Saarbrücken Leben im Kampf gegen Kinderlähmung

Scheidt · Ulrike Jarolimeck, 67, ist Vorsitzende des Bundesverbandes Poliomyelitis. Sie selbst leidet seit 65 Jahren daran.

 Ulrike Jarolimeck ist Vorsitzende des Bundesverbandes Poliomyelitis. 

Ulrike Jarolimeck ist Vorsitzende des Bundesverbandes Poliomyelitis. 

Foto: Iris Maria Maurer

Geschlossene Freizeiteinrichtungen, Infizierte in Quarantäne und der weitgehende Stillstand des öffentlichen Lebens. Was klingt, wie eine Beschreibung der aktuellen Lebenssituation, lässt bei Ulrike Jarolimeck Erinnerungen wach werden.

1954 wurde bei der aus Scheidt stammenden Rentnerin Poliomyelitis diagnostiziert, im Volksmund besser bekannt als Kinderlähmung. Für die damals Zweijährige folgte ein dreimonatiger Krankenhausaufenthalt im Bürgerhospital auf dem Reppersberg. „Am Anfang sprach der Hausarzt von einem grippalen Infekt, doch nach einer Woche fragte mein Vater, ob es nicht die Symtpome einer Polio-Infektion sein könnten“, berichtet die 67-Jährige.

Weiter reichende Untersuchungen bestätigten den Verdacht und besiegelten, dass sich das Leben des Mädchens von Grund auf ändern würde. Kurz vor Weihnachten durfte Jarolimeck das Krankenhaus zwar verlassen, doch die Krankheit blieb seither ihr Begleiter.

Dank ihres jahrelangen Eifers, sich der einsetzenden Lähmungen in Armen und Beinen entgegenzustellen, gelang es dem Mädchen 1959, gemeinsam mit ihren Altersgenossinnen eingeschult zu werden. Nach dem Fachabitur arbeitete Jarolimeck ab 1971 im gehobenen Dienst beim Saarbrücker Finanzamt.

Nach sechs Jahren gab die Finanzbeamtin ihre Laufbahn aber wegen der Geburten ihrer Söhne Jan und Jörg auf und kümmerte sich fortan um den Nachwuchs. Trotz der Einschränkungen durch die unheilbare Polio-Infektion führte Jarolimeck über Jahrzehnte ein ganz normales Leben.

Schrittweise ließ die Muskelkraft allerdings nach, heute sitzt Jarolimeck im Rollstuhl. Offiziell ist sie vom Post-Polio-Syndrom (PPS) betroffen. Nach ihren Schätzungen geht es ihr damit wie „60 bis 70 Prozent der Betroffenen“. Das erneute Auftreten von Beschwerden im hohen Alter sei daher eher die Regel als die Ausnahme.

„Polio-Erkrankte laufen ihr ganzes Leben lang Marathon“, vergleicht die 67-Jährige das Krankheitsbild mit einem Dauerlauf.

Um sich mit anderen Betroffenen zu organisieren, leitet die Rentnerin seit einigen Jahren eine Selbsthilfegruppe, die sich einmal im Monat in Saarbrücken trifft. Zudem ist sie Vorsitzende des Bundesverbandes Poliomyelitis e.V.

Die Idee, ihre Erfahrungen mit Anderen auszutauschen, kam Jarolimeck, nachdem sie merkte, dass die von ihr beschriebenen Symptome bei den meisten Ärzten nur Fragezeichen hinterließen. „Es ist sehr wohltuend, mit anderen Betroffenen zusammenzukommen. Oft treten im Kreis der Gruppe Probleme ans Tageslicht, die selbst unsere Kinder und Ehepartner nicht immer verstehen können.“

Derzeit gehören der Gruppe rund 40 Mitglieder an. 15 davon besuchen laut Jarolimeck die regelmäßigen Treffen im Saarbrücker Johanna-Kirchner-Haus.

Da das Coronavirus persönliche Treffen derzeit unmöglich macht, weicht die Gruppe ins Internet aus. Über eine WhatsApp-Gruppe bleiben die Mitglieder in Kontakt, erzählt Jarolimeck. Nach der Kinderlähmung trotzt sie nun auch der Corona-Krise.

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