Interview „Das Publikum hier hat einen scharfen Blick“

Saarbrücken · Perspectives: Der Star-Choreograf ist ein guter Bekannter in Saarbrücken. Heute abend ist seine „Soirée Preljocaj“ beim Festival.

 Angelin Preljocajs aktuelle Choreografie „Still Life“ ist am Dienstag im Rahmen des Festivals Perspectives im Saarländischen Staatstheater zu sehen. 

Angelin Preljocajs aktuelle Choreografie „Still Life“ ist am Dienstag im Rahmen des Festivals Perspectives im Saarländischen Staatstheater zu sehen. 

Foto: Jean-Claude Carbonne

Solch eine Zusammenarbeit gab es noch nie beim Festival Perspectives. Der Choreograf Angelin Preljocaj, seit Jahren immer wieder begeistert gefeierter Gast beim Festival, hat auf Anregung der Perspectives mit dem Staatstheater-Ballett sein 1997 in New  York uraufgeführtes Stück „La Stravaganza“ einstudiert. Diese Choreografie wurde Teil eines dreiteiligen Ballett-Abends am SST, der im Februar Premiere hatte. Im Rahmen der Perspectives gibt es nun eine besondere Soiree Preljocaj, in der neben dem SST-Ballett mit „La Stravaganza“ auch Preljocajs eigene Truppe sein neues Stück „Still Life“ tanzt. Wir haben mit Angelin Preljocaj über das Festival und seine Zusammenarbeit mit dem Staatstheater gesprochen.

Sie waren schon sehr oft zu Gast bei Perspectives. Was bedeutet Ihnen das Festival?

Angelin Preljocaj: Schon der Name des Festivals, Perspektiven, ist sehr gut. Durch die Tatsache, dass ich regelmäßig hierher komme, schafft es auch Perspektiven in Bezug auf meine Arbeit. Für mich ist es ein echtes Vergnügen, meine Arbeiten hier zeigen zu können. Und ich finde es auch gut und wichtig, dass sie hier zusammen mit Tanzstücken von anderen Künstlern zu sehen sind.

Das Saarbrücker Publikum hatte bei den Perspectives, im SST und Forbach Gelegenheit, sehr viel unterschiedlichen zeitgenössischen Tanz zu sehen und ist sehr tanzbegeistert. Merkt man das, wenn man hier auftritt?

Angelin Preljocaj: Man spürt, dass das Publikum einen scharfen Blick für Tanz hat und eine besondere Konzentration, dass es nicht nur Zerstreuung sucht. Man spürt den Wunsch, die Idee, die dem Stück zugrunde liegt, zu erfassen, nicht nur schöne Bilder und elegante Bewegungen. Diese Qualität der Aufmerksamkeit ist sehr wichtig für einen Choreografen und auch für die Tänzer auf der Bühne.

Sie choreografieren Ihre Stücke in der Regel für Ihre eigene Kompanie, die sie genau kennen. Wie war es für Sie, La Stravaganza mit dem Staatstheater-Ballett, also einer fremden Truppe, einzustudieren?

Angelin Preljocaj: Die Staatstheater-Tänzerinnen und Tänzer sind es ja gewöhnt, mit anderen Choreografen, mit ganz unterschiedlichen Stilen zu arbeiten. Sie haben in Saarbrücken ja jedes Jahr zwei oder drei Gastchoreografen da. Das ist ein großer Reichtum an Erfahrungen. Mit meiner Kompanie ist es natürlich anders. Sie kennen meinen Stil sehr, sehr genau. Also kann ich mit ihnen bei der Arbeit sehr in die Tiefe gehen, wir sind sehr vertraut. Für mich besteht der große Unterschied in der Vielfalt, dem Reichtum an Bewegungsqualitäten. Das führt dazu, dass zwei Kompanien dasselbe Ballettstück anders interpretieren. Es ist ein bisschen so wie mit zwei Orchestern, selbst wenn sie dasselbe Stück von Beethoven mit demselben Dirigenten spielen, klingt es verschieden. Und so ist es auch mit den Saarbrücker Tänzern. Selbst wenn sie dieselbe Bewegung tanzen, bringen sie andere Erfahrungen mit hinein.

Für Ihr neues Stück „Still Life“ greifen Sie weit in die Geschichte zurück, bis in die Barockzeit, wo die Vergänglichkeit, das Vanitas-Motiv eine große Rolle spielte. Heute wissen wir vor lauter Aktivitäten und Informationsfluten oft noch nicht mal mehr, was wir vor einer Woche gemacht haben. Wie kamen sie auf die Epoche des Barock?

Angelin Preljocaj: Ich binde meine choreografische Arbeit gern an die Kunstgeschichte an. Es ist beim Menschen wie bei den Bäumen, je mehr er in die Höhe wachsen will, um so tiefer muss er seine Wurzeln in die Erde stecken, sonst fällt er um. Ich brauche das, mich von der Literatur, der Malerei, allen Künsten – und nicht nur den heutigen – inspirieren zu lassen. Wenn ich diese Vanitas-Motive sehe. Die Stillleben waren zunächst Früchte, Blumen, erst später hat man Zeichen für menschliche Tätigkeit eingeführt, wie die Sanduhr, die Kerze. Das stand auch für die Vergeblichkeit, die Kürze des menschlichen Lebens. Von rein dekorativen Bildern wandelten sie sich zu Bildern, die etwas Grundlegendes über die menschliche Natur aussagen wollten, das fand ich interessant daran. Und ich habe auch so gut wie noch kein Ballett gesehen bisher, das über diese Vanitas-Bilder gesprochen hat, das uns Fragen stellt zu unserer Endlichkeit.

Schon in La Stravaganza, im ersten Stück des Abends, lassen Sie verschiedene Epochen aufeinander treffen...

Angelin Preljocaj: Sie haben Recht, da gibt es so etwas wie eine Zeitreise, als gäbe es Türen in der Zeit, durch die man aus dem 16. Jahrhundert ins New York des 21. Jahrhunderts hinüberwechseln kann.

Was sagen Sie als Künstler, der weltweit unterwegs ist, zur politischen Lage Europas? Geht es weiter bergab?

Angelin Preljocaj: Ich habe Befürchtungen und Hoffnungen. Also es ist noch nicht alles verloren. Ich selbst bin ein überzeugter Europäer, aus dem einfachen Grund: Ich bin Kind von Immigranten, meine Eltern sind ausgewandert. Für mich bezieht Europa seine Stärke gerade aus der gemeinsamen Zivilisation. Wenn man Deutschland und Frankreich getrennt betrachtet, sind sie nicht wirklich eine Zivilisation. Sie sind vielleicht eine Nation, aber was ist schon eine einzelne Nation im Vergleich zur chinesischen Zivilisation oder zu Amerika. Das Gleiche ist mit den Ideen, es gibt einige Ideen, die europäisch sind, wie die Toleranz, Aufklärung . . . oder auch den Barock.

 Angelin Preljocaj ist Stammgast beim Saarbrücker Festival.

Angelin Preljocaj ist Stammgast beim Saarbrücker Festival.

Foto: Jörg Letz/joerg letz

Die Soirée Angelin Preljocaj findet heute, Dienstag, 11. Juni, 20 Uhr, im  Saarländischen Staatstheater statt. Restkarten beim Festival Perspectives unter Tel. (0681) 93 81 09 93.
www.festival-perspectives.de

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