Festival Perspectives Welch ein Zirkus mit dem Zirkus

Saarbrücken · Damit französische Artisten beim Festival Perspectives auftreten können, müssen die Veranstalter jedes Jahr erhebliche bürokratische Hürden überwinden. Der Knackpunkt: das Zelt.

 Seit gestern steht das Zirkuszelt für das Stück „Maintenant ou jamais“, das im Rahmen des Festivals Perspectives läuft, auf dem Tbilisser Platz.

Seit gestern steht das Zirkuszelt für das Stück „Maintenant ou jamais“, das im Rahmen des Festivals Perspectives läuft, auf dem Tbilisser Platz.

Foto: Kerstin Krämer

Perspectives ohne Zirkus? Undenkbar! Aber wer ahnt schon, welch ein Zirkus es mit dem Zirkus ist. Genauer: Welche Schwierigkeiten alljährlich überwunden werden müssen, damit das Festival französische Zirkusgruppen nach Saarbrücken holen kann. Das Problem ist das Zelt. Und eine fehlende EU-Norm. Jedes Zirkuszelt hat nämlich sein eigenes Baubuch, und das ist länderspezifisch – heißt, französische Zelte entsprechen der französischen Baunorm. Und die ist leider nicht deckungsgleich mit den deutschen Bestimmungen „für fliegende Bauten“, wie es im Behördendeutsch heißt. In der Praxis gilt, dass das Baubuch einer französischen Gruppe, die mit ihrem eigenen Zelt anreist, umgeschrieben werden muss. Und weil man die Kosten dafür ja schlecht der Gruppe aufhalsen kann, muss das Festival dafür aufkommen, dass das Buch ins Deutsche übersetzt und die Statik neu berechnet wird.

Dann gehört das Buch allerdings dem Festival. Was bedeutet, dass eine französische Compagnie mit einem in Saarbrücken abgesegneten deutschen Baubuch nicht etwa ohne Weiteres in Hamburg spielen kann, weil dann das Festival haften würde. Es funktioniert außerdem deswegen nicht, weil die Abnahme des Baubuchs in Deutschland standortspezifisch geregelt ist: Jedes Bundesland, gar jede Stadt habe wiederum eigene Bestimmungen, erläutert Martha Kaiser, Projektkoordinatorin der Perspectives. In Saarbrücken sind die untere Bauaufsichtsbehörde und der Tüv zuständig, und das funktioniere aufgrund der langen Zusammenarbeit hervorragend, versichert Kaiser.

Noch eine gute Nachricht: Verpflichtet das Festival mehrmals die gleiche Gruppe, so geschehen beim Collectif AOC, vereinfacht das die Sache erheblich. In jedem Fall jedoch erfordert die Abnahme einen gewissen Planungsvorlauf. Spätestens im Januar sollten die erforderlichen Belege vorliegen. Die technischen Anforderungen der Compagnie Circa Tsuica, eines Ablegers des Zirkuskollektivs Cheptel Aleïkoum (Absolventen der französischen Zirkusschule Centre National des Arts du Cirque in Châlons-en-Champagne), entsprachen nun leider nicht der deutschen Norm. Was tun? Das Gastspiel absagen? Nein: Ein deutsches Zelt musste her! Markus Knecht, technischer Leiter der Perspectives, klapperte also so lange deutsche Verleiher ab, bis ein passendes Zelt gefunden war.

Wäre das nicht generell die einfachere Lösung? Eben nicht. Weil die Produktionen der französischen Gruppen des „Cirque nouveau“ jeweils passgenau für das eigene Zelt konzipiert sind. Und dieser „Neue Zirkus“ ist in Deutschland bei Weitem nicht so verbreitet wie in Frankreich oder Belgien. Neuer Zirkus bedeutet: Zirkus ohne Tiere und ohne Nummernrevues – „Neuer Zirkus“ erzählt Geschichten, und da müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Ohnehin bedeutet das Engagement einer Gruppe des „Cirque nouveau“ einen immensen finanziellen wie logistischen Aufwand. Denn die Artisten reisen nicht nur mit eigenem Zelt, sondern auch mit eigenen Wohnwägen an, mit Kindern und sogar deren Lehrern.

„Das alles erklärt, warum nicht allzu viele französische Zirkusgruppen in Deutschland touren“, sagt Martha Kaiser. Jedenfalls rollten am gestrigen Montag die LKW der deutschen Verleihfirma auf den Tbilisser Platz vorm Saarbrücker Staatstheater, um zusammen mit den Perspectives-Technikern das Zelt aufzubauen für die Deutschlandpremiere des Spektakels „Maintenant ou jamais“. Und Circa Tuisa reist schon heute an, um sich an das fremde Zelt zu gewöhnen.

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