Erneuerbare Energien Studie zeigt: Das Saarland könnte Strombedarf komplett mit Solarenergie decken

Saarbrücken · Die Großregion könnte den größten Teil ihres Strombedarfs mit Photovoltaik decken. Flächen zur Erzeugung von Solarenergie gibt es mehr als genug – nicht nur auf Ackerflächen und Wiesen, sondern (mehr noch) auf Dächern, an Fassaden und sogar im Innenraum. Saarbrücker Energieforscher haben das Potenzial errechnet.

Strom aus Sonne hat in der Großregion großes Potenzial
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Strom aus Sonne hat in der Großregion großes Potenzial

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Foto: Heike Jungmann

In der Großregion gibt es mehr als genug Flächen für die Nutzung von Photovoltaik (PV). Das sind nicht nur Dächer und Wiesen, sondern auch Gebäudehüllen und Agrarflächen. Würde man sie nutzen, könnte sich die Region zum allergrößten Teil selbst mit erneuerbarem Strom versorgen. 2018 waren erst rund 10 Gigawatt (GW) PV-Leistung in der Region installiert – technisch möglich wären 184 GW.Diese erstaunliche Größe hat das Saarbrücker Institut für Zukunftsenergie- und Stoffströme (IZES) in dem von der EU geförderten Interreg-Projekt „PV follows function“ ermittelt. Die im Rahmen des Projekts erarbeitete Potenzialstudie stellte es jetzt vor.

Im Vordergrund stand die Frage, wieviel erneuerbarer Strom aus integrierten PV-Anlagen mit welcher Leistung grundsätzlich erzeugt werden kann – und zwar in der gesamten Großregion (Lothringen, Luxemburg, Saarland, Wallonie, Teilen von Rheinland-Pfalz). Dazu wurden nicht nur Unmengen an Daten erhoben, sondern auch Modelle entwickelt und reale Anlagen gebaut und getestet. „Ob und wann man das Potenzial tatsächlich erschließt, hängt aber ab von den politischen und energiewirtschaftlichen Weichenstellungen“, stellte Eva Hauser, IZES Projektleiterin, klar.

Das Interessante und für die Umsetzung in die Praxis äußerst Hilfreiche: Die Wissenschaftler haben anhand von 3D-Modellen vorhandener Gebäude und unter Rückgriff auf Vorgängerstudien und Kataster die PV-Potenziale für jede einzelne Gemeinde in der Großregion errechnet. Über das Geoportal der Großregion (siehe Info) kann man die Daten abrufen und für passgenaue Photovoltaik-Förderung vor Ort nutzbar machen.

Photovoltaik-Energie: Die Flächen sind da, es hängt an ihrer Erschließung

„Das Potenzial ist also nicht das Problem“, sagt Eva Hauser. Das ist vielmehr die Erschließung geeigneter Flächen. Bei der Studie ging es daher zum einen um die Potenziale so genannter „AgriPV“, also um Photovoltaik-Paneele, die nicht schräg wie bei herkömmlichen PV-Großanlagen auf Flächen installiert werden, sondern vertikal aufgeständert sind, damit die Agrarfläche weiterhin für die Landwirtschaft nutzbar bleibt. Im Saarland gibt es bereits eine solche Pilotanlage: in Dirmingen, installiert von der Firma Next2Sun, einem Projektpartner des IZES.

So viel Solar-Strom wie ein Atomkraftwerk produziert

Allein im Saarland könnte eine AgriPV-Leistung von einem Gigawatt installiert werden, das entspricht der Kapazität eines mittelgroßen Atomkraftwerks. Technisch möglich wären sogar 10 Gigawatt. Weil aber nicht alle Flächen geeignet und erschließbar sind, kommt die Studie eben nur auf ein Potenzial von einem Gigawatt, installierbar auf 5500 ha Fläche (potenzieller Stromertrag: rund 1400 GWh/a).

Im dünn besiedelten Lothringen hingegen hat die AgriPV enormes Potenzial, zeigt die Studie. Im Saarland mit seiner dichten Besiedlung komme hingegen nur zirka ein Prozent der Fläche in Frage dafür, so Barbara Dröschel, die ebenfalls am Projekt mitgearbeitet hat.

