das Foto- und Filmstudio von Jean M. Laffitau befindet, mit dem Eisel ebenfalls schon zusammengearbeitet hat. Laffitau begleitet das Modellprojekt, um in Form einer Videodokumentation eine Handlungsanleitung für interessierte Nachahmer zur Verfügung stellen zu können. „Damit jeder weiß, was es braucht“, sagt Eisel. Nämlich? „Eine liebevolle Anleitung, die die Kreativität der Leute nicht untergräbt.“ Das Hauptproblem jedoch, erläutern Eisel und Theis, bestehe darin, die Interessen der Gruppe mit den Bedürfnissen Einzelner in Einklang zu bringen. In dem Punkt ergänzen sich die beiden: „Ich sehe den Wald, Christina die Bäume“, sagt Eisel. Allerdings benötige man auch genügend Betreuer, um den Gruppenprozess selbst dann am Laufen zu halten, wenn etwa ein Autist plötzlich ausschere – parallel müsse der Betreffende ja aufgefangen werden. Und generell gelte es, die Improvisation groß zu schreiben: „Man muss die Leute schnell kennenlernen und schnell reagieren“, ergänzt Theis. Denn nicht jeder kommt mit jedem noch so simplen Schlag-Instrument klar; einige haben ihre eigene Geige oder Gitarre mitgebracht – auch das will integriert werden.

Konzert: Freitag, 22. April, 16 Uhr, Freiraum Saarbrücken, Dudweiler Landstraße 7 (zu erreichen über den Homburg, Camillo-Sitte-Straße).

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