Porträt Ein Beobachter mit Feingefühl

Saarbrücken · Walter Gröner aus Saarbrücken hält an verschwindenden Dingen fest, wirkt dennoch nicht wie aus der Zeit gefallen.

 Walter Gröner liebt traditionelle Wirtshäuser. Natürlich fällt sein Blick dann auch auf eine solche Scherbe, die er auf einer Baustelle gefunden hat. Jetzt ziert sie den Garten des Hauses, in dem er wohnt.

Walter Gröner liebt traditionelle Wirtshäuser. Natürlich fällt sein Blick dann auch auf eine solche Scherbe, die er auf einer Baustelle gefunden hat. Jetzt ziert sie den Garten des Hauses, in dem er wohnt.

Foto: Alexander Manderscheid

Ein süßlicher Geruch liegt in der Luft und verrät, dass vor wenigen Augenblicken noch die Müllabfuhr volle, sonnenerwärmte Abfalltonnen in das Maul des großen Lastwagens ausgekippt hat, da hält Walter Gröner eine Scherbe in der Hand. Ein glatter Bruch zieht sich durch die Mitte des alten Tellers, hat den Schriftzug „Schloss Kaffee“ oben in der Mitte aber nicht erwischt. Die Scherbe hat Gröner vor einiger Zeit auf einer Baustelle auf dem Rothenbühl gefunden. Sie ist aus einem Schloss Café von irgendwo, aber niemand weiß genau, wo. Gröner hat sie mitgenommen und vor seinem Fenster auf die Treppe in den Garten gelegt. Wenn er drinnen am Tisch sitzt, fällt sein Blick auf sie, auf diese schöne Scherbe.

Jetzt aber hat er Platz an einem Tisch vor einem Café auf dem Rothenbühl genommen, neben sich eine kleine Papiertüte, die – bald kleiner als seine Hand – er zuvor an den Henkeln hierher geführt hat. Sie sitzt ihm aufrecht wie ein Zwerg in einem Stuhl eines Riesen gegenüber und könnte glatt selbst ein Kännchen Kaffee bestellen, niemand würde sich wundern. Schließlich ist sie prominent für Eingeweihte, die um das Gespräch wissen, der gebürtige Schwabe und der Journalist, in ihrem flachen Bauch versteckt sie außer eben noch der Scherbe auch Postkarten – eine der Leidenschaften Gröners, die an seine Freude an der Literatur herankommt. Was? „Die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts, sie blitzt und schillert“, sagt er und meint damit wohl sogar alles, was ihn packt und bewegt, nicht nur Alfred Döblin, Prosa und Poesie.

Spüren lässt sich das an seiner feinen Sprache mit Worten, die nicht altbacken wirken, aber kaum mehr von jemandem verwendet werden, spüren lässt sich sein Feingefühl für vermeintlich Vergangenes aber auch an dem, was er jetzt auf dem Tisch ausbreitet: Ansichtskarten, die fast alle einen mächtigen Stempel auf ihrem Rücken tragen, außer denen, die noch auf Reisen gehen sollen und noch nicht bereit dazu sind. Seit Jahrzehnten schickt sich Gröner mit alten Wanderfreunden Grüße auf Karton, manche Bilder hat er sogar selbst fotografiert und im Copy-Shop zu einer Karte verwandeln lassen. Hinten müssen immer ein paar Zeilen drauf, eine behält er sich als Erinnerung zurück. So kamen mittlerweile Hunderte zusammen. Da muss sein kleines Appartement ja überquellen. Nein, das meiste hält er „in Schachteln“ – noch so ein Wort. „Schachtel ist wie Kittel“, sagt Gröner darauf aufmerksam gemacht, „ich habe einen Kittel an: Wann sagt man das denn noch?“

Auch die Postkarten, die schönen ruhigen mit einer einzigen Ansicht oder geordneten Bildern statt ineinander verschachtelter Fotos, werden immer seltener, stellt er fest. Aber hier und da findet er noch welche. In Gräfinthal hat ihm ein Wirt einen ganzen Stapel von seiner Gaststätte geschenkt, in Kirchen liegen manchmal noch welche aus, die das Gebäude zeigen. Den hundsgewöhnlichen Briefzentrums-Aufdruck von der Post umgeht er, in dem er bestimmte Filialen besucht, die die Ansichtskarten nicht einfach nur durch die Maschine jagen. In der Post am Saarbrücker Hauptbahnhof sei ein Liebhaber am Philateliestand, „der noch mit sehr großer Freunde und geübter Hand“ den Stempel schwingt. Von denen braucht es auch solche, die verraten, wo Gröner war. Museen haben noch Stempel, aber eben auch Gaststätten, die der Saarbrücker, seit sechs Jahren wohnt er auf dem Rothenbühl, regelrecht sucht. Alte, traditionelle Wirtshäuser hat er besonders gern, der Atmosphäre wegen und der Geschichte, die aus ihnen spricht. Keine einzige am St. Johanner Markt erregt seine Aufmerksamkeit, sondern vielmehr solche wie – und Gröner sucht im Papiertütchen, hat aber jetzt ausgerechnet diese Karte nicht dabei – die Gaststätte Zum schwarzen Diamanten in Püttlingen, eine Bergarbeiter-Wirtschaft, der ein Stück Kohle zum Namen verholfen hatte, das heute noch dort ausgestellt liegt, und die von einer alten Wirtin geführt wird, mit der alles steht und wohl am Ende auch fällt.

 Auch Postkarten haben es Walter Gröner angetan. Diese etwas ältere aus Sulzbach zum Beispiel ist ganz nach seinem Geschmack.

Auch Postkarten haben es Walter Gröner angetan. Diese etwas ältere aus Sulzbach zum Beispiel ist ganz nach seinem Geschmack.

Foto: Alexander Manderscheid

Wenn das passiert, wird Walter Gröner vielleicht wehmütig werden, weil er einen Bezug zu dieser Wirtschaft gewonnen hat. Aber sonst nicht. Er ist vielmehr ein Beobachter des Wandels, sieht Altes verschwinden und Neues kommen. Dann aber ein Nostalgiker? Nein! Der Nostalgiker rekonstruiert das, was vergangen ist. „Ich kann noch damit leben. Das, womit ich aufgewachsen bin, davon gibt es glücklicherweise noch was. Nur wird es halt immer weniger.“

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