Verwirrendes im Achteinhalb Ulrich Ludat: „Südenschlagen“ – Ein rätselhafter Kunst-Abend

Saarbrücken · Südenschlagen: Der Saarbrücker Komponist und Aktionskünstler Ulrich Ludat …

„Südenschlagen“. Der Titel des Abends gibt Rätsel auf. Gut, dass die Veranstalter den Besuchern ein Programm aushändigen, auf dessen Rückseite sich ein langer, programmatischer Artikel zum Thema befindet. In „Schreckliche Dinge“, so der Titel des Artikels, reflektiert der Journalist Thomas Steinfeld kritisch die großen Kunstausstellungen der letzten Jahre, die sich ausgiebig den im Süden gelegenen ärmeren Regionen widmeten.

Eigentlich wollte der Saarbrücker Aktionskünstler Ulrich Ludat gemeinsam mit Kollegen bereits im letzten Jahr seine persönliche Auseinandersetzung mit der benachteiligten Hälfte des Planeten präsentieren. Im dritten Anlauf hat es nun geklappt: „Unheimlich schön“, dringt es mit viel Hall unterlegt immer wieder aus den Boxen in den Zuschauerraum des Kinos Achteinhalb. Die Frauenstimme oszilliert zwischen gehauchter Laszivität und schwer atmender Depressivität – womöglich ein Hinweis auf das, was an diesem Abend kommen mag. Denn die gut zehn Programmpunkte vermessen den vermeintlichen Sehnsuchtsort Süden immer wieder neu, indem sie zwischen konkreter Anschauung und abstrakter Anhörung hin- und herpendeln.

In Peter Strickmanns Komposition „Schnarchnaserei“ rufen die voll klingenden Hörner ein idyllisches Bergpanorama ins Gedächtnis. Doch mit der Idylle ist nicht weit her: Denn unterdessen kommt von außen durch den Notausgang ein seltsamer Gefährte in den Zuschauerraum über die Leiter geklettert. Auf seiner Schulter eine Posaune im Anschlag, verkehrt herum, sodass der Posaunenzug bedrohlich wie der Lauf eines Gewehres wirkt.

Der spanischstämmige Saarbrücker Nicolás Galiana de la Rosa verkörpert glaubhaft die Bedrohung von außen, die man als fleischgewordene Metapher der Flüchlingsproblematik deuten konnte. Ein ohrenbetäubender Krach mit einem finalen Schuss veranlasst den Eindringling schließlich zur Flucht.

Und es öffnet sich der Vorhang für Ulrich Ludats Film „anécdotas de barcos fluctuantes“. Zu sehen sind zwei schaukelnde Schiffskähne im Delta des Río de la Plata, wo sich Ludat im Rahmen einer künstlerischen Residenz aufhielt. Der Lärm der knatternden Dieselmotoren und das Quietschen des Krans, der die beiden Kähne mit Schutt belädt, sind ohrenbetäubend und strapazieren die Nerven aufs Äußerste.

Erst ein Windstoß, der die am Boot angebrachte und sich gleichzeitig in einer dreckigen Pfütze spiegelnde argentinische Flagge sichtbar macht, macht aus der Kameraeinstellung einen deutbaren Ort im Süden der Welt.

Im Reigen der anschließenden Darbietungen überlagern sich die Medien: Ludat trommelt mit Fliegenklatschen auf Papierpartituren, die an der Wand hängen. Die Zuschauer werden zu aktiven Gestaltern der Performance, indem sie mit Steinmörsern mahlend den Sound um eine weitere Dimension erweitern. Vermeintliche Ruhe kehrt erst mit Konstantin Ames ein.

Der aus Völklingen stammende und in Berlin lebende Schriftsteller erweitert in seinen Texten die übliche Synthax kunstvoll-lautmalerisch und plädiert voller Verve für „keine gelenkte Kunstfreiheit“. Während ein verzettelter sizilianischer Trauermarsch beginnt, klingt Ames langsam aus, und der erste Zuschauer verlässt den Raum, noch bevor Ludat und Ames im finalen Duett Ulrich Mühsam Gedicht „Ich wollt das Lied des Herzens nicht verschweigen“ (1914) hauchen – und einfach verschwinden.

Der die Sinne und das Assoziationsvermögen höchst strapazierende Abend endet mit einem eigenwilligen, lediglich in italiensicher Sprache gezeigten Film über die Ankunft eines postmoderen, queeren Kaspar Hauser auf Sardinien. Ein passender Abschluss dieses denkwürdigen Abends, an dem Kunst nicht gefallen, sondern lautstark auf sich aufmerksam machen wollte und es tat.

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