Staatstheater Saarbrücken „Ich mag es, mit dem Zaunpfahl zu winken“

Saarbrücken · Dave Eggers „Eure Väter. . .“ ist ein Roman mit Mission. Thorsten Köhler erzählt, warum er ihn gerade deshalb für die Sparte 4 inszeniert.

 Regisseur Thorsten Köhler in der Sparte 4 beziehungsweise in der Betonhölle, die er und sein Bühnenbildner Justus Saretz für „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“ gebaut haben. Den Roman des Star-Autors Dave Eggers hat Köhler für seine Inszenierung selbst bearbeitet, da ihm die bisherige deutsche Übersetzung nicht kraftvoll genug war.

Regisseur Thorsten Köhler in der Sparte 4 beziehungsweise in der Betonhölle, die er und sein Bühnenbildner Justus Saretz für „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“ gebaut haben. Den Roman des Star-Autors Dave Eggers hat Köhler für seine Inszenierung selbst bearbeitet, da ihm die bisherige deutsche Übersetzung nicht kraftvoll genug war.

Foto: Kerstin Krämer

„Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“ So heißt, nach einem Bibelzitat aus dem Alten Testament, ein 2015 erschienener Roman von Dave Eggers. Die über 200 Seiten starke Vorlage hat Thorsten Köhler, Schauspieler, Regisseur und Co-Leiter der Sparte 4 des Staatstheaters, nun für die Bühne bearbeitet und zum Kammerspiel destilliert, das er auch selbst inszeniert.

Es ist die erste Schauspielfassung des Buchs überhaupt – zwölf Vorstellungen sind geplant, am Freitag, 29. März, ist Welturaufführung in der Sparte 4. „Wer’s nicht weiß, wird wahrscheinlich nicht denken, dass es von mir ist“, vermutet Köhler im SZ-Gespräch. „Das ist das Purste, Cleanste, was wir je gemacht haben.“

Mit „wir“ meint er sich selbst und Justus Saretz, der für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet. Saretz arbeitet neben dem Theater viel fürs Fernsehen, er machte etwa das Stage-Design für MTV Wohnzimmer oder Circus HalliGalli. Mit Saretz kooperiert Köhler schon lange, „Der große Preis“ in der Sparte 4 war eine gemeinsame Arbeit.

Eigentlich, sagt Köhler, pflegten Saretz und er einen Hang zu „Trash und Bad Taste“. Dafür lasse dieser Stoff aber gar keinen Raum. Auch „Botschafts-Lastigkeit“ habe man ihm schon vorgeworfen, sagt Köhler lachend, und dazu bekennt er sich auch: „Ich mag es, mit dem Zaunpfahl zu winken.“

Da hat er sich mit Eggers nun genau den Richtigen ausgesucht: Der Amerikaner ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Autoren der USA und gilt als engagierter Schriftsteller mit Mission. In Deutschland erregte vor allem sein Roman „The Circle“ Aufsehen: Eggers skizziert darin eine dystopische Zukunft, in der alles von einem allmächtigen Internet-Konzern kontrolliert wird.

„Eure Väter. . .“ bezeichnet Köhler nun sogar als „pädagogischen Text“. Warum? „Weil wir uns die gleichen Fragen stellen wie Thomas.“ Thomas ist Mitte 30 und entführt Leute, mit denen er verschiedene Rechnungen offen hat, weil er endlich Antworten kriegen will. Insgesamt sechs Leute – darunter einen ehemaligen Studienkollegen, einen früheren Lehrer, einen Politiker, sogar seine eigene Mutter – kettet er einzeln in verschiedenen Hallen einer stillgelegten kalifornischen Militärbasis an und zwingt sie zu dem Diskurs, den sie ihm zeitlebens verweigert haben. Was läuft falsch? Privat, gesellschaftlich? Bin ich schuld? Sind’s die anderen?

Der – von der Literaturkritik zerrissene – Roman ist überfrachtet mit Themen; lediglich die Kirchenschelte hat Köhler rausgestrichen. Es geht um persönliche Enttäuschungen, Traumata und Radikalisierung, um Moral und sexuelle Übergriffe. Und es mündet in der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Verantwortung des Einzelnen: Wie sollen wir miteinander leben?

„Eggers hat die ganzen Debatten der vergangenen Jahre vorweg genommen“, meint Köhler. Thomas verkörpere den Phänotypus des frustrierten Protestwählers, des im Leben zu kurz Gekommenen, dessen angestaute Aggressionen sich nun in einer Übersprungshandlung Bahn brechen.

Thomas will seine Opfer aber nicht schädigen – der tut nix, der will nur reden. Ob die Polizei, die ihm längst auf den Fersen ist, das auch so sieht? Das Ende bleibt offen.

Eggers habe seinen Roman in sokratischen Dialogen verfasst, erläutert Köhler, bloß dass die Rollen zwischen Mentor und Schüler vertauscht seien. Diese Dialog-Struktur hat Köhler beibehalten: „Mir war sofort klar, dass man diesen Text sprechen muss.“ Enttäuscht von der deutschen Übersetzung, die seiner Ansicht nach viel zu zahm, geschwollen und hochsprachlich geraten ist, hat er sich bei seiner Bearbeitung im Wesentlichen ans Original gehalten.

Für die Inszenierung hat Köhler seine Wunschbesetzung gekriegt: Philipp Seidler spielt Thomas; in die Rollen aller seiner Entführungsopfer schlüpft Gregor Trakis – ohne jede Kostümshow.

Überhaupt hat Köhler sämtliche Requisiten gestrichen und sich dem Agit-Prop angenähert: Die Kulisse bleibt karg; reduziert auf Betonpfeiler, Liegepritsche, Kette mit Fußfessel und Zementblöcke, wie sie als Bollwerk gegen potenzielle Amokfahrer eingesetzt werden. „Wir wollten einen gewissen Brutalismus auf die Bühne kriegen“, erklärt Köhler. Dafür schickt er jeden Gefangenen außerdem in seine persönliche Schlagerhölle: Samir Taibi (Musik, Licht und Ton) hat mit der Gitarre Noise-Klänge zur Bebilderung von Thomas’ Furor eingespielt; dem setzt Köhler zynisch schnulzige Klassiker von Perry Como, Dean Martin und Tony Bennett entgegen.

Premiere: Freitag, 29. März, 20 Uhr, Sparte 4 in der Eisenbahnstraße (gegenüber Ludwigsplatz). Wieder: 5./13./18./21. April und 3./19. Mai, jeweils 20 Uhr. Karten: (0681) 3092-486.
www.staatstheater.saarland

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