Kolumne Zwei Tage Vorsprung

Vorgestern im Zug zur Arbeit hat sich ein Mann zu mir umgedreht und gefragt, welchen Tag wir haben. Freitag vielleicht? Aber damit lag er so was von daneben. Ich habe trotzdem erst mal „mm-hm“ gesagt, worauf die fremde Frau im Nachbarsessel ihre kleinen weißen Bluetooth-Kopfhörerpins aus der Tasche nestelte und sich einstöpselte, so dass sie am Ende so aussah, als hätte jemand seine Zigarette in ihrem Ohr ausgedrückt. Aber bitte, der Mann saß mit nackten Füßen auf einem ausgebreiteten Schlafsack in grün, und ich hatte meinen Kopf knapp über der Seite 304 eines Buches hängen, das schon irgendwo weit davor mächtig Fahrt aufgenommen hatte. Leute wie wir wissen halt manchmal nicht, dass gerade Mittwoch ist.

Kolumne: Zwei Tage Vorsprung
Foto: SZ/Robby Lorenz

Freitag? Von wegen. Da hatte er sich um zwei Tage verschätzt. Der Mann staunte nicht schlecht, ach was: Er war fassungslos. Er drehte sich wieder nach vorne und starrte auf die braune Zuginnenseiten-Pressholzwand. Was muss er erlebt haben auf seiner Individualistenreise quer durch Ich-weiß-nicht-wo, dass er zwei Tage im Vorsprung war. Je mehr man macht, desto schneller vergeht die Zeit, aber desto länger kommt sie einem im Nachhinein vor. Das kriege ich auch manchmal hin, aber nach meinem Geschmack immer noch viel zu selten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort