Protokoll einer Daheimgebliebenen Goldgräber-Stimmung im Wilden Osten

Erbil · 20 Länder und 20 000 Kilometer in einem Jahr: Fabian Theobald hat Großes vor. Seine Partnerin Judith Rachel berichtet darüber.

  Männer bei Tee und Wasserpfeife gehören zum Stadtbild von Erbil.

Männer bei Tee und Wasserpfeife gehören zum Stadtbild von Erbil.

Foto: Fabian Theobald

Wenn Theo von Erbil erzählt, muss ich an „Chalmuns Cantina“ denken, die intergalaktische Kneipe in dem Film „Star Wars“. Die Cantina auf dem Wüstenplaneten Tatooine ist ein Tummelplatz unterschiedlicher humanoider Spezies. Auch Erbil, die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, ist umgeben von Wüste, derzeit sind es dauerhaft über 40 Grad, und in der Luft, berichtet Theo, schwirrt der Sand.

Vor allem aber treffen auch in Erbil die buntesten Gestalten aus den verschiedensten Regionen, nicht gerade des Universums, wohl aber der Welt, zusammen. In der Stadt sind Kurden, Araber, Armenier, Azerbaidjaner, Turkmenen und Assyrer heimisch; Menschen aus Nepal, Bangladesch und von den Philippinen suchen ihr Glück; hoch bezahlte Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NGO) sowie Unternehmer aus Europa und den USA kurbeln mit ihren Dollars die Wirtschaft an. „Iraqi Kurdistan übt einen unglaublichen Sog auf alle aus, die hier leben und arbeiten“, berichtet Theo. „Auch ich, als einer der wenigen westlichen Touristen, kann mich dem nur schwer entziehen.“ In der „German Bar“, bei Kasslern mit Püree und Sauerkraut, lernte er einen Deutschen kennen, der jahrelang für das saarländische Festival Rocco del Schlacco gearbeitet hat, bevor es ihn nach Erbil verschlug; Handelsvertreter, Übersetzer und Ex-Soldaten; eine holländische Unternehmerin, Ende 50, die sich auf Catering für die US-Armee spezialisiert hat. „Goldgräberstimmung“, beschreibt Theo die Atmosphäre und nennt Kurdistan den „Wilden Osten“.

Auch mit Mitarbeitenden von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), deren Aufgabe es ist, Minen zu entschärfen oder Tankwagen mit Trinkwasser nach Nordsyrien zu fahren, konnte Theo sich unterhalten. Die Region sei spürbar vom Klimawandel betroffen. Gleichzeitig lebt sie vom Ölgeschäft. „Die Stadt atmet Kraftstoff und Abgase aus Fahrzeugen und Stromerzeugern. Alles ist für Autos ausgelegt, es riecht nach Benzin, und ist man zu Fuß unterwegs, muss man achtspurige Straßen überqueren“, erklärt er.

Die westlichen Ausländer mit ihren Spesenkonten bringen auch Erbils Clubkultur zum Blühen. Theo ließ sich ins Luxushochhaus Empire lotsen, wo in „The Vinery Wine Bar“ das Geschirr mit Trinkwasser aus der Flasche statt mit Leitungswasser gewaschen wird. Ein Hotelmanager, mit dem er ins Gespräch kam, bezahlte ihm am Ende des Abends die Rechnung und sprach eine weitere Einladung aus: Der Radabenteurer verbrachte daraufhin eine Nacht, kostenlos und all-inclusive, im Fünf-Sterne-Hotel. Im Gegenzug ist er jetzt Teil eines kleinen Imagevideos, in dem er sein Fahrrad neben der Drehtür des Hotels abstellt und am Pool einen Eiskaffee schlürft. Etwas unrealistisch, dass er das Fahrrad im Video nicht abschließt, merkte ich an. „Das Fahrrad stand genau so da, auch in der Nacht“, war die Antwort. „Um das Hotel war eine 5 Meter hohe Mauer und private Security mit AK 47.“ Überhaupt seien Militär und Waffen ein alltäglicher Anblick in Erbil. „Sicherheit ist ein großes Ding“, stellt Theo fest. Der geplante Ausflug in ein Jesidendorf fiel dann auch aus, weil die zwei neuen einheimischen Bekannten, die ihn dorthin mitnehmen wollten, die Lage für zu unsicher hielten.

Stattdessen fuhren sie mit ihm in die Berge zu einem beliebten Ausflugsziel, dem Geli-Ali-Bag-Wasserfall. Durch die Autofahrt konnte er abschätzen, wie er mit dem Fahrrad über das Sagros-Gebirge in den Iran fahren kann. Nach zehn Tagen in Erbil hat Theo jetzt sein Visum in der Tasche und fährt weiter, um dem Smog zu entkommen.

Tipps zum (Rad-)Reisen in Kurdistan auf Theos Blog: https://fabiantheobald.de/rad-reisen-in-kurdistan/

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