Nach Sportunglück in St. Arnual Unterschenkel-Amputation bei jungem Fußballer hätte verhindert werden können – Ex-DFB-Arzt spricht von Pfusch

Saarbrücken · Schwere Vorwürfe gegen Evangelisches Krankenhaus. Hätte Unterschenkel des Fußballers Stefan Schmidt gerettet werden können?

 Stefan Schmidt am 6. Juli 2017 im Krankenzimmer der Klinik auf dem Saarbrücker Winterberg. Am 9. Juni hatte er nach schwerwiegenden Komplikationen seinen rechten Unterschenkel verloren. 

Stefan Schmidt am 6. Juli 2017 im Krankenzimmer der Klinik auf dem Saarbrücker Winterberg. Am 9. Juni hatte er nach schwerwiegenden Komplikationen seinen rechten Unterschenkel verloren. 

Foto: Matthias Zimmermann

Stefan Schmidt ist heute bei Amputiertenspielern international unterwegs, hat nach viel Unterstützung seiner Vereinskollegen sowie durch zahlreiche Benefizaktionen den Weg zurück in den Sport gefunden. Und damit auch seine Lebenslust.

Was den 24-Jährigen allerdings erschüttert, ist eine Passage im aktuellen Anwaltsschreiben des Evangelischen Krankenhauses in Saarbrücken. Dort war Schmidt nach seinem Sportunfall behandelt worden.

Anwalt Sven Lichtschlag-Traut bezieht sich in dem Brief  auf eine Fernsehsendung, die zeigt, wie souverän Schmidt mit seiner Behinderung umgeht. Somit sei seine Forderung von 100 000 Euro Schmerzensgeld überzogen. Stefan Schmidt sagt dazu: „Das ist eine absolute Frechheit. Ich war enttäuscht, traurig, sauer.“ Damit werde bagatellisiert, wie viel Kraft es koste, sich ins Leben zurückzukämpfen.

Auslöser dafür sei die unzulängliche Arbeit des Krankenhauses gewesen: Ärztliche Inkompetenz bei der Ankunft in der Notaufnahme, gravierende Mängel bei der Operation, Versagen bei der anschließenden Behandlung inklusive viel zu spät gestellter Diagnose. Das alles soll zu folgenschweren Komplikationen geführt haben.

Das zumindest hält Dr. Stefan Schuh den Verantwortlichen des Krankenhauses in Saarbrücken vor. Der ehemalige DFB-Arzt spricht von „massivem Kompetenzmangel“. Der Völklinger ist überzeugt davon, dass bei einwandfreier medizinischer Behandlung der Unterschenkel des jungen St. Arnualer Fußballspielers hätte gerettet werden können.

Der 56-Jährige erklärt: „Es handelte sich um eine Fraktur des rechten Unterschenkels, wie er in diesem Sport immer wieder vorkommt.“ Nach Durchsicht der Behandlungsakten stehe für den Mediziner fest, dass es eindeutig zu Behandlungsfehlern gekommen sei.

Schuh spricht von „grobem Behandlungsfehler“. Schon kurz nach Einlieferung des jungen Mannes in die Klinik seien erste begangen worden. So soll es Standard sein, dass sich zwei Ärzte bei der Operation um den Patienten kümmern. Schuh sagt: „Bei Stefan waren es ein Arzt und ein Pfleger.“ Sie hätten „über eine Stunde probiert“, die Knochen an der Bruchstelle zusammenzubekommen. Erst als all das nichts half, habe der Arzt den diensthabenden Mediziner hinzugerufen. Entsprechende OP-Protokolle belegten, wie lange erfolglos herumgedoktert wurde.

Erschwerend komme hinzu, sagt der Sportmediziner, dass der damals 23-Jährige während der langwierigen, hilflosen Versuche viel zu lange Röntgenstrahlen ausgesetzt worden sei. „Die haben den Kerl gegrillt.“

Damit nicht genug: Kurz bevor Schmidt unters Messer kam, sollen die Ärzte eine Blutsperre angelegt und gefüllt haben. Dies hält Schuh für unnötig, da es sich nicht um einen offenen Bruch gehandelt habe, bei der eine Blutung hätte gestoppt werden müssen. „Das ist heute nicht mehr üblich.“

Für den einstigen DFB-Mediziner darüber hinaus nicht nachzuvollziehen: „Über zwei Stunden haben die das gemacht. So lange, dass Gewebe abstirbt, Nerven und Blutgefäße geschädigt werden.“

Stefan Schmidt klagte nach der Operation über „massivste Schmerzen“ im verletzten Bein. Diese sollen nur nach Einnahme von Morphin nachgelassen haben. Stunden seien dann verstrichen, bis ein gefährliches Kompartment-Syndrom diagnostiziert wurde, welches Ärzte bereits während der Morgenbesprechung festgestellt haben sollen. Dabei handelt es sich um einen überhöhten Druck im Gewebe, der Blutgefäße, Muskeln und Nerven schädigt.

Erst nach all diesen Fehlern kam der Sportler zur Gefäßchirurgie der Saarbrücker Winterberg-Klinik. Doch da war es schon zu spät: Die Ärzte konnten seinen Unterschenkel nicht mehr retten. Der Arzt Stefan Schuh ist davon überzeugt, dass es gar nicht so weit hätte kommen müssen, wenn ein Unfallchirurg am Tag der Einlieferung im Evangelischen Krankenhaus gewesen wäre. Aus den Dienstplänen der Klinik gehe aber hervor, dass dies nicht so war.

Unterdessen weist die Stiftung Kreuznacher Diakonie als Träger des betroffenen Hauses alle Schuld von sich. In ihrem Auftrag schreibt der Saarbrücker Rechtsanwalt Sven Lichtschlag-Traut als Erwiderung zur Schmerzensgeldklage ans Landgericht: „Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.“

Der ebenfalls aus Saarbrücken stammende Advokat Marc Herbert, der Stefan Schmidt vertritt, fordert von der Klinik im Namen seines Mandanten 100 000 Euro wegen des Ärztefehlers. Indes sieht es die Gegenseite ganz anders: Lichtschlag-Traut schreibt ans Gericht, dass Stefan Schmidt „jederzeit ordnungsgemäß behandelt worden“ sei. Die Operation sei korrekt verlaufen. Zwar sei es zu einem Kompartment-Syndrom gekommen, dabei handle es sich allerdings um ein „allgemeines Risiko“.

 Stefan Schmidt ist trotz der Amputation wieder in seinem Element: Der Fußballer hat sich in den Sport zurückgekämpft, hier in Braunschweig.

Stefan Schmidt ist trotz der Amputation wieder in seinem Element: Der Fußballer hat sich in den Sport zurückgekämpft, hier in Braunschweig.

 Dr. Stefan Schuh, ehemaliger DFB-Arzt.

Dr. Stefan Schuh, ehemaliger DFB-Arzt.

Sportmediziner Stefan Schuh kritisiert: „Ich halte das Diakonie-Verhalten für nicht in Ordnung.“ Es gebe kein Fehlermanagement. Zudem bezweifelt er, ob das saarländische Gesundheitsministerium das Evangelische Krankenhaus  wegen des dortigen Personalmangels weiterhin als Notfallkrankenhaus führen sollte.

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