Gebäudeintegrierte Photovoltaik hat enormes Potenzial

Für die gesamte Großregion hat das IZES ein Potenzial von 72 GW Leistung aus Agri-PV errechnet. Und 112 GW aus der so genannten gebäudeintegrierten Photovoltaik, „Building Integrated PV“, kurz BIPV. Die ist deshalb noch interessanter, weil leichter umsetzbar als Agri-PV. Denn sie minimiert den Flächenverbrauch. „Wir haben allein im Saarland 38 Quadratkilometer Dachflächen und 30 Quadratkilometer Fassadenflächen, die man nutzen könnte“, berichtet Barbara Dröschel. Darauf könnten insgesamt PV-Module mit einer Leistung von 11 GW installiert werden. Ähnliche Werte erreichen die anderen untersuchten Regionen, die je nach Besiedlungsstruktur besser geeignet sind für BIPV oder AgriPV.

Saarland könnte Strom-Jahresbedarf mit PV an Gebäuden decken

Für das Saarland haben die IZES-Wissenschaftlerinnen ausgerechnet, dass hier 11 GW Leistung mit einem Jahresertrag von rund 8700 GWh allein durch BIPV erzeugt werden könnten. Das ist mehr, als das Saarland im Schnitt der letzten 20 Jahre pro Jahr an Strom verbraucht habe, stellt Dröschel einen Vergleich an. Der Verbrauch lag bei 8000 GWh pro Jahr. „Da ist das Energie-Einspar-Potenzial noch gar nicht berücksichtigt“, ergänzt sie.

Die EU hat das Ziel gesetzt, dass ein Drittel der Energie bis 2050 aus Photovoltaik kommen muss. „Allein bis 2030 heißt das, dass wir im Bund von derzeit 63 Gigawatt installierter PV-Leistung auf 215 GW kommen müssen“, rechnet Eva Hauser vor. Ist das machbar? „Ich bin optimistisch“, sagt sie.

Solarbauteile statt Beton und Ziegel

BIPV werde andere Baumaterialien ersetzen, Solarmodule in vielen Formen werden selbstverständlicher Teil von Gebäuden, Objekten und Landschaft. Man kann sie auch innerhalb von Gebäuden verbauen, zum Beispiel als Geländer. Umfrageergebnisse legen zudem nahe, dass die gebäudeintegrierte PV auf weniger Widerstand in der Bevölkerung stößt als große Solarkraftwerke auf der grünen Wiese, ergänzt Dröschel.

Dringend nötig: Förderprogramme, Infos, Solarpflicht

„Wir testen gerade die Grenzen der PV aus und beschreiten neue Wege“, sagt Eva Hauser. „Mit Strom zu heizen wird zukünftig zudem eine größere Herausforderung sein als die E-Mobilität. Wir müssen den Strom direkt nutzen, aber nicht nur zum Heizen.“ Was also ist zu tun, um das technisch theoretisch Mögliche tatsächlich umzusetzen? Es brauche politischen Willen, sind sich die Wissenschaftlerinnen einig. Man müsse die Genehmigungsverfahren erleichtern, passende Förderprogramme aufsetzen, Informationskampagnen starten und eine Solarpflicht beim Bauen und Sanieren einführen. „Vor allem bei der BIPV hakt es. Es gibt wenig Wissen und Erfahrung bei Handwerksbetrieben und Projektierern“, beschreibt Eva Hauser ein Problem.

Photovoltaik muss sich lohnen

PV, egal ob am Gebäude oder auf Ackerland, müsse sich am Ende lohnen und einen Beitrag zur Energiesicherheit leisten. Angesichts der energiepolitischen Herausforderungen werde das schnell der Fall sein, prognostizieren Eva Hauser und Barbara Dröschel.

Info: Über das Geoportal kann jede einzelne Gemeinde der Großregion ihr Potenzial für Agri-PV und BIPV abrufen. Dies ist über die Auswahl „Thematische Karten“, „Energie“ möglich. Dazu muss man ein Account anlegen. https://www.sig-gr.eu/de/cartes-thematiques/energie.html

